Molekularbiologie

Künftig Schutz vor Querschnittslähmung?

Baltimore - 26.04.2010, 16:04 Uhr


Eine Rückenmarksverletzung hat häufig eine hämorrhagische Nekrose zur Folge, die innerhalb weniger Stunden zu einer irreversiblen Querschnittslähmung führt. Ein Team um den Neurochirurgen Marc Simard von der University of Maryland in Baltimore hat den dafür verantwortlichen Mechanismus auf molekularer Ebene aufgeklärt und ihn gezielt blockiert.

Oft führt eine Rückenmarksverletzung auch dann zu einer Querschnittslähmung, wenn die Nervenbahnen nicht durchtrennt sind. Dieses Phänomen war bislang rätselhaft. In In-vitro-Versuchen an Rückenmarksgewebe sowie in Tierversuchen mit gentechnisch veränderten Mäusen konnte Simard nun klären, dass der Sulfonylharnstoffrezeptor 1 (SUR 1) schuld daran ist.

SUR 1 ist eine Untereinheit des ATP-sensitiven Kaliumkanals, der den Ausstrom von Kaliumionen aus der Zelle reguliert. Seit Längerem ist bekannt, dass SUR 1 eine wichtige Rolle in den B-Zellen des Pankreas spielt, die auch pharmakotherapeutisch genutzt wird. Eine Blockade der ATP-sensitiven Kaliumkanäle über SUR 1 fördert den Einstrom von Calciumionen in die Zelle, worauf die Zelle Insulin freisetzt. Darauf beruht z.B. die Wirkung von Sulfonylharnstoffen.

Bei Rückenmarksverletzungen steigt in kurzer die Konzentration von SUR 1 in dem betroffenen Gewebe an. Diese Reaktion ist an sich zytoprotektiv; eine Überreaktion, wie sie bei schweren Verletzungen auftritt, ist jedoch kontraproduktiv: Die Endothelzellen der Kapillaren, die das Nervengewebe mit Sauerstoff versorgen, sterben ab; es kommt zur hämorrhagischen Nekrose, in deren Folge auch das Nervengewebe abstirbt. Um zu prüfen, ob SUR 1 allein für die Reaktion verantwortlich ist, führte Simard Versuche an Mäusen durch, denen das Gen Abcc8, das SUR 1 codiert, fehlt, und fand, dass diese Mäuse sich von den ihnen zugefügten Rückenmarksverletzungen wieder erholten. Weiterhin experimentierte Simard mit Ratten, denen er ein Antisense-Oligodeoxynucleotid verabreichte, das die Expression von Abcc8 blockierte. Auch die so behandelten Ratten erholten sich wieder von den Rückenmarksverletzungen.

Nun richten sich große Hoffnungen darauf, dass es möglich wird, auch beim Menschen gezielt eine Hemmung der Abcc8-Expression im Rückenmark vorzunehmen, um dadurch Querschnittslähmungen zu verhindern.

Quelle: Simard JM et al. Brief Suppression of Abcc8 Prevents Autodestruction of Spinal Cord After Trauma. Sci Transl Med 2010;2:28ra29.


Dr. Wolfgang Caesar


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