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ALBVVG-Entwurf: Das steckt drin

So will das BMG Engpässe bekämpfen und die Versorgung mit Kinderarzneien verbessern

ks | Seit dem 14. Februar ist der Referentenentwurf des Bundes­gesundheitsministeriums (BMG) für ein Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungs­verbesserungsgesetz (ALBVVG) bekannt. Die Vorhaben, die Apotheken unmittelbar treffen, haben bereits für viel Unmut in der Apothekerschaft gesorgt. Doch was steckt sonst noch drin im Entwurf? Hier ein Überblick über die wichtigsten Regelungen des Entwurfs.

Für die Apotheken ist vor allem ein neuer Absatz 2a in § 129 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) relevant, also in der Norm, die unter anderem die Austauschpflichten und Näheres rund um den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung regelt. Darin sollen Austauschmöglichkeiten für verordnete Arzneimittel verankert werden, für die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Lieferengpass fest­gestellt hat und die versorgungsrelevante und versorgungskritische Wirkstoffe enthalten. Das BfArM wird damit beauftragt, eine entsprechende Liste zu erstellen (§ 52b Abs. 3c Satz 2 (neu) AMG); die Liste soll fortlaufend aktualisiert werden. Besagte Regelung im neuen § 129 Abs. 2a SGB V lehnt sich sodann an die aus der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung bekannten Austauschmöglichkeiten an. Allerdings: Für andere nicht vorrätige Arzneimittel sollen die in der Pandemie bewährten Regeln nicht mehr gelten.

Findet ein Austausch nach dieser neuen Vorschrift statt, ist in der Arzneimittelpreisverordnung ein obligatorischer Zuschlag in Höhe von 0,50 Euro zzgl. Umsatzsteuer vorgesehen.

Geplanter § 129 Abs. 2a SGB V

(2a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Arzneimitteln, die in der Apotheke nicht vorrätig sind und die auf der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach § 52b Absatz 3c Satz 2 Nummer 2 des Arzneimittelgesetzes aufgeführt sind, das verordnete Arzneimittel gegen ein in der Apotheke vorrätiges wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschen. Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern dadurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

1. die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung definierten Messzahl,

2. die Packungsanzahl,

3. die Entnahme von Teilmengen aus Fertigarzneimittelpackungen, soweit die abzugebende Packungsgröße nicht lieferbar ist, und

4. die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

In den Fällen des Austausches nach Satz 1 und 2 findet keine Beanstandung und Retaxation statt.

Weiterhin ist eine neue Vorgabe geplant, wie sich die Zuzahlung berechnet, wenn die Apotheke in solchen Fällen stückeln muss: Werden mehrere kleine Einzelpackungen abgegeben, um die verordnete Menge zu erreichen, ist die Zuzahlung nur einmalig auf der Grundlage der Packungsgröße zu leisten, die mit der abgegebenen Menge vergleichbar ist. Sofern in der Apotheke anstatt der verordneten Packungsgröße nur eine Teilmenge aus dieser Packung abgegeben wird, ist die Zuzahlung um den Prozentsatz zu reduzieren, der von der verschriebenen Packung nicht abgegeben wurde.

Geplanter § 3 Abs. 1a AMPreisV

(1a) Im Falle des Austauschs eines verschriebenen Arzneimittels nach § 129 Absatz 2a des Fünften Buches Sozial­gesetzbuch ist durch die Apotheke ein Zuschlag in Höhe von 50 Cent zuzüglich Umsatz­steuer zu erheben.

Neues Frühwarnsystem

Darüber hinaus sollen weitere Vorgaben in § 52b Arzneimittelgesetz (AMG), in dem die Bereitstellung von Arzneimitteln geregelt ist, nachgeschärft werden. Demnach wird beim BfArM ein Frühwarnsystem zur Erkennung drohender versorgungsrelevanter Lieferengpässe eingerichtet; die Kriterien entwickelt der BfArM-Beirat. Um diese Engpässe abzuwenden oder abzumildern, sollen künftig neben pharmazeutischen Unternehmern und Großhändlern auch Hersteller, krankenhaus­versorgende Apotheken und Krankenhausapotheken verpflichtet sein, dem BfArM Daten zu verfügbaren Beständen, der Produktion (einschließlich der Bezugsquelle der tatsächlich verwendeten Wirkstoffe) und Absatzmenge zur Verfügung zu stellen. Zudem soll eine neue Bußgeldvorschrift für pharmazeutische Unternehmer und Großhändler geschaffen werden, die ihren (jetzt schon bestehenden) Mitteilungspflichten für die vom BfArM erstellte Liste von Fertigarzneimitteln, für die eine regelmäßige Datenübermittlung zur Beurteilung der Versorgungslage erforderlich ist, nicht oder nicht richtig/vollständig/rechtzeitig nachkommen.

Weniger Preisdruck

Es ist überdies eine Reihe von Regelungen vorgesehen, um den Preisdruck auf Generika zu senken und Engpässe künftig zu vermeiden. Durch Lockerungen im Festbetragssystem sollen Anreize zur Produktion in Europa gesetzt werden. So ist etwa geplant, dass der GKV-Spitzenverband Festbetragsarzneimittel künftig schon dann von der Zuzahlung freistellen kann, wenn der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers 20 Prozent unter Festbetrag liegt – derzeit sind es 30 Prozent.

Keine Festbeträge für spezielle Kinderarzneimittel

Außerdem sollen bei der Festbetragsgruppenbildung künftig bestimmte altersgerechte Darreichungsformen für Kinder unberücksichtigt bleiben. Es soll aber Preisobergrenzen geben: Pharmazeutische Unternehmen dürfen den Abgabepreis dieser Arznei­mittel einmalig um bis zu 50 Prozent über dem Festbetrag anheben, der bei einer fiktiven Einordnung in eine Festbetragsgruppe gelten würde.

Das BfArM hat zudem nach Anhörung des Beirats für Lieferengpässe eine aktuelle Liste von Arzneimitteln (verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige) zu erstellen, die aufgrund der zugelassenen Darreichungsformen und Wirkstärken zur Behandlung von Kindern notwendig sind (§ 35 Abs. 5a (neu) SGB V). Diese Liste ist im Bundesanzeiger zu ver­öffentlichen. Ist dies geschehen, hat der GKV-Spitzenverband innerhalb von sechs Wochen die für diese Arzneimittel geltenden Festbeträge auf­zuheben. Auch hier gilt: Der pharmazeutische Unternehmer kann den Abgabepreis um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrages anheben. Dieser Preis gilt dann auch als neue Preisobergrenze im Rahmen des Preismoratoriums.

Neue Vorgaben für Rabattverträge

Ferner sind verschiedene Nachjustierungen in § 130a SGB V vorgesehen, der Norm, die die gesetzlichen und vertraglichen Rabatte pharmazeutischer Unternehmen regelt. Zum einen soll in den Rabattverträgen künftig eine „kontinuierliche versorgungsnahe Bevorratung der voraussichtlich innerhalb eines Drei-Monats-Zeitraums durchschnittlich abzugebenden Menge dieser Arzneimittel“ vereinbart werden müssen. Zudem sollen keine Rabattverträge für Kinderarzneimittel geschlossen werden dürfen, die das BfArM nach den oben genannten Vorgaben bekannt gemacht hat.

Ergänzende Vorgaben für Antibiotika und Onkologika

Nicht zuletzt soll künftig bei Rabattverträgen für onkologische Arzneimittel und Antibiotika der Produk­tionsstandort EU und EWR berücksichtigt werden: Wählt eine Kran­kenkasse oder ihr Verband für den Abschluss eines Rabattvertrags für diese Arzneimittel den Weg des Vergabeverfahrens, sollen Fachlose für die benötigten Wirkstoffe gebildet und mindestens die Hälfte dieser Fachlose an europäische Hersteller vergeben werden. Die mengenmäßige Aufteilung der benötigten Wirkstoffe oder der Bulkware innerhalb der Fachlose bleibt laut Begründung den Kassen oder ihren Verbänden im Rahmen der Ausschreibung überlassen und ist stets einzelfallabhängig zu entscheiden.

Eine weitere Änderung in § 130a SGB V soll erst am 1. Dezember 2026 in Kraft treten: Nachdem ausgewertet ist, wie die neuen Rabattvertragsvorgaben für Onkologika und Antibiotika wirken, soll das BfArM dem BMG empfehlen können, diese Regelungen auch auf andere Anwendungsgebiete oder Arzneimittel mit besonders kritischen Wirkstoffen zu erstrecken.

Freie Preise für Reserveantibiotika

Des Weiteren sieht der Entwurf vor, dass Reserveantibiotika bei der Preisbildung privilegiert werden. Schon jetzt sorgt eine Sonderregel dafür, dass diese Arzneimittel von der frühen Nutzenbewertung freigestellt werden können und ihr Zusatznutzen als belegt gilt. Künftig soll für sie auch kein Erstattungsbetrag vereinbart werden müssen. Stattdessen soll der zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens frei gewählte Herstellerabgabepreis als Erstattungsbetrag fortgelten.

Erweiterte Bevorratungspflicht

Krankenhausversorgende Apotheken und Krankenhausapotheken sollen erhöhte Bevorratungspflichten treffen: Bislang ist für parenteral anzuwendende Arzneimittel zur intensivmedizinischen Versorgung ein Vierwochenbedarf vorgesehen, künftig sollen es acht sein und zudem auch Antibiotika erfasst werden.

Evaluation bis Ende 2025

All diese neuen Maßnahmen sollen zudem bis zum 31. Dezember 2025 durch das BMG evaluiert werden.

Geschlechtsneutraler Warnhinweis

Nicht zuletzt nutzt das BMG den Entwurf dazu, den bei der Arzneimittelwerbung zwingend anzugebenden Warnhinweis anzupassen. Künftig soll er lauten: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungs­beilage und fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke“. Damit will man „gleichstellungspolitischen Aspekten“ Rechnung tragen.

Die Verbände haben nun bis zum 28. Februar 2023 Zeit, zu den Plänen Stellung zu nehmen. Ende März soll ein Kabinettsentwurf stehen, der dann in das parlamentarische Verfahren gehen kann. Das Gesetzgebungsverfahren soll noch vor der parlamen­tarischen Sommerpause abgeschlossen werden. Damit würde nach dem 7. April eine Lücke bei den erleichterten Austauschpflichten entstehen – denn dann läuft die SARS-CoV-2-Arznei­mittelversorgungsverordnung aus. Hier bleibt abzuwarten, ob es eine Übergangsregelung geben wird. |

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