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Beratung

Wohngemeinschaft Darm

Die Bedeutung der intestinalen Mikrobiota für Verdauung und Gesundheit

Ohne sie geht (fast) nichts – jeder Mensch beherbergt in seinem Darm mehrere Hundert Gramm Bakterien. Unsere Mitbewohner spielen nicht nur eine wichtige Rolle bei der Fermentation von Nahrungsbestandteilen, die durch Verdauungsenzyme nicht aufgespalten werden können. Sie verhindern außerdem, dass sich pathogene Mikroorganismen ansiedeln, produzieren Vitamine und weitere Substanzen für den Stoffwechsel der Darmepithelzellen und für das Immunsystem, kommunizieren über die Darm-Hirn-Achse mit dem Gehirn und beeinflussen den Arzneistoffmetabolismus. In den letzten Jahren wurden zahlreiche neue Erkenntnisse zu Zusammenhängen zwischen der Darmmikrobiota und verschiedenen Erkrankungen gewonnen, die auch für die Beratung in der Apotheke von Bedeutung sein können. | Von Claudia Bruhn

Der menschliche Körper ist außen und im Inneren mit vielen unterschiedlichen Mikroorganismen, der Mikrobiota, besiedelt. Sie werden häufig als Mikrobiom bezeichnet, obwohl dieser Begriff eigentlich für die Gesamtheit ihrer genetischen Informationen steht. Die heute noch häufig verwen­dete Bezeichnung Darmflora geht auf die frühere Annahme zurück, dass die Darmbewohner pflanzlichen Ursprungs sind (Pflanzenwelt = Flora). Zur gesamten Keimzahl gibt es verschiedene Angaben; sie reichen von einigen Billionen bis zu mehreren Trilliarden. Die größte Mikroben-Dichte befindet sich im Darm. Sie umfasst neben Bakterien auch Archaea, Viren, Hefen, Pilze und Protozoen. Die Untersuchung der darmbewohnenden Bakterien eines 70 Kilogramm schweren „Referenz-Mannes“ hatte im Magen, im Zwölf­fingerdarm und im oberen Dünndarm (Jejunum) Konzentrationen zwischen 103 und 104 und im unteren Dünndarm (Ileum) von 108 Bakterien pro Milliliter ergeben. Den größten Beitrag zur Bakterienmasse lieferte das Kolon mit 1011 Bakterien/ml Darminhalt [1].

Neue Nomenklatur der Bakterienstämme

Die ersten mikroskopischen Analysen des menschlichen Stuhls reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Doch erst die Methode der DNA-Sequenzierung und das 2008 gestartete Human Microbiom Project ermöglichten den Beginn einer umfassenden Charakterisierung der vielfältigen Mikrobenwelt im Darm ([2], s. Kasten „Methoden der Mikrobiom-Bestimmung“). Für die wissenschaftliche Verständigung stellen die korrekte Zuordnung und Bezeichnung der bekannten sowie auch der neu entdeckten Mikroorganismen eine große Herausforderung dar. Die Regeln für die Nomenklatur der Bakterien, die zu den Prokaryoten gehören, legt die Internationale Kommission für die Systematik der Prokaryoten (International Committee on Systematics of Procaryotes, ICSP) fest. Im Jahr 2021 hatte dieses Gremium beschlossen, dass die taxonomische Kategorie „Stamm“ (phylum) die Endung -ota erhalten soll. Dies führte auch zu Namensänderungen bei Bakterienstämmen, die den Darm bewohnen (s. Tab. 1) [3 – 6].

Entwicklung und Veränderungen der Darmmikrobiota

Die Besiedlung des Darms beginnt bereits im Mutterleib. Das frühere Paradigma, dass der Darm von Neugeborenen vor dem ersten Kontakt mit Mikroorganismen der mütter­lichen Vaginalschleimhaut – bzw. bei Kaiserschnitt-Entbindung mit Bakterien der Haut – steril ist, wurde bereits vor mehr als zehn Jahren durch verschiedene Untersuchungen infrage gestellt. So konnten bei gesunden Neugeborenen direkt nach der Entbindung Bakterien im Mekonium nachgewiesen werden [7]. Gegen Ende des ersten Lebensjahres ist der Darm vollständig mit Mikroorganismen besiedelt. Im dritten Lebensjahr erreicht die Zusammensetzung der Mikrobiota ungefähr die Stabilität wie bei Erwachsenen. Bei gesunden Menschen bleibt sie dann zu 60 bis 70% konstant. Der übrige Anteil kann sich nach Ernährungsumstellungen, aber auch infolge von Infektionen, Antibiotika-Behandlungen, Operationen oder körperlicher Anstrengung mehr oder weniger stark sowie auch relativ rasch, das heißt innerhalb von ein bis zwei Tagen, verändern [8, 9].

Die Mehrzahl der Darmbakterien wird den Phyla Bacteroidota (früher Bacteroidetes) und Bacillota (früher Firmicutes) zugeordnet. Seltener sind Actinomycetota (früher Actinobacteria), Verrucomicrobiota (früher Verrucomicrobia) und Pseudomonadota (früher Proteobacteria) (s. Tab. 1).

Tab. 1: Taxonomie der häufigsten Bakterien im menschlichen Darm. Die Systematik der Bakterien folgt absteigend der Hierarchie Stamm → Klasse → Ordnung → Familie → Gattung → Art. Zur vereinfachten Darstellung wurden nicht alle Kategorien verwendet. Als „Bakterienstämme“ werden in Präparaten auch bestimmte Vertreter einer Art bezeichnet, z. B. Bifidobacterium animalis DN173010.
Bakterienstamm (phylus), neue Bezeichnung
Bakterienstamm, frühere Bezeichnung
Anteil
Bakteriengattung (genus), Beispiele
Arten (spezies), Beispiele
Bacillota
Firmicutes
< 50%
Clostridium (C.), Eubacterium, Ruminococcus, Roseburia, Lactobacillus (L.), Enterococcus, Streptococcus
C. difficile, L. casei
Bacteroidota
Bacteroidetes
< 40%
Bacteroides (B.), Parabacteroides, Prevotella
B. uniformis
Actinomycetota
Actinobacteria
< 10%
Bifidobacterium (B.)
B. breve
Verrucomicrobiota
Verrucomicrobia
< 3%
Akkermansia (A.)
A. muciniphila
Pseudomonadota
Proteobacteria
< 2%
Escherichia (E.), Enterobacter, Citrobacter
E. coli

Enterotypen: die Ordnung der Vielfalt

Im Jahr 2011 gelang einer Heidelberger Forschergruppe, in der beträchtlichen Zahl der Darmbakterien-Gene bestimmte Muster zu identifizieren. Jeweils eine der drei Bakteriengattungen Bacteroides, Prevotella oder Ruminococcus war bei den Probanden mehrheitlich vertreten. Die Wissenschaftler entwickelten daraus eine Einteilung in drei Enterotypen:

  • Enterotyp 1 mit Bacteroides-Spezies als mehrheitlichen Darmbewohnern,
  • Enterotyp 2, bei dem Prevotella dominiert, und
  • Enterotyp 3, bei dem Ruminococcus in Kombination mit Akkermansia überwiegt.

Ihre Verbreitung erwies sich als global und unabhängig von Alter und Geschlecht [10]. Die drei Enterotypen unterscheiden sich bezüglich der Verstoffwechslung von Kohlenhydraten, Lipiden und Proteinen sowie bei der Herstellung von bestimmten Substanzen wie beispielsweise Vitaminen und bei der Entgiftung.

Bacteroides besitzen grundsätzlich die Fähigkeit, alle Makronährstoffe aufzuspalten und daraus Energie zu gewinnen. In Studien überwog der Enterotyp 1 jedoch bei Menschen, die über längere Zeit Nahrung mit hohem Anteil von tierischem Eiweiß und gesättigten Fettsäuren zu sich nahmen. Bacteroides können außerdem die Vitamine B2, B5 und B7 (Biotin) sowie Vitamin C produzieren.

Prevotella-Bakterien sind in der Lage, komplexe Kohlen­hydrate zu verwerten. Außerdem können sie Vitamin B1und Folsäure synthetisieren. Der Enterotyp 2 wurde in Studien häufiger bei Vegetariern gefunden, die sich ballaststoffreich und fettarm ernährten und selten Milch oder Eier konsumierten.

Der Enterotyp 3 kam überwiegend bei Menschen vor, die über längere Zeit reichlich Obst und Gemüse verzehrten, jedoch auch bei Ernährung mit tierischen Produkten. Ruminokokken produzieren überwiegend die kurzkettige Fettsäure Buttersäure, die der Energieversorgung der Epithelzellen der Dickdarmschleimhaut dient und außerdem antiinflammatorische Eigenschaften besitzen soll.

Einige Autoren sehen die Einteilung in die drei Enterotypen kritisch, da sie potenziell wichtige mikrobielle Variationen verschleiern kann. Sie hat sich deshalb nicht in allen Studien durchgesetzt [11 – 13].

Methoden der Mikrobiom-Bestimmung

Der überwiegende Anteil (80%) der Darmbakterien ist anaerob und deshalb im Labor nicht kultivierbar. Die derzeit gebräuchlichste Bestimmungsmethode ist die 16S rRNA-Gensequenzierung. Damit können Bakterien bis auf die Genus-Ebene differenziert werden. Dagegen erlaubt die DNS-Sequenzierung (Metagenomics-Methode) eine Erfassung der Bakterien bis auf die Spezies-Ebene. Um die Stoffwechselleistung der Darmbakterien zu bestimmen, wird die Metabolomics-Methode eingesetzt, bei der mittels Massenspektroskopie und NMR die Stoffwechselprodukte der Mikrobiota analysiert werden. Häufig werden Metagenomics und Metabolomics kombiniert [12].

Im Internet werden zahlreiche „Darmflora-Tests“ angeboten. Die Labore bieten an, aus den Ergebnissen Ernährungs- und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Derartige Untersuchungen stellen jedoch nur eine Momentaufnahme des Mikrobioms dar und sind als Einzeltest schwer zu interpretieren. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) rät von solchen Tests ab. Aus den Ergebnissen von Darmflora-Stuhltests würden oft Ernährungsempfehlungen abgeleitet, die die Lebensqualität des Patienten einschränken und im schlimmsten Fall sogar zu einer Mangelernährung führen könnten. Außerdem seien die genauen Zusammenhänge zwischen Ernährung, Mikrobiom, Darm­gesundheit und dem Zustand anderer Organe bislang nur unzureichend verstanden [30].

Die Mikrobiota-Zusammensetzung als prognostischer Marker?

Ein Ungleichgewicht der Darmmikrobiota oder die Dominanz bestimmter Bakteriengattungen wird nicht nur mit einem erhöhten Risiko für Magen-Darm-Krankheiten wie Reflux, Magengeschwür oder Reizdarmsyndrom, sondern auch mit Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang gebracht. In der Medizin besteht ein großes Interesse daran, diese Zusammenhänge aufzuklären. Wenn sich die bisherigen Hypothesen bestätigen, könnten Mikrobiom-Bestimmungen in Zukunft Behandlungsentscheidungen beeinflussen und das unterschiedliche Ansprechen auf Therapien erklären. Obwohl noch nicht abschließend geklärt ist, welche Bakte­riengattungen als prognostische Marker infrage kommen, gibt es auf diesem Gebiet eine Vielzahl interessanter Forschungsergebnisse, von denen beispielhaft einige kurz vorgestellt werden sollen.

Adipositas und Mikrobiota

Bereits 2006 wurden in der Fachzeitschrift Nature Untersuchungen mit keimfreien Mäusen publiziert, die Stuhltransplantate entweder von normalgewichtigen oder adipösen Artgenossen erhalten hatten. Dass Letztere eher Übergewicht entwickelten, führten die Forscher darauf zurück, dass ihre Mikrobiota besser als bei den Normalgewichtigen in der Lage ist, Energie aus dem Futter zu gewinnen.

Im gleichen Journal publizierten die Autoren Beobachtungen, dass Übergewichtige einen geringeren Anteil von Bacteroidetes (neu: Bacteroidota) in ihrem Darm aufwiesen als schlanke Probanden. Durch eine kalorienreduzierte Diät und damit verbundene Gewichtsabnahme nahm deren Anteil zu [14, 15]. In den Folgejahren haben zahlreiche Untersuchungen die Hoffnung genährt, dass es möglich sein könnte, Adipositas durch Einnahme von Probiotika zu bekämpfen. Die Gattungen Lactobacillus und Bifidobacterium sowie Akkermansia muciniphila wurden dabei als vielversprechendste Vertreter identifiziert. Es zeige sich jedoch, dass nicht alle Bifidobakterien und Laktobazillen wirksam sind und die Effekte zudem sehr artspezifisch sein können. Viele Autoren sind deshalb der Ansicht, dass noch mehr Erkenntnisse zur Behandlungsdauer, den Dosierungen und den Langzeitwirkungen vorliegen müssen, bevor mit Probiotika eine rationale Adipositas-Therapie möglich ist [16].

Eine artspezifische Studie wurde 2021 mit dem Stamm Hafnia alvei HA4597 (Symbiolife® Satylia® Kapseln) publiziert. Darin konnte gezeigt werden, dass dieser anorexigene Signalwege aktiviert. Die appetithemmende Wirkung soll dabei über das α-Melanozyten stimulierende Hormon (α-MSH) erreicht werden, das im Melanocortin-System als anorexigenes Regulationshormon fungiert. So bildet der probiotische Stamm die kaseinolytische Protease B, die eine ähnliche Konformation wie das α-MSH hat und über diesen Weg das Sättigungsgefühl steigern soll [31].

Auch bei der Magersucht scheint die intestinale Mikrobiota eine wichtige Rolle zu spielen. So konnte durch Unter­suchungen von Stuhlproben gezeigt werden, dass sich die Zusammensetzung der Darmflora von Anorexia-nervosa-Patientinnen von der gesunder Normalgewich­tiger unterscheidet [32].

Alzheimer-Krankheit und Mikrobiota

Gattungen wie Saccharomyces, Bacillus, Lactobacillus, Escherichia und Bifidobacterium können Neurotransmitter wie GABA, Acetylcholin, Dopamin, Glutamat und Serotonin sowie Neuromodulatoren wie kurzkettige Fettsäuren synthetisieren. Einige Bakterien sind außerdem in der Lage, größere Mengen an Amyloiden und Lipopolysacchariden zu produzieren, die sowohl die Darmbarriere als auch die Blut-Hirn-Schranke durchlässig machen und überwinden können. Aus diesen Erkenntnissen entwickelte sich die Hypothese, dass die Darmbakterien bzw. Störungen ihres gesunden Gleichgewichts (Dysbiose) in die Pathogenese sowohl von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer als auch psychiatrischen Krankheiten involviert sind. Umgekehrt beeinträchtigen neurodegenerative Erkrankungen häufig die Darmfunktionen, woraus sich ein Teufelskreis entwickeln kann [17 – 19]. Hinweise aus Tierstudien lassen vermuten, dass Probiotika oder spezielle Diäten die pathologischen Veränderungen bei der Entwicklung von Alzheimer mildern können. In einer der wenigen publizierten randomisierten doppelblinden placebokontrollierten Humanstudien mit Probiotika verbesserte die Einnahme von Bifidobacte­rium breve MCC1274 über 16 Wochen bei ansonsten gesunden Probanden, die von milden kognitiven Einschränkungen betroffen waren, bestimmte kognitive Funktionen [20].

Arteriosklerose und Mikrobiota

Auch in die Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen ist das Mikrobiom wahrscheinlich involviert. Verschiedene Studien haben Hinweise darauf geliefert, dass von Darmbakterien produzierte Substanzen wie sekundäre Gallensäuren, Trimethylamin-N-oxid oder die bereits genannten kurzkettigen Fettsäuren bei der Pathogenese der Arteriosklerose eine Rolle spielen könnten. Es ist jedoch noch unklar, welche Mikroorganismen für die klinische Anwendung am sinnvollsten wären [21]. Ein interessanter Ansatz ist die Modulation der Darmmikrobiota, um ein besseres Ansprechen lipidsenkender Wirkstoffe wie der Statine zu erreichen. In einer Untersuchung mit Hyperlipidämie-Patienten hatte sich gezeigt, dass diejenigen, die gut auf ein Statin angesprochen hatten, eine größere Diversität der Darm­mikrobiota besaßen. Die Statin-sensitiven Patienten wiesen signifikant höhere Anteile an Lactobacillus, Eubacterium, Faecalibacterium und Bifidobacterium auf, wogegen Clostridien signifikant seltener vorkamen als bei den Statin-resistenten Personen [22].

Diabetes mellitus Typ 2 und Mikrobiota

Verschiedene Untersuchungen haben deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung der Mikrobiota bei Diabetes-Patienten und Gesunden gezeigt. Es ist aber noch unklar, ob diese Unterschiede die Ursache oder die Folge der Erkrankung sind. Wahrscheinlich gibt es einen bidirektionalen Zusammenhang zwischen Diabetes und Mikrobiota: Die Erkrankung verändert die Zusammensetzung der Darmbakterien, und die Mikrobiota hat wiederum Auswirkungen auf die Pathophysiologie des Diabetes [23]. Für fast alle oralen Antidiabetika konnte in Tiermodellen gezeigt werden, dass sie die Zusammensetzung der Mikrobiota beeinflussen. In einer kürzlich publizierten Pilotstudie wurde die bakterielle Diversität bei Patienten unter Liraglutid oder Dulaglutid untersucht. Dabei fand man signifikante Unterschiede zwischen Respondern und Non-Respondern. Bei Patienten, die auf die Behandlung mit GLP-1-Rezeptorantagonisten angesprochen hatten, fand man unter anderen überwiegend Bakterien der Gattungen Bacteroides und Roseburia, während bei den Non-Respondern bestimmte Vertreter der Gattungen Prevotella und Ruminococcus dominierten. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 das Augenmerk auch auf die Darm­gesundheit gelegt werden sollte [24, 25].

Kolorektalkarzinom und Mikrobiota

Veränderungen der Darmmikrobiota spielen vermutlich eine Schlüsselrolle bei der Tumorentstehung im Dickdarm. In einer 2011 publizierten Arbeit wurde die Bakterien-DNA von Patienten nach einer Koloskopie untersucht. Bei denen, die anschließend die Diagnose Kolorektalkarzinom erhalten hatten, war der Anteil des Prevotella-Mikrobioms signifikant höher [26]. In einer späteren Untersuchung zu dieser Thematik wurden die Tumorpatienten länger nachbeobachtet und ihre Mikrobiota stärker differenziert. Dabei war bei Patienten mit Enterotyp 1 das progressionsfreie und Gesamtüberleben kürzer als bei denen mit Prevotella-Dominanz (Enterotyp 2) [27].

Reizdarmsyndrom und Mikrobiota

Für Informationen zum Zusammenhang zwischen der Darmmikrobiota und dem Reizdarmsyndrom (RDS) ist die aktuelle Leitlinie „Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie“ eine aufschlussreiche Quelle [29]. Grundsätzlich besteht bei den Autoren dieser Leitlinie ein starker Konsens, dass das Reizdarmsyndrom mit einem veränderten Darm-Mikrobiom und -Metabolom assoziiert sein kann. Ein Auslöser dafür können vorange­gangene Antibiotikatherapien sein. Insbesondere bei Patienten mit Diarrhö-prädominantem Reizdarmsyndrom (RDS-D) fanden sich hinsichtlich der Zusammensetzung der Darm­mikrobiota signifikante Unterschiede im Vergleich zu gesunden Kon­trollen. Es ist jedoch noch nicht eindeutig geklärt, welche Bakteriengattungen beim Reizdarmsyndrom dominieren, da dazu unterschiedliche Studienergebnisse vorliegen.

Probiotika bei Reizdarmsyndrom

Generell besteht Konsens, dass ausgewählte Probiotika in der Behandlung des Reizdarmsyndroms eingesetzt werden sollten. Die Leitlinienautoren verweisen aber auch darauf, dass laut den aktuellen Publikationen Probiotika in der Therapie des Reizdarmsyndroms nicht generell als wirksam oder unwirksam eingestuft werden können. Vielmehr müsse differenziert werden, für welche probiotischen Spezies bei welcher Patientengruppe die Wirksamkeit in kontrollierten Studien nachgewiesen werden konnte. Dabei sei auch zu beachten, dass es sich bei diesen Untersuchungen teilweise um kleine Pilotstudien handelt, deren Ergebnisse erst in größer angelegten Studien bestätigt werden müssen. Tabelle 2 zeigt in Deutschland gebräuchliche probiotische Stämme, für die in randomisiert-kontrollierten Studien signifikant positive Effekte beim Reizdarmsyndrom gezeigt werden konnten.

Tab. 2: Probiotische Bakterienarten, zu denen aus randomisierten, kontrollierten Studien an Patienten mit Reizdarmsyndrom positive Effekte auf Symptome, Befindlichkeiten und/oder Lebensqualität vorliegen. In einigen Studien zeigte sich jedoch keine Über­legenheit gegenüber Placebo. Auch für Kombinationspräparate (Multispezies-Präparate) liegen positive Ergebnisse aus Studien vor [29].
Bakterienart
vorherrschende Reizdarm-Symptome
Präparate mit diesen Bakterienarten (Auswahl)
Bacillus coagulans MTCC 5856
Blähungen, Diarrhö und abdominelle Schmerzen
Lactospore® E
Bifidobacterium bifidum MIMBb75
Schmerzen, Blähungen und Stuhlunregelmäßigkeiten
Kijimea® Reizdarm Pro
Bifidobacterium infantis 35624
Leibschmerzen, Blähungen
Alflorex® Inbiotys
Bifidobacterium longum NCC3001
Diarrhö oder gemischtes Stuhlmuster
Pascoflorin® sensitiv
Escherichia coli (DSM 17252)
abdominelle Schmerzen
Pro-Symbioflor®
Lactobacillus acidophilus NCFM
abdominelle Schmerzen
Probielle® Balance
Lactobacillus brevis KB 290
Diarrhö, Bauchschmerzen
natürlich in Kefir vorkommend
Lactobacillus gasseri CP2305
Obstipation- und/oder Diarrhö-Prädominanz
Omniflora® N
Lactobacillus plantarum 299v (DSM 9843)
Schmerzen und Blähungen
Innoval® Microbiotic RDS
Lactobacillus reuteri (DSM 17938)
Obstipation
BiGaia®
Saccharomyces cerevisiae boulardii
abdominelle Schmerzen, Unwohlsein
Perenterol®

Präbiotika bei Reizdarmsyndrom

Präbiotika sind unverdauliche Nahrungsbestandteile, die das Wachstum oder die Aktivität von bestimmten Darmbakterien stimulieren. Zu den häufigsten Präbiotika zählen Inulin und Oligofructose, die zum Beispiel in Chicorée oder Lauch vorkommen. Die S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom enthält zu Präbiotika eine „Kann-Empfehlung“ (Empfehlungsgrad 0 [29]). Kombinationen aus Präbiotika und Probiotika werden unter der Bezeichnung Synbiotika vermarktet. Synbiotika, die als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt sind, enthalten neben verschiedenen lebenden Bakterienarten auch Fructooligosaccharide (z. B. Multilac®, Viviatlac®).

Stuhltransplantation beim Reizdarm

Zum fäkalen Mikrobiomtransfer (FMT, Stuhltransplantation) äußern die Leitlinienautoren, dass es zwar inzwischen mehrere kontrollierte Studien gibt, die moderate therapeutische Effekte zeigen. Es seien aber derzeit zahlreiche technische, ethische und Sicherheitsfragen noch ungelöst [29]. In einer anderen Indikation hat der fäkale Mikrobiomtransfer kürzlich eine Zulassung erhalten. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat das erste, aus Stuhlproben gesunder Menschen hergestellte Präparat (RebyotaTM) genehmigt. Eingesetzt werden kann es bei erwachsenen Patienten, die an wiederkehrenden Infektionen mit Clostridioides difficile leiden, um Durchfälle und andere Infektionsfolgen zu verhindern [28]. |

 

Literatur

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[28] Müller C. Mit fäkaler Mikrobiota gegen Clostridioides difficile. DAZ 2023;2:93, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-2-2023/mit-faekaler-mikrobiota-gegen-clostridioides-difficile

[29] Layer P et al. Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie,Diagnostik und Therapie. Z Gastroenterol 2021 59:1323-1415, AWMF- Registernummer 021-016

[30] Teuer und sinnlos: DGVS rät von Stuhltests zur Analyse des Darm-Mikrobioms ab. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) vom 18.September 2018, www.dgvs.de/wp-content/uploads/2018/09/PM_2018_09_Stuhltests-Mikrobiom.pdf

[31] Buchheit M. Erfolgreich abnehmen: Wie uns das Mikrobiom beim Gewichtsmanagement unterstützt. DAZ 2021;28:38, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2021/daz-28-2021/erfolgreich-abnehmen

[32] Mack I et al. Weight gain in anorexia nervosa does not ameliorate the faecal microbiota, branched chain fatty acid profiles, and gastrointestinal complaints. Sci Rep 2016;6:26752

 

Autorin

Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin und Autorin in Berlin. Seit 2001 schreibt sie Beiträge für Zeitschriften des Deutschen Apotheker Verlags sowie für medizinische Fachverlage.

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