Arzneimittel und Therapie

Ist Serotonin-Mangel schuld?

Neue Hypothese zur Entstehung von Long-COVID

mab | Die Therapie von Long-COVID stellt weltweit eine große Herausforderung dar. Betroffene leiden Monate bis Jahre nach der akuten SARS-CoV-2-Infektion unter Symptomen wie Müdigkeit, Erschöpfung nach Anstrengung, Gedächtnisverlust sowie anderen neurokognitiven Beeinträchtigungen, die Lebensqualität ist deutlich herabgesetzt. Ursächlich vermutet man neben einer viralen Persistenz auch chronische Entzündungen, die Entwicklung von Autoantikörpern, die zu Gewebeschäden führen, sowie eine Dysfunktion der Blutplättchen, die mit einer Hyperkoagulabilität einhergeht. Mehr Licht ins Dunkle der Patho­physiologie von Long-COVID bringen möglicherweise die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe um Wong et al., die vor wenigen Tagen in dem Fachjournal „Cell“ veröffentlicht wurden. Dabei konnten die Forscher anhand der Ergebnisse aus Kohortenstudien am Mensch sowie aus Tiermodellen für Virusinfektionen und aus Organoidkulturen nachweisen, dass virale Infektionen (z. B. SARS-CoV-2), die mit Interferonreaktionen vom Typ I einhergehen, zu einem Serotonin-Mangel führen. Im nächsten Schritt konnten sie feststellen, dass diesem Defizit drei Mechanismen zugrunde liegen: Zum einen wurde weniger Tryptophan (Vorstufe von Serotonin) intestinal absorbiert. Außerdem wurde aufgrund einer vorliegenden Thrombozytopenie weniger Serotonin in den Blutplättchen gespeichert und mehr Serotonin von bestimmten Enzymen umgesetzt. Weiter zeigten die Wissenschaftler, dass der periphere Serotonin-Mangel die Aktivität des Vagusnervs beeinträchtigt, was wiederum die Reaktionen des Hippocampus und des Gedächtnisses beeinflusst. Die Forscher schlussfolgern, dass Serotonin-Mangel eine mögliche Erklärung für die neurokognitiven Symptome bei Long-COVID sein könnte und künftig bei neuen Therapieansätzen – zum Beispiel in Form von selektiven Sero­tonin-Reuptake-Inhibitoren oder der Gabe von Tryptophan – eine Rolle spielen könnte. Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie sieht die neue Hypothese für die Ursache von Long-COVID als plausibel an. Sie merkt aber an, dass die niedrigen Serotonin-Spiegel nicht konsistent in allen Kohorten nachgewiesen werden konnten und weitere prospektive Untersuchungen nun folgen müssen. |

Literatur

Serotonin-Mangel als mögliche Ursache von Long-COVID und anderer postviraler Syndrome. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vom 24. Oktober 2023

Wong et al. Serotonin reduction in post-acute sequelae of viral infection. Cell 2023, doi.org/10.1016/j.cell.2023.09.013

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.