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Arzneimittel und Therapie
Vorsicht bei Paxlovid und Opioiden
Zu Interaktionen des COVID-19-Therapeutikums sicher beraten
Das antivirale Arzneimittel Paxlovid® (Nirmatrelvir/Ritonavir) kann zu zahlreichen Interaktionen führen. Diese sind unter anderem dem Wirkverstärker Ritonavir geschuldet, der ein starker Inhibitor des Cytochrom-P450-Enzyms CYP3A4 ist. Zu den Wirkstoffgruppen, die von Interaktionen mit Nirmatrelvir/Ritonavir betroffen sind, gehören auch Opioide. Ein ersatzloses Absetzen eines Opioids ist indes keine Lösung, wie ein von einer Gruppe US-amerikanischer Palliativmediziner publizierter Fall zeigt [1, 2]: Ein 59-jähriger Tumorpatient erhielt zur Schmerzlinderung transdermales Fentanyl in einer Dosierung von 37,5 µg/h, was eine gute Schmerzkontrolle ermöglichte. Aufgrund einer COVID-19-Infektion mit leichter Symptomatik wurde ihm eine fünftägige Einnahme von Nirmatrelvir/Ritonavir verordnet. Ein Apotheker machte ihn auf mögliche Interaktionen zwischen Fentanyl und dem antiviralen Arzneimittel aufmerksam, insbesondere auf eine schwere Atemdepression, und riet, das Opioid abzusetzen. Daraufhin entfernte der Patient sein Pflaster und litt in der Folge unter zunehmenden Schmerzen, extremer Fatigue, Diarrhö und Schweißausbrüchen. Dennoch beschloss er aus Angst vor einer Atemdepression auch nach der fünftägigen Einnahme von Nirmatrelvir/Ritonavir vorerst auf Fentanyl zu verzichten. In der Schmerzambulanz wurde die Opioid-Therapie langsam wieder eingeleitet. Erst drei Wochen später war der Patient mit Fentanyl transdermal wieder schmerzfrei.
Interaktionen bewerten
Das Fentanyl abzusetzen, empfahl der Apotheker aufgrund einer Interaktionsmeldung zu einem erhöhten Risiko für eine schwere Atemdepression. Die zugrunde liegende Überlegung, dass Fentanyl über CYP3A4 abgebaut wird und bei gleichzeitiger Behandlung mit Nirmatrelvir/Ritonavir ein Anstieg der Plasmakonzentration von Fentanyl erfolgt, ist richtig. Nicht bedacht wurde hingegen das Ausmaß der Interaktion, und unberücksichtigt blieben die Folgen durch das Absetzen des starken Analgetikums bei einem Schmerzpatienten. Ferner unterblieb eine Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Schmerztherapeuten.
Aktuelle Forschungsergebnisse und Empfehlungen zur Einnahme von Paxlovid
Rebound-Phänomen: In einer Beobachtungsstudie wurde die Häufigkeit eines virologischen Rebounds bei COVID-19-Patienten untersucht, die mit Paxlovid® (Nirmatrelvir/Ritonavir) behandelt wurden. Ein Teil der Patienten (n = 72) erhielt eine fünftägige Therapie mit dem antiviralen Arzneimittel, der andere Teil (n = 55) blieb unbehandelt. In beiden Gruppen wurde die virale Last mindestens dreimal pro Woche für mindestens 14 Tage erfasst. 20,8% der Teilnehmer, die Paxlovid einnahmen, zeigten einen virologischen Rebound, während dies nur bei 1,8% der Unbehandelten auftrat. Patienten, bei denen ein Rebound-Phänomen vorkam, schieden das replikationskompetente Virus über einen längeren Zeitraum aus als Patienten, bei denen dies nicht auftrat. Ein Paxlovid-Rebound ging nicht immer mit Symptomen einher. Die Autoren schlagen vor, fünf Tage nach Ende einer Therapie mit Nirmatrelvir/Ritonavir einen Antigentest durchzuführen. So kann ein viraler Rebound erkannt und die Patienten eventuell länger isoliert werden, um eine Ansteckungsgefahr zu verhindern [6].
„Paxlovid-Mund“: Geschmacksstörungen gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Therapie mit Paxlovid® (Häufigkeit laut Fachinfo: 4,6% [3]). Immer wieder berichten Patienten von einem anhaltenden schlechten bzw. bitteren Geschmack im Mund – daher wurde in diesem Zusammenhang der Begriff Paxlovid-Mund geprägt. Forscher haben nun untersucht, wie es zu diesem Effekt kommt. Von Ritonavir, das auch in anderen Kombinationsarzneimitteln enthalten ist, ist eine solche anhaltende Nebenwirkung nicht bekannt. Daher fokussierten die Wissenschaftler ihre Untersuchung auf Nirmatrelvir. Sie stellten fest, dass der Wirkstoff den Bittergeschmacksrezeptor TAS2R1 aktiviert [7]. Eine Behandlung gegen den Paxlovid-Mund gibt es bislang nicht. Patienten sollten dennoch ermutigt werden, ihre Therapie fortzuführen. Experten empfehlen, Lebensmittel zu meiden, die einen metallischen bzw. bitteren Geschmack verursachen, z. B. Zitrusfrüchte oder Kaffee. Minzpastillen oder Ähnliches könnten den schlechten Geschmack eventuell überdecken [8].
WHO-Empfehlung: Die Living Guideline der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu COVID-19-Therapeutika wurde zuletzt im November 2023 aktualisiert. Darin wird eine Therapie mit Nirmatrelvir/Ritonavir nach wie vor für Patienten mit nicht schwerer COVID-19-Erkrankung, aber hohem Hospitalisierungsrisiko stark empfohlen. Eine bedingte Empfehlung gegen den Einsatz der antiviralen Kombination bei Patienten mit niedrigem Hospitalisierungsrisiko blieb ebenfalls bestehen. Neu wurde in der Leitlinie eine Patientengruppe mit moderatem Risiko für eine Hospitalisierung definiert. Für diese Patienten gilt eine bedingte Empfehlung für eine Therapie mit Paxlovid®. Bei Schwangeren und Stillenden, die nicht schwer an COVID-19 erkrankt sind, kann die Einnahme von Nirmatrelvir/Ritonavir erwogen werden [9].
Eine Interaktionswarnung sollte nicht automatisch zum Absetzen eines Arzneimittels führen. Ein erster Schritt ist es, die Interaktion einzuschätzen und danach nach möglichen Alternativen zu suchen. In einigen Fällen hilft bereits die Fachinformation weiter, in anderen sind weitere Datenbanken oder spezielle Informationsquellen erforderlich, z. B. hätten folgende Quellen geholfen:
- In der Fachinformation von Paxlovid® wird auf eine erhöhte Fentanyl-Konzentration unter der Einnahme hingewiesen. Es wird empfohlen, eine Dosisreduktion des Analgetikums in Betracht zu ziehen und die therapeutischen Wirkungen und Nebenwirkungen (einschließlich der Atemdepression) engmaschig zu überwachen [3].
- In der Interaktionsdatenbank zu COVID-19-Arzneimitteln der University of Liverpool (www.covid19-druginteractions.org) wird ebenfalls auf die Gefahr einer Atemdepression aufgrund einer erhöhten Serumkonzentration von Fentanyl hingewiesen. Die gleichzeitige Gabe beider Arzneimittel würde eine Dosisanpassung von Fentanyl und ein sorgfältiges Monitoring erfordern. Wird entschieden, Fentanyl abzusetzen und ein anderes Analgetikum zu geben, so sollte die Fentanyl-Therapie frühestens drei Tage nach der letzten Paxlovid®-Gabe wieder aufgenommen werden [4].
- In dem Online-Tool der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin e. V. (Hrsg.) „Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid™) interaktive Checkliste für den Einsatz“ wird Fentanyl unter den Arzneimitteln aufgelistet, die nur unter besonderer Vorsicht gleichzeitig mit Paxlovid® eingesetzt werden sollten. Als mögliche Alternativen werden Paracetamol, Ibuprofen und Diclofenac aufgeführt [5].
Sicht der Palliativmediziner
Eine Opioid-Rotation auf einen Wirkstoff mit geringerem Interaktionspotenzial wäre aus Sicht der Autoren des Fallberichts richtig gewesen. In dem konkreten Sachverhalt schlagen sie retardiertes Morphin in Kombination mit schnell freisetzendem Morphin vor. Sie weisen ferner darauf hin, dass mögliche Interaktionen zwischen Opioiden und Nirmatrelvir/Ritonavir neben dem Wechsel des Opioids durch Reduktion der Opioid-Dosis und engem klinischen Monitoring gehandhabt werden können. |
Literatur
[1] Admane S et al. Safely prescribing opioids with Nirmatrelvir/Ritonavir – Case report and management recommendations. J Pain Symptom Manage 2023, doi: 10.1016/j.jpainsymman.2023.09.027
[2] Schumacher B. Interaktionswarnung für COVID-19-Medikament: Das war die falsche Reaktion. Schmerzmed 2023;39:15, doi: 10.1007/s00940-023-4318-7
[3 Fachinformation Paxlovid® Stand: Oktober 2023
[4] Interaktionsdatenbank zu COVID-19-Arzneimitteln, University of Liverpool, www.covid19-druginteractions.org/checker
[5] Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid™): Interaktive Checkliste für den Einsatz. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) (Hrsg.) unter Beteiligung weitere Fachgesellschaften, Stand: 07. November 2022
[6] Edelstein GE et al. SARS-CoV-2 virologic rebound with nirmatrelvir-ritonavir therapy. Ann Intern Med 2023:M23-1756, doi: 10.7326/M23-175
[7] Caronia L et al. Paxlovid mouth likely is mediated by activation of the TAS2R1 bitter receptor by nirmatrelvir. Biochem Biophys Res Commun 2023;682:138-140, doi: 10.1016/j.bbrc.2023.10.001
[8] Paxlovid Mouth: What It Is and How To Find Relief. Informationen der Cleveland Clinic, 25. Juli 2023
[9] Agarwal A et al. A living WHO guideline on drugs for covid-19. BMJ 2020;370:m3379, letzte Aktualisierung: 10. November 2023
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