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Neue Arzneimittel
Neues Antidiabetikum Tirzepatid übertrifft Semaglutid
Erster dualer GLP-1/GIP-Rezeptoragonist
GLP-1-Rezeptoragonisten wie Dulaglutid (Trulicity®), Exenatid (z. B. Byetta®), Liraglutid (Victoza®) und Semaglutid (Ozempic®) haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten als effektive blutzuckersenkende Arzneistoffe etabliert. Sie stimulieren Glucose-abhängig, jedoch nur bei Hyperglykämie, die Insulin-Sekretion und hemmen die Glukagon-Ausschüttung. Daher besteht unter GLP-1-Rezeptoragonisten ein geringeres Hypoglykämie-Risiko als bei anderen Antidiabetika. Die Substanzgruppe hat sich insbesondere bei Typ-2-Diabetikern mit kardiovaskulären Vorerkrankungen und atherosklerotischen Komplikationen als von Nutzen gezeigt. Metaanalysen ergaben eine signifikante Reduktion des relativen kardiovaskulären Risikos um 14% gegenüber Standardtherapien. Hinsichtlich der Gewichtsreduktion sind sie Natrium-Glucose-Cotransporter-2(SGLT2)-Inhibitoren wie Dapagliflozin (Forxiga®) oder Empagliflozin (Jardiance®) deutlich überlegen. Die Wirkstoffe Liraglutid und Semaglutid werden daher unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes mellitus auch zur Adipositastherapie eingesetzt.
GIP-Rezeptor als zusätzliches Target
Die Regulation des Blutzuckerspiegels und des Appetits erfolgt allerdings nicht nur über GLP-1, sondern parallel durch das ebenfalls im Darm gebildete Peptidhormon GIP (s. Abb. 2). Diese Überlegung liegt der Entwicklung des neuen Wirkstoffs Tirzepatid zugrunde. Die Substanz ist ein lang wirkender dualer Agonist an GLP-1- und GIP-Rezeptoren und für Erwachsene mit unzureichend eingestelltem Typ-2-Diabetes vorgesehen, zusätzlich zu anderen Antidiabetika oder als Monotherapeutikum, wenn die Einnahme von Metformin wegen Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen nicht angezeigt ist. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes verbessert Tirzepatid die glykämische Kontrolle durch Senkung der Nüchtern- und postprandialen Glucose-Konzentration. In therapeutisch relevanten Dosierungen erhöht die Substanz die Glucose-Sensitivität der β-Zellen des Pankreas und steigert die postprandiale Insulin-Sekretion in der ersten und zweiten Phase gegenüber dem Ausgangswert um ein Mehrfaches. Eine ebenfalls über Tirzepatid vermittelte, verzögerte Magenentleerung führt zu einer verlangsamten Absorption von Glucose nach einer Mahlzeit und damit zu einem zusätzlichen positiven Effekt auf die postprandiale Glykämie. Tirzepatid bewirkt zudem eine signifikante Gewichtsabnahme, insbesondere der Fettmasse, was zu einer Verbesserung der Insulin-Empfindlichkeit beitragen kann. Zur Verbesserung der Verträglichkeit erfolgt die Dosierung zunächst einschleichend. Die Erhaltungsdosis liegt zwischen 5 mg und maximal 15 mg Tirzepatid pro Woche, wobei die Applikation mittels subkutaner Injektion in wechselnde Körperregionen von Bauch, Oberschenkel oder Oberarm erfolgt.
Umgang mit Begleitmedikationen
Die Dosierung von begleitend eingesetzten Antidiabetika wie Metformin oder SGLT2-Inhibitoren kann normalerweise beibehalten werden. Wenn Tirzepatid zu einer bestehenden Therapie mit einem Sulfonylharnstoff oder Insulin hinzugefügt wird, sollte jedoch eine Reduktion von deren Dosis in Betracht gezogen werden, um das Risiko einer Hypoglykämie zu verringern. Aufgrund der durch Tirzepatid verzögerten Magenentleerung kann die Resorption von peroral applizierten Wirkstoffen verlangsamt sein. Dies ist insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn beispielsweise bei Analgetika ein rascher Wirkungseintritt erwünscht ist oder Substanzen mit enger therapeutischer Breite zum Einsatz kommen. Eine Dosisanpassung oraler Kontrazeptiva ist nicht erforderlich. Das Nebenwirkungsspektrum von Tirzepatid umfasst in erster Linie gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Diarrhö, Bauchschmerzen und Blähungen. Aber auch mit Überempfindlichkeitsreaktionen, vermindertem Appetit, erhöhter Herzfrequenz, Fatigue, Reaktionen an der Injektionsstelle und erhöhten Lipase- sowie Amylase-Werten muss gerechnet werden.
Pankreatitis und Nierenfunktion
Eine Therapie mit Tirzepatid ist mit der Gefahr einer Pankreatitis verbunden. Insbesondere prädisponierte Patienten sind entsprechend zu überwachen. Auch die Behandelten selbst sollten auf Symptome einer Pankreatitis wie plötzlich auftretende, starke und ausstrahlende Schmerzen im Oberbauch sowie Übelkeit und Erbrechen nach dem Konsum fetthaltiger Speisen achten. Falls die Diagnose einer Pankreatitis bestätigt wird, darf die Behandlung mit Tirzepatid nicht wieder aufgenommen werden. Die mit dem GLP-1/GIP-Agonisten assoziierten gastrointestinalen Nebenwirkungen können zudem zu einer Dehydratation führen, die bei Patienten mit Niereninsuffizienz möglicherweise zu einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion beiträgt. Vor allem ältere Behandelte sind auf die Bedeutung einer ausreichenden Versorgung mit Flüssigkeit und Elektrolyten unter Anwendung von Tirzepatid hinzuweisen.
SURPASS-Studienprogramm
Die Zulassung von Tirzepatid beruht auf dem Studienprogramm SURPASS, bestehend aus fünf randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studien mit mehr als 6000 erwachsenen Typ-2-Diabetikern [2 – 6]. Bereits eingesetzte Antidiabetika wurden im Studienverlauf in der Regel beibehalten, gegebenenfalls war eine Dosisreduktion erforderlich. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war in allen Untersuchungen die Verringerung des Anteils von Hämoglobin im Blut, an das Glucose gebunden ist (HbA1c-Wert). Dieser Parameter gibt Auskunft darüber, wie gut der Blutzucker eingestellt ist. Bei Gesunden ohne Diabetes mellitus liegt der Normwert etwa bei 4,5 bis 5,7%. Überschreitet er 6,5%, muss von einer manifesten Diabetes-Erkrankung ausgegangen werden. In allen fünf Studien konnte durch die Behandlung mit 5 mg, 10 mg oder 15 mg Tirzepatid über einen Zeitraum von bis zu einem Jahr eine anhaltende, statistisch signifikante und klinisch bedeutsame Senkung des mittleren HbA1c-Wertes um 2,1 bis 2,6 Prozentpunkte gegenüber dem Ausgangswert erreicht werden. In den 15-mg-Gruppen fiel die Reduktion jeweils am stärksten aus. Unter Placebo lag die durchschnittliche Reduktion des HbA1c-Wertes bei bis zu 0,9%, unter dem GLP-1-Rezeptor-Agonisten Semaglutid waren es 1,9%. Durch die aktiven Komparatoren Insulin degludec und Insulin glargin wurde eine mittlere Reduktion des HbA1c-Wertes von 1,3 bzw. 1,4 Prozentpunkten erreicht [7].
Neue Arzneimittel 2023
In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe ausführlich vor und ordnete sie in die bestehenden Therapieoptionen ein. Seit Januar 2023 finden Abonnentinnen und Abonnenten der DAZ die neuen Arzneistoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/arzneimittel.
Neu hinzugekommen sind:
- Tirzepatid
- Pegunigalsidase alfa und
- Glofitamab
Dort steht Ihnen auch ein Archiv mit allen seit 2000 eingeführten Wirkstoffen zur Verfügung. Die für die Offizin bedeutsamen Wirkstoffe stellen wir in der Print-Ausgabe der DAZ regelmäßig in unserer Rubrik „Neue Arzneimittel“ vor.
Tirzepatid zur Gewichtsreduktion?
Dadurch, dass Tirzepatid simultan den GLP-1-und GIP-assoziierten Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel beeinflusst, hat es sich erwartungsgemäß als therapeutischer Fortschritt erwiesen. In den zulassungsrelevanten Studien zeigte sich der innovative Wirkstoff sogar gegenüber Semaglutid als überlegen, dem bisherigen Favoriten aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten. Mit Spannung wird nun erwartet, ob Tirzepatid seinem Konkurrenten auch in Sachen Gewichtsreduktion den Rang abläuft. In klinischen Untersuchungen wurden durch den neuen GLP-1/GIP-Rezeptoragonisten Gewichtsreduktionen um bis zu 23% erreicht [8]. Bei den bereits etablierten Substanzen Liraglutid und Semaglutid liegt die erzielbare bzw. durchschnittliche Gewichtsabnahme bei etwa 8% bzw. 16% [9, 10]. In den USA wurde Tirzepatid am 8. November 2023 unter dem Handelsnamen ZepboundTM zum Gewichtsmanagement bei adipösen sowie übergewichtigen Personen mit weiteren gewichtsbedingten Erkrankungen zugelassen. Eine entsprechende Indikationserweiterung für Mounjaro® in der EU wurde am 9. November 2023 vom Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur empfohlen. Die Entscheidung der EU-Kommission steht noch aus. |
Literatur
[1] Fachinformation zu Mounjaro®, Stand November 2023
[2] Rosenstock J, Wysham C, Frías JP et al. Efficacy and safety of a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist tirzepatide in patients with type 2 diabetes (SURPASS-1): a double-blind, randomised, phase 3 trial. Lancet 2021;398(10295):143-155, doi: 10.1016/S0140-6736(21)01324-6
[3] Frías JP, Davies MJ, Rosenstock J et al. Tirzepatide versus semaglutide once weekly in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2021;385(6):503-515, doi: 10.1056/NEJMoa2107519
[4] Ludvik B, Giorgino F, Jódar E et al. Once-weekly tirzepatide versus once-daily insulin degludec as add-on to metformin with or without SGLT2 inhibitors in patients with type 2 diabetes (SURPASS-3): a randomised, open-label, parallel-group, phase 3 trial. Lancet 2021;398(10300):583-598, doi: 10.1016/S0140-6736(21)01443-4
[5] Del Prato S, Kahn SE, Pavo I et al. Tirzepatide versus insulin glargine in type 2 diabetes and increased cardiovascular risk (SURPASS-4): a randomised, open-label, parallel-group, multicentre, phase 3 trial. Lancet 2021;398(10313):1811-1824, doi: 10.1016/S0140-6736(21)02188-7
[6] Dahl D, Onishi Y, Norwood P et al. Effect of subcutaneous tirzepatide vs placebo added to titrated insulin glargine on glycemic control in patients with type 2 diabetes: the SURPASS-5 randomized clinical trial. JAMA 2022;327(6):534-545, doi:10.1001/jama.2022.0078
[7] EPAR summary for the public. Mounjaro® (Tirzepatid). Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/674324/2022
[8] Jastreboff AM, Aronne LJ, Ahmad NN et al. Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. N Engl J Med 2022;387:205-216, doi: 10.1056/NEJMoa2206038
[9] EPAR summary for the public. Saxenda® (Liraglutid). Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/291319/2023
[10] EPAR summary for the public. Wegovy® (Semaglutid). Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/162766/2023
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