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Immunsystem
Wie Viren und Krebszellen besser aufgespürt werden können
Wissenschaftler um Dr. Simon Rothenfusser vom Klinikum der Universität München sind jetzt einem Mechanismus auf die Spur gekommen, mit dessen Hilfe Sensoren in der Zelle virale Erreger aufspüren können.
Meist gelingt es dem Körper erst nach einer mehr oder weniger schweren Krankheitsphase, sich gegen den Eindringling zu wehren und die Krankheit zu überwinden. Virale Erreger sind für die Körperabwehr so schwer zu fassen, weil sie - anders als Bakterien - ihre spezifischen Oberflächenmerkmale, die von Immunsensoren des Körpers erkannt werden, abstreifen können.
Die Münchener Forscher fanden heraus, dass virales Genmaterial zwei unterschiedliche Strukturmerkmale besitzt, die von einem Immunsensor erkannt werden. In der Studie kamen rein synthetisch hergestellte Imitate viralen Erbmaterials zum Einsatz, dessen Herstellung dem Team um Rothenfusser in Zusammenarbeit mit einer Biotech-Firma gelang. Die Ergebnisse sollen nun helfen, neuartige Therapien gegen Viren und Tumorerkrankungen zu entwickeln.
"Die genetischen Informationen des Menschen und der Viren sind in ihrer Struktur fast oder ganz identisch aufgebaut", erklärte Simon Rothenfusser, Leiter der Arbeitsgruppe "Intrazelluläre Immunität" an der Abteilung Klinische Pharmakologie der Medizinischen Klinik Innenstadt in einer Pressemitteilung. "Viren können ihre RNA-Moleküle daher in einer Zelle wie ein Kuckucksei deponieren. Erkennt die Zelle die subtilen Besonderheiten des fremden Materials nicht, liest sie in der Folge die Gene des Virus wie ihre eigenen ab und produziert so ständig neue Virusnachkommen." Wenn der Körper die virale Erbinformation nicht als fremdes Material erkennt, können die wirksamen Abwehrprogramme des Immunsystems aber nicht aktiviert werden, die die Vermehrung und Verbreitung der Eindringlinge meist erfolgreich unterbinden.
In ihrer neuen Arbeit konnte das Team um Rothenfusser nun zeigen, anhand welcher Merkmale ein im Zellinneren gelegener Immunsensor virale RNA erfolgreich von zelleigener RNA unterscheiden kann. Dieser molekulare Sensor namens RIG-I (oder "retinoid acid inducible gene I") hat sich als wesentlicher Faktor bei der Abwehr des Grippevirus und des Erregers der Hepatitis C erwiesen. Er besitzt die Fähigkeit, in die Zelle eingedrungene virale RNA zu erkennen und löst daraufhin eine Abwehrreaktion aus, die das Virus heftig attackiert. Um diese Aufgabe zu leisten, muss das Virus zwei von der Sequenz der RNA unabhängige Struktureigenschaften besitzen, wie die Forscher jetzt herausfanden.
Erstens muss das RNA-Molekül an einem Ende, dem sogenannten 5'-Ende, eine frei zugängliche chemische Variation besitzen: das 5'-Triphosphat. Zweitens muss die Virus-RNA über mindestens sieben bis zehn aufeinanderfolgende Basen, das sind die Grundbausteine des Erbmaterials, eine doppelsträngige Struktur ausbilden. Die Kombination beider Eigenschaften kommen bei der zelleigenen RNA im Zytoplasma nicht vor und sind so eindeutige Erkennungsmerkmale. Um die verschiedenen Virusmerkmale zu erkennen, sind zwei unterschiedliche Bereiche von RIG-I zuständig, wie die Untersuchungen der Forscher ergaben. "Wir nehmen an, dass RIG-I die Informationen über beide Merkmale integriert und erst dann eine antivirale Abwehrreaktion auslöst", sagte Andreas Schmidt, Mitarbeiter von Rothenfusser und Erstautor der Veröffentlichung. Zwar gibt es Viren, die entweder das eine oder das andere Merkmal nicht aufweisen und so schwer zu identifizieren sind. Sind aber beide Besonderheiten vorhanden, kann RIG-I das Virus eindeutig "entlarven".
Somit ist es den Forschern gelungen, ein Profil viraler RNA zu definieren, das ausreichend für die Aktivierung von RIG-I ist. Die getrennte Untersuchung der beiden Virusmerkmale gelang ihnen, weil sie durch Zusammenarbeit mit der Biotech-Firma Eurogentec erstmals vollständig synthetisch hergestellte und somit exakt definierte 5'-Triphosphat-RNA zur Verfügung hatten, die keinerlei Verunreinigungen enthielt. Auf herkömmlichem Weg mithilfe von Enzymen hergestelltes 5'-Triphosphat zeigt dagegen charakteristische Verunreinigungen mit nicht kontrollierbaren RNA-Stücken, die häufig zu widersprüchlichen Ergebnissen führten. Die neuen Erkenntnisse könnten es in Zukunft also auch erlauben, vollständig synthetische Imitate von Viren-RNA herzustellen, um so möglicherweise bei der Entwicklung von Medikamenten das Immunsystem gezielt stimulieren. "Wir hoffen, auf diese Weise neue therapeutische Ansätze zur Behandlung von Tumoren und chronischen Virusinfektionen zu finden", so Rothenfusser.
Eine mögliche Anwendung ist, auf synthetischem Weg RNA-Moleküle herzustellen, die sowohl doppelsträngige Abschnitte als auch ein modifiziertes 5'-Triphosphat enthalten. Diese Moleküle können so gestaltet werden, dass sie gleichzeitig in der Lage sind, über den Mechanismus der RNA-Interferenz zelleigene Gene auszuschalten und eine Virus-RNA zu imitieren - so dass sie über RIG-I eine Antwort des Immunsystem provozieren. "Dieser neue Ansatz ließ sich im Tiermodell bereits erfolgreich zur Therapie von Melanomen, also bösartigem Hautkrebs, einsetzen", berichtete Rothenfusser. In Zukunft wollen die Forscher den neuartigen Ansatz in seinen Anwendungsmöglichkeiten weiter untersuchen.
Literatur:
Schmidt A., et al: 5'-triphosphate RNA requires base-paired structures to activate antiviral signaling via RIG-I. Proceedings of the National Academy of Sciences USA (PNAS) online, 3. Juli 2009; DOI: 10.1073_pnas.0900971106
München/Konstanz - 09.07.2009, 15:16 Uhr