Chemotaxis

Neuer Ionenkanal in Seeigel-Spermien

Bonn - 24.11.2009, 07:05 Uhr


Lockstoffe weisen Spermien den Weg zur Eizelle. Besonders effektiv ist diese Chemotaxis bei Seeigeln, die ihre Eizellen und Spermien einfach ins Meerwasser abgeben.

Schlüssel zum Verständnis ist ein außergewöhnlicher Ionenkanal. Ionenkanäle sorgen dafür, dass Zellen elektrisch erregbar sind. Einige öffnen sich, wenn sich die Membranspannung ändert, und sie lassen nur eine Ionensorte passieren, beispielsweise Natrium-, Kalium- oder Calciumionen. Eine hochspezialisierte Kanalfamilie, die vor allem beim Sehen und Riechen eine bedeutende Rolle spielt, sind die durch zyklische Nukleotide gesteuerten Kanäle (CNG-Kanäle). Sie werden durch kleine Botenstoffe cAMP oder cGMP aktiviert und lassen sowohl Natrium-, Kalium- als auch Calciumionen ein- oder ausströmen.

Der Ionenkanal, den die Forscher in Seeigel-Spermien entdeckt haben, ist völlig anders. Er hat von jedem etwas und lässt sich keiner bisher bekannten Kanalfamilie zuordnen. Er ist wie ein typischer Calcium- oder Natriumkanal aufgebaut, lässt aber nur Kaliumionen passieren. Wie andere CNG-Kanäle besitzt er vier Bindestellen für zyklische Nukleotide.

Mit dem Andocken des Lockstoffmoleküls an seinen Rezeptor auf der Oberfläche des Spermiums nimmt die chemotaktische Reaktionskette ihren Lauf. Der Rezeptor erkennt nicht nur den Lockstoff, sondern synthetisiert im Spermium auch den Botenstoff cGMP. Der Botenstoff bindet sofort an den Ionenkanal und öffnet ihn. Dadurch wird das Spermium elektrisch erregt. Nach weiteren zellulären Reaktionen, bei denen Calciumionen eine entscheidende Rolle spielen, ändert sich das Schlagmuster des Schwanzes und somit die Schwimmrichtung.

Das besondere an dem Spermien-Kanal ist seine extrem hohe Empfindlicheit für cGMP: Er reagiert bereits auf nanomolare Konzentrationen - und ist damit fast 1000 Mal empfindlicher als die klassischen CNG-Kanäle in Seh- und Riechzellen. Die enorme Empfindlichkeit ist notwendig: Nach der Bindung eines einzigen Lockstoffmoleküls werden nur etwa 50 cGMP-Moleküle synthetisiert - die cGMP-Konzentration steigt also nur sehr wenig an.

Vor allem Nervenzellen und Sinneszellen, die Pheromone detektieren, sind mit hochempfindlichen Rezeptoren ausgestattet. Deshalb vermuten die Wissenschaftler, dass einzelne Moleküle diese Zellen ebenfalls elektrisch erregen können. Sie hoffen, dass ihre Arbeit an den Seeigelspermien die Forschung auf dem Gebiet der Chemosensorik stimuliert und zur Aufklärung der "supraempfindlichen" Signalwandlung in anderen Zellen beiträgt.

Quelle: Bönigk, W. et al.: Sci. Signal. 2009; 2 (94): ra68


Dr. Beatrice Rall