Arzneimittel und Therapie

Peptide per Saugnapf verabreichen

Forscher entwickeln neuen Weg, um Arzneimittel über die Mundschleimhaut zu applizieren

js | Mit den Saugnäpfen an ihren Fangarmen heben Tintenfische Nahrung auf und befördern sie in ihren Mund. Ein Forscherteam um Zhi Luo hat sich den Saugnapf nun als Vorbild genommen, um eine neue Applikationsart zu entwickeln. Peptide sollen so buccal appliziert werden. Ist das möglich?

Peptide wie Insuline oder Glutide werden bei oraler Einnahme im Magen denaturiert und im Darm durch Enzyme wie Pepsin abgebaut. Durch eine an­gepasste Galenik kann man sie aber vor dem Abbau im Gastrointestinaltrakt schützen. Beispielsweise gibt es das Antidiabetikum Semaglutid und das Diuretikum Desmopressin auch als Tabletten. Sie beinhalten Hilfsstoffe, die pH-Wert-erhöhende, Pepsin-hemmende und penetrationserhöhende Eigenschaften besitzen und so die orale Applikation ermöglichen. Dennoch bleibt die Bioverfügbarkeit oral verabreichter Peptide vergleichsweise gering, und es gibt nur wenige Peptide, für die orale Darreichungsformen zur Verfügung stehen. Patienten bleibt dann nur die Möglichkeit einer Injektion. Ein sechs Millimeter hoher und im Durchmesser ein Zentimeter großer Saugnapf, der an die Innenseite der Wange angebracht wird, könnte vielleicht zukünftig eine weitere Option für die Gabe von Peptiden sein.

Wie die Applikation funktioniert

Die buccale Applikation von Peptiden hat zwei wesentliche Vorteile im Vergleich zur oralen: Der pH-Wert im Mund ist weniger sauer und die proteolytische Aktivität geringer, so dass Peptide weniger stark abgebaut werden. Bisher kam die buccale Applikation nur für kleine Moleküle infrage, weil größere Strukturen wie Peptide die buccale Mukosa, die 40 bis 50 Zellschichten umfasst, nicht ausreichend überqueren konnten. Der entwickelte Saugnapf ist ein Elastomer und besteht aus einer Wölbung, die durch eine Verengung in eine scheibenförmige Öffnung übergeht so wie der Saugnapf des Tintenfischs. In die Wölbung werden der Wirkstoff und die Hilfsstoffe eingebracht. Sie kann mit bis zu circa 50 mg eines Arzneistoffs beladen werden. Wichtig ist außerdem der Zusatz eines Penetrationsförderers, der die Bioverfügbarkeit erhöht. Der Saugnapf wird dann auf der Mundschleimhaut platziert und saugt sich an. Dabei dehnt er die Mukosa und vergrößert die Oberfläche (s. Abb.).

Abb.: Ablauf der Applikation von Arzneimitteln per Saugnapf. Zunächst wird der Saugnapf an der Innenseite der Mundschleimhaut angebracht (1). Der Saugnapf saugt sich fest, erzeugt einen Unterdruck und komprimiert die Mundschleimhaut (2). Die Mundschleimhaut wird so weit deformiert (3), bis es zur Freisetzung der Wirk- und Hilfsstoffe kommt (4), danach wird der Saugnapf abgenommen (5).

Buccal vs. oral

Die Saugnäpfe wurden bereits an Beagles getestet, weil die Mukosa dieser Hunde der von Menschen ähnelt. Dabei wurden die Bioverfügbarkeiten von Desmopressin und Semaglutid mit der der oralen Einnahme verglichen. Die orale Bioverfügbarkeit von Desmopressin (Molekulargewicht = 1189 g/mol) ist gering (< 0,3%). Durch eine dreißig­minütige Applikation per Saugnapf in Kombination mit dem Penetrationsförderer Natriumtaurocholat konnte sie auf 4,1% erhöht werden. Semaglutid besitzt ein circa viermal so hohes Molekulargewicht (4114 g/mol) wie Desmopressin. Wurden je 9 mg Semaglutid verabreicht, konnte bei dreißigminütiger Applikation per Saugnapf und Einsatz von Natriumtaurocholat eine ähnliche Bioverfügbarkeit wie für die orale Applikation erzielt werden. Dabei verblieben 8 mg Semaglutid im Saugnapf. Während der 30 Minuten gingen weniger als 10% des Wirkstoffs tatsächlich aus dem Saugnapf in die Mukosa über.

Sehr hohe Akzeptanz der Anwendung

Um herauszufinden, wie Patienten mit dem Applikationssystem zurecht­kommen, testeten 40 Probanden den Saugnapf ohne eine Füllung mit Arznei- oder Hilfsstoffen für 30 Minuten. Fünf der Saugnäpfe wurden nicht korrekt angebracht und fielen vorzeitig ab. 92% der Probanden fanden die Applikation komfortabel. Die Mehrheit der Probanden berichtete, dass sie die Applikation per Saugnapf einer Injektion mit Nadel vorziehen würden. Bei täglicher Anwendung würden 77,5% lieber den Saugnapf anwenden, bei wöchentlicher Anwendung 72,5% und bei monatlicher 57,5% der Probanden. Ob es der Saugnapf tatsächlich in die Anwendung schafft, bleibt abzuwarten. Unter anderem muss erforscht werden, wie gut die Wirksamkeit nach buccaler Applikation ist und ob die wiederholte Applikation die Mukosa schädigen kann. |

Literatur

Luo Z et al. Boosting systemic absorption of peptides with a bioinspired buccal-stretching patch. Sci Transl Med 2023, doi: 10.1126/scitranslmed.abq1887

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