Kongresse

Vielfältiger Arzneimitteleinsatz bei Long-COVID

Studien für die Zukunft und Supportiva für heute

JENA (tmb) | Der Ärzte- und Ärztinnenverband Long-COVID veranstaltete am 24. und 25. November 2023 in Jena seinen zweiten Jahreskongress als Hybridveranstaltung. Aus pharmazeutischer Sicht bot der Kongress einen Eindruck von den vielen Arzneimitteln, für die ein Einsatz bei Long-COVID diskutiert wird. Dabei sind kontrollierte Studien zu mehr oder weniger kausalen Therapien und Arznei­mittel zur symptomorientierten Behandlung zu unterscheiden.

Der hybrid veranstaltete Kongress mit über 2300 Teilnehmern stand unter dem Motto „Teilhabe mit Long-COVID“. Prof. Dr. Martin Walter, Präsident des Ärzte- und Ärztinnenverbandes Long-COVID und einer der Tagungspräsidenten, erklärte das so: „Wir müssen das eine – Forschen – tun, ohne das andere – Versorgen – zu lassen.“ Daraufhin bot der Kongress ein breites Themenspektrum zur Versorgungsforschung, Rehabilitation, Grundlagenforschung und Therapie, auch mit Arzneimitteln.

Nicht eine kausale Behandlung für alle

Prof. Dr. Andreas Stallmach, Leiter des Post-COVID-Zentrums der Uni-Klinik Jena und ebenfalls Tagungspräsident, forderte, die supportiven Therapien müssten bei den Patienten ankommen, während noch an kausalen Therapien geforscht wird. Als eine der wichtigsten Erkenntnisse seit dem vorigen Kongress stellte Stallmach fest, dass Long-COVID nun als Immundysregulation verstanden wird, die auf der Grundlage einer genetischen Disposition durch das Virus ausgelöst wird. Dabei würden mehrere Subtypen existieren, sodass es nicht eine Therapie für alle geben werde. Die unterstützenden Therapien werden derzeit off label eingesetzt. Dazu kündigte Bundesgesundheitsminister Lauterbach in einem Video-Grußwort an, beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte solle eine Liste mit off label bei Long-COVID einsetzbaren Arzneimitteln erstellt werden, die von der GKV erstattet werden sollen.

In mehreren Fachvorträgen wurden zumeist therapeutische Ansätze erwähnt, die schon beim Kongress vor einem Jahr vorgestellt wurden. Dazu gibt es zusätzliche Erfahrungen, aber keine Durchbrüche und keine Arzneimittelzulassungen. Dabei muss zwischen potenziell kausalen Ansätzen mit kurativem Ziel und vielfach eingesetzten erfahrungsbasierten Behandlungen zur Symptomlinderung unterschieden werden.

Zwei Verbände – ein gemeinsamer Weg

Der Long-COVID-Kongress wurde vom Universitätsklinikum Jena und vom Ärzte- und Ärztinnenverband Long-COVID ausgerichtet. Dieser Verband wurde im Dezember 2021 auf Initiative des Bundesgesundheitsministeriums gegründet. Er soll die Krankheitsbilder, die nach der Genesung von einer akuten SARS-Cov2-Infektion auftreten, erforschen, das Wissen zentral zur Verfügung stellen und den Aufbau von Versorgungseinrichtungen vorantreiben. Zum Konzept des Kongresses gehört der Austausch mit Betroffenen und deren Angehörigen. Diese sind in der Betroffeneninitiative Long-COVID Deutschland organisiert.

www.long-covid-verband.de

Laufende und geplante klinische Studien

Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Berlin, berichtete über die Therapiestudien der Nationalen klinischen Studiengruppe (NKSG), die staatlich gefördert und an der Charité koordiniert werden. Untersucht werden dabei die Immunadsorption, bei der Autoantikörper entfernt werden, die hyperbare Sauerstofftherapie, Methylprednisolon, insbesondere zum Einsatz bei schweren neurokognitiven Symptomen, und Vericiguat (Verquvo®), das auf die Minderperfusion der peripheren Gefäße zielt, die bei vielen Betroffenen beobachtet wird. Vericiguat ist zugelassen zum Einsatz bei chronischer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion, die nach einem kürzlich aufgetretenen Dekompensationsereignis, das eine intravenöse Therapie erforderte, stabilisiert wurde. Es führt unabhängig von Stickstoffmonoxid zu einer Vasodilatation der glatten Muskulatur. Als wesentliche Frage für alle Studien betonte Scheibenbogen, bei welchem Marker die Patienten auf welche Therapie ansprechen. Als Beispiele für weitere Arzneimittel, zu denen nationale oder internationale Studien vorbereitet oder durchgeführt werden, nannte Scheibenbogen den Immunmodulator Efgartigimod alfa beim Posturalen Tachykardie-Syndrom (POTS), das bei vielen Long-COVID-Patienten auftritt, das Aptamer BC007 bei Fatigue, den Januskinase-Inhibitor Baricitinib bei kognitiven Problemen sowie Metformin, Fluvox­amin, Ibudilast und Pentoxifyllin.

Prof. Dr. Bernhard Schieffer, Marburg, betonte die zentrale Rolle des ACE-Rezeptors als Bindungsstelle für SARS-CoV2. Damit biete sich das RAA-System als Target an. Sein Forschungsansatz zielt darauf, dass Sartane, vorzugs­weise in Kombination mit Statinen, bei frühem Einsatz eine Chronifizierung in Form von Long-COVID verhindern könnten. In diesem Zusammenhang hat Schieffer die Proteinexpression bei Long-COVID untersucht und dabei große Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede im Expressionsmuster zwischen Betroffenen nach einer Infektion und nach einer Impfung (Post-Vac) gefunden.

Häufige Off-label-Anwendung

Als derzeit praktizierte Off-label-Behandlungen nannte Scheibenbogen Pyridostigminbromid (Mestinon®) sowie niedrig dosiertes Naltrexon (low-dose Naltrexon, LDN) und Aripiprazol (low-dose Aripiprazol, LDA). Diese Ansätze stammen aus der Behandlung von ME/CFS. Die Zusammenhänge zwischen der Fatigue bei Long-COVID einerseits und dem chronischen Fatigue-Syndrom sowie dem Zustand nach Sepsis andererseits werden zunehmend deutlich und wurden in vielen Vorträgen angesprochen. Sie sollten auch die Suche nach Therapien voranbringen. Dr. Jördis Frommhold, Rostock, bietet mit dem „Institut Long-COVID“ Orientierung für Betroffene und behandelnde Ärzte zur praktischen Versorgung und individuellen symptomatischen Behandlung. Als Beispiele für häufig eingesetzte Arzneimittel nannte sie Prednisolon 5 mg täglich über ein bis drei Tage zur Crash-Prophylaxe bei absehbaren Belastungen, Prednisolon als Stoßtherapie über Wochen, niedrig dosiertes Naltrexon bei Fatigue und Schmerzen, Dronabinol als Alternative zu Opiaten bei Schmerzen, Antihist­aminika und Cromoglicinsäure bei Histamin-Unverträglichkeit, Sartane und Statine bei kardialen Symptomen und niedrig dosiertes Bisoprolol beim POTS. Die im vorigen Jahr viel diskutierte gerinnungshemmende Tripel-Therapie wurde nicht mehr erwähnt.

Neue Idee: Nicotin

Während die Erfahrung zu bekannten Ansätzen wächst, werden gelegentlich neue Ideen propagiert. Dr. Marco Leitzke, Leipzig, berichtete über die These, dass ein bestimmter Abschnitt des Spike-Proteins von SARS-CoV2 dauerhaft an nicotinerge Acetylcholin-Rezeptoren gebunden bleibt. Dies könne viele typische Long-COVID-Symptome erklären. Da Nicotin eine viel stärkere Bindungsaffinität habe, sollte es die unerwünschten Proteine verdrängen können. An vier Probanden habe der Einsatz von niedrig-dosierten Nicotin-Pflastern erfolgreich gewirkt. Die Veröffentlichung habe viele Nachahmer angeregt. Dabei komme es auf die kontinuierliche Zufuhr an, Rauchen sei keine Option, betonte Leitzke. Kontrollierte Studien dazu gebe es jedoch nicht.

Keine Reha nach Plan

In den vielen Vorträgen zu Reha-Maßnahmen wurde das zentrale Problem deutlich, dass die Grundidee einer klassischen Reha dem Grundproblem von Long-COVID zuwiderläuft. Das zentrale und typische Problem der meisten Betroffenen ist die post-exertionelle Malaise (PEM) oder Belastungsintoleranz, bei der schon eine kleine (Mehr-)Belastung zu einer unverhältnismäßigen langandauernden Erschöpfung führt. Ein starres Reha-Konzept kann daher schwere Schäden anrichten. Dr. Claudia Ellert, Betroffeneninitiative Long-COVID Deutschland, erklärte dazu, bei Long-COVID könne nur ein flexibles individualisiertes Reha-Programm eingesetzt werden, das die Belastungsintoleranz berücksichtigt und täglich nachgebessert wird. „Es gibt keine Reha nach Plan für Long-COVID“, folgerte Ellert und ergänzte: „Man muss zuhören und den Betroffenen glauben.“ |

Literaturtipp

Die Spätfolgen von COVID-19 sind noch nicht absehbar. Umso wichtiger ist es, das körper­eigene Immunsystem ausreichend mit Mikronährstoffen zu versorgen, damit die biochemischen Abwehrmechanismen funktionieren. Erfahren Sie,

  • welche Mikronährstoffe für das Immunsystem relevant sind,
  • warum SARS-CoV-2 verschiedene Organe befallen kann und immer mehr Spätfolgen als Long-COVID sichtbar werden,
  • wie Mikronährstoffe die Resilienz fördern können.
  • die Zusammenhänge einer COVID-19-Infektion auf zellulärer Ebene.

Uwe Gröber

COVID-19 und Long-COVID

Bessere Resilienz durch immunrelevante Mikronährstoffe

gebunden, 2. Auflage, 240 Seiten, 14 farb. Abb., 6 farb. Tab., 69 farb. Grafiken, 15,3 × 23,0 cm, ISBN: 978-3-8047-4329-8, 32,80 Euro

Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2023

Einfach und schnell bestellen

Deutscher Apotheker Verlag, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart

Tel. 0711 2582-341, Fax: 0711 2582-290

E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de

oder unter www.deutscher-apotheker-verlag.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.