Arzneimittel und Therapie

Risiken in der Schmerztherapie vermeiden

Erkenntnisse aus dem Barmer Arzneimittelreport 2023

gg/dab | Die Autoren des aktuellen Barmer Arzneimittelreports untersuchten die ambulante medikamentöse Schmerztherapie bei erwachsenen, nicht onkologischen Patienten. Dabei deckten sie einige potenzielle Risiken auf, darunter Verordnungen ungeeigneter Schmerzmittel, problematische Wirkstoffkombinationen und notwendige, aber fehlende Begleitmedikationen.

Mit 34,4% wurden mehr als jedem dritten erwachsenen Versicherten der Barmer Krankenkasse im Jahr 2021 Schmerzmittel ärztlich verordnet. Und auch wenn Versicherte mit Tumor­erkrankungen ausgenommen wurden, blieb die Rate der Schmerzmittelverordnungen mit 32,7% hoch. Knapp 6% der Versicherten erhielten sogar eine Langzeitbehandlung, bei der Schmerzmittel über einen Zeitraum von mehr als 90 Tagen verordnet wurden. Die hohen Verordnungszahlen hat die Barmer zum Anlass genommen, die medikamentöse Schmerztherapie ihrer Versicherten im Detail auszuwerten. Dabei wurden die Verordnungszahlen nicht nur nach Alter, Geschlecht oder Wirkstoff aufgeschlüsselt, sondern es wurde auch nach Optimierungspotenzial in Sachen Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) gesucht. So etwa bei der Auswahl des geeigneten Schmerzmittels für Menschen mit Grunderkrankungen.

Foto: fizkes/AdobeStock

Über mögliche Risiken einer Therapie mit Schmerzmitteln sollten Patientinnen und Patienten aufgeklärt werden, z. B. über das Agranulozytoserisiko unter Metamizol.

Vorsicht mit NSAR bei Herz- und Niereninsuffizienz

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind beispielsweise für Patienten mit einer Nieren- oder Herzinsuffizienz problematisch, da sie die Nierenfunktion verschlechtern und die Symptomatik einer Herzinsuffizienz aggravieren können. Zwar werden NSAR bei Patienten mit einer dieser beiden Diagnosen seltener eingesetzt als bei Patienten ohne, dennoch lag der Anteil der über 80-Jährigen mit Herzinsuffizienz, denen ein NSAR verordnet wurde, bei 20,8%. Von den Versicherten der gleichen Altersgruppe mit diagnos­tizierter Niereninsuffizienz erhielten 10,8% NSAR als Langzeittherapie.

Triple Whammy an der Tagesordnung

Kritisch für die Nieren ist auch die als Triple Whammy bezeichnete Kombination aus Angiotensin-converting-­Enzyme(ACE)-Hemmern, Diuretika und nichtsteroidalen Antirheumatika, die mit einem besonders hohen Risiko für ein akutes Nierenversagen einhergeht. Dennoch erhielt nahezu jeder dritte über 80-Jährige mit NSAR in der Medikation eben diese Kombination verordnet. Insgesamt haben 2021 195.817 Barmer-Versicherte eine Triple-Whammy-Kombination erhalten, was laut den Schätzungen der Krankenkasse zu 1255 Fällen von akutem Nierenversagen geführt haben könnte.

Fehlender „Magenschutz“

Werden NSAR mit Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern oder Glucocorticoiden kombiniert, erhöht dies das Risiko für gastrointestinale Blutungen bzw. Ulcera, sodass eine Kombination mit einem Protonenpumpeninhibitor (PPI) empfohlen wird. In der Praxis erhielten jedoch je etwa 40% der Versicherten, die eines der oben genannten Arzneimittel erhielten, den „Magenschutz“ nicht dazu verschrieben.

Agranulozytoserisiko unter Metamizol

Mit 14,2% der Verordnungen war Metamizol nach Ibuprofen der am zweithäufigsten verschriebene Wirkstoff in der Schmerztherapie. Zwar ist eine akute Verschlechterung der Nierenfunktion durch Metamizol sehr selten, jedoch birgt der Wirkstoff das Risiko einer Agranulozytose. Eine stationäre Aufnahme aufgrund einer solchen erlitten 2021 vier von 100.000 Versicherten, die Metamizol einnahmen. Bei einer Neuverordnung dieses Schmerzmittels bzw. bei der Abgabe in der Apotheke sollten Patienten auf die Symptome einer Agranulozytose hingewiesen werden. Dazu zählen Infektionszeichen, Halsschmerzen, Muskelschmerzen und Schleimhautulcera. Eine gemeinsame Anwendung von Metamizol und Methotrexat erhöht das Risiko für eine Agranulozytose noch weiter, weshalb die beiden Wirkstoffe insbesondere bei den stark gefährdeten über 80-Jährigen nicht kombiniert werden sollten. Dennoch erhielten 2021 1,1% der Versicherten, die mit Metamizol behandelt wurden, zeitgleich Methotrexat. In der Konsequenz war knapp ein Viertel der Versicherten (23,7%), die wegen einer Agranulozytose stationär behandelt worden waren, zuvor mit diesen beiden Wirk­stoffen therapiert worden.

Risikokonstellationen im Überblick

Im Barmer Arzneimittelreport 2023 werden bezüglich einer medikamentösen Schmerztherapie unter anderem folgende Risikokonstellationen beschrieben, die möglichst vermieden werden sollten:

  • Verordnung von NSAR trotz Herz- oder Nieren­insuffizienz
  • Verordnung von NSAR in Kombination mit ACE-Hemmern und Diuretika (cave: Triple Whammy)
  • Blutungsrisiko durch Verordnung von NSAR in Kombination mit Antiko­agulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern oder Glucocorticoiden ohne „Magenschutz“ (z. B. Protonenpumpeninhibitor)
  • Kombination von Metamizol mit Methotrexat
  • Verordnung von Opioiden ohne Laxanzien
  • Verordnung von Opioiden in Kombination mit Tranquilizern

Komedikation bei Opioiden unter der Lupe

Auch bei Opioiden sollte im Auge behalten werden, mit welchen anderen Wirkstoffen diese kombiniert werden. Tranquilizer (z. B. Benzodiazepine und Z-Substanzen), Gabapentin und Pregabalin sollten in der Komedikation vermieden werden, da diese Kombinationen mit einer erhöhten Mortalität einhergehen. In der Datenauswertung der Barmer erhielten jedoch 10,0% der mit Opioiden Behandelten parallel Pregabalin und 4,1% Gabapentin. Zu dem mutmaßlichen Behandlungszweck heißt es, dass vermutlich nur ein geringer Teil der Behandelten die Antiepileptika gegen Anfallsleiden und ein großer Teil diese als Co-Analgetika erhalten haben dürfte. Die Autoren des Reports merken an, dass US-amerikanische und kanadische Behörden 2019 bezüglich einer Therapie mit Opioiden und Pregabalin oder Gabapentin vor den Risiken einer Atemdepression und fataler Opioid-Überdosierung gewarnt hätten. „Dass diese riskante Kombination so häufig eingesetzt wird, ist bedenklich. Insbesondere, da eine aktuelle Metaanalyse von 16 Studien zeigt, dass Opioide keine für eine Zulassung durch die Europäische Zulassungsbehörde aus­reichende Reduktion neuropathischen Schmerzes bewirken“, so die Autoren.

Auch die ebenfalls problematische Kombination von Opioiden mit Tranquilizern kam häufig vor, nämlich bei einem von zehn Patienten mit Opioid-Therapie.

Hingegen sinnvoll und wünschenswert ist eine Kombination von Opioiden und Laxanzien, um Obstipation und Darmverschluss vorzubeugen. Laxanzien erhielten jedoch 30% der mit Opioiden Behandelten nicht. Im Barmer Report wurden Daten von Patienten ausgewertet, die Opioide erhalten hatten und wegen eines Darmverschlusses stationär behandelt werden mussten. Dabei war 49 von 100.000 dieser Patienten zuvor kein Laxans verordnet worden im Vergleich zu 41 von 100.000 Patienten, denen parallel zum Opioid ein Laxans verschrieben wurde. Das zeigt, dass eine Verordnung alleine nicht ausreicht, essenziell seien daher auch adhärenzunterstützende Maßnahmen, etwa durch die Beratung in der Apotheke.

Mehr AMTS durch digitale Unterstützung

„Schmerztherapie ist eine durch komplexe Therapieentscheidungen und relevante Risiken aller Schmerzmittel geprägte Behandlung. Eine risikofreie medikamentöse Schmerztherapie gibt es nicht“, ist in der Zusammenfassung des Berichtes zu lesen. Aber es gibt Handlungsempfehlungen, durch die die Therapie künftig sicherer werden könnte. Um Kenntnislücken zur Gesamtmedikation oder zu Risiko­faktoren der Patienten zu schließen, werden ein elektronischer Medikationsplan und eine elektronische Patientenakte empfohlen. Aber auch für die Verordnungsentscheidung und die AMTS-Prüfung schlagen die Autoren des Berichts digitale Helfer vor. Der Wissenszuwachs sei mittlerweile so rapide, dass es „ohne Unterstützung […] für den einzelnen Arzt beziehungsweise die einzelne Ärztin unmöglich [ist], hier auf dem aktuellen Stand des Wissens zu bleiben“. |

Literatur

Grandt D, Lappe V, Schubert I. Barmer Arzneimittelreport 2023. Medikamentöse Schmerztherapie nicht onkologischer ambulanter Patientinnen und Patienten. Barmer Institut für Gesundheitsforschung (Hrsg.), Wuppertal 2023

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