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Rx-Arzneimittel
EuGH-Generalanwältin: Packungsbeilage darf im Web frei zugänglich sein
Nach dem Votum der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof Verica Trstenjak ist es zulässig, wenn ein Pharmaunternehmen auf seinen öffentlich zugänglichen Internetseiten die Packungsbeilage eines rezeptpflichtigen Arzneimittels veröffentlicht.
Dem EuGH liegt derzeit ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs vor, in dem die Pharmaunternehmen MSD und Merckle miteinander streiten: MSD präsentierte ihre verschreibungspflichtigen Arzneimittel „Vioxx“, „Fosamax“ und „Singulair“ im Internet jeweils über eine nicht passwortgeschützte elektronische Verknüpfung – und damit für jedermann frei zugänglich – unter Wiedergabe der Produktpackung, der Beschreibung der Indikation und der Gebrauchsinformation. Merckle sieht hierin einen Verstoß gegen das in § 10 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) bestimmte Verbot der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel und ein unzulässiges Verhalten von MSD im Wettbewerb.
Die Frage, ob das Einstellen einer Packungsbeilage eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels in den frei zugänglichen Bereich einer Webseite gegen das Publikumswerbeverbot des § 10 Abs. 1 HWG verstößt, ist seit langer Zeit in Deutschland umstritten. Nun befasst sich der EuGH mit der Frage und die Generalanwältin hat ihre Schlussanträge vorgelegt. Darin kommt sie zu der Beurteilung, dass Art. 88 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel eine Öffentlichkeitswerbung für Rx- Arzneimittel nicht erfasst, sofern sie allein Angaben enthält, die der Zulassungsbehörde im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorgelegen haben und jedem, der das betreffende Arzneimittel erwirbt, ohnehin zugänglich werden.
In der rechtlichen Würdigung geht die Generalanwältin zunächst auf die Schwierigkeiten ein, die bei der Abgrenzung zwischen „Werbung“ und „Information“ liegen, ein. Diese Schwierigkeiten sind bereits bei der Vorlage des Entwurfs und der Beratung zur „Patienteninformationsrichtlinie“ offensichtlich geworden, mit dem die hier streitgegenständliche Frage gesetzlich geklärt werden sollte. Die unionrechtliche Unterscheidung zwischen „Werbung“ und „Information“ erfolge in erster Linie nach subjektiven Kriterien. Grundsätzlich stehe der Annahme von Werbung nicht entgegen, wenn Veröffentlichungen allein aus sachlicher Information bestünden. Das entscheidende Kriterium sei der mit der Botschaft verfolgte Zweck. Solle die Verschreibung, die Abgabe, der Verkauf oder der Verbrauch von Arzneimitteln gefördert werden, handele es sich um Werbung. Bei der Auslegung des Verbotstatbestands des Art. 88 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2001/83/EG seien außerdem Grundrechte wie die Meinungsfreiheit sowie die aktive und passive Informationsfreiheit zu berücksichtigen. Diesbezüglich erfolgt in den Schlussanträgen eine ausführliche Abwägung.
So nehme Art. 86 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG Etikettierung und Packungsbeilage ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Werbebeschränkungen aus. Zudem seien in der Packungsbeilage mit Neben-, Wechselwirkungen und Kontraindikationen auch Angaben enthalten, die den Patienten eher von Kauf und Verwendung des Arzneimittels abhalten als dazu motivieren könnten. Soweit im Zusammenhang mit diesen amtlich genehmigten Informationen keine zusätzlichen Informationen gegeben würden, sei diese Wertung grundsätzlich auch auf das Medium Internet anwendbar. Eine Werbeabsicht sei dann nicht anzunehmen, wenn auf der Internetseite ausschließlich und ungekürzt die amtlich genehmigten Angaben über das Arzneimittel in Form einer Packungsbeilage, einer Zusammenfassung der Merkmale oder eines öffentlich zugänglichen Evaluierungsberichts einer Arzneimittelbehörde wiedergegeben würden. Nicht zulässig sei es jedoch, den Verbraucher aktiv mit derartigen Angaben zu konfrontieren (sog. push-Informationen, z.B. durch „Pop-up“-Fenster o.ä.).
Folgt der EuGH den Schlussanträgen, so wird die neutrale Wiedergabe zumindest der Packungsbeilage auch gegenüber „Nicht-Fachkreisen“ im Internet zulässig sein. Das Urteil ist innerhalb von drei bis sechs Monaten nach den Schlussanträgen zu erwarten.
Berlin - 24.11.2010, 16:00 Uhr