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Hirnforschung
Molekularer Schalter für Gedächtnis und Sucht
Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und Italien haben einen molekularen Schalter entdeckt, der eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Suchtverhalten und bei der Gedächtnisbildung spielt. Die Ergebnisse können zur Entwicklung neuer Strategien und Behandlungsmethoden bei
Lernen und Gedächtnisbildung basieren auf der Entstehung neuer Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn. Auch Verhaltensweisen wie Nicotinsucht manifestieren sich in langfristigen Veränderungen neuronaler Verschaltungen und können – zumindest in dieser Hinsicht – als eine Form des Lernens betrachtet werden.
Die Signalübertragung zwischen Nervenzellen durch Neurotransmitter ist ein erster Schritt und die Voraussetzung für jeden Lernprozess im Gehirn. Sie induziert eine Reihe von Ereignissen in der nachgeschalteten Zelle, die schließlich zu "neuronaler Plastizität", der Veränderungen der neuronalen Verbindungen führen und somit Gelerntes im Gehirn festigen. Beim ersten Schritt in der Bildung neuer Verbindungen im Gehirn spielt Calcium eine wesentliche Rolle. Wenn eine Nervenzelle ein Neurotransmittersignal empfängt oder mit Nicotin oder Cocain in Verbindung kommt, erhöht sich die Calcium-Konzentration im Bereich der Synapse, der neuronalen Kontaktstelle. In einem zweiten Schritt induziert dieser Calciumanstieg die Synthese von Proteinen, die zur Neubildung oder Verstärkung synaptischer Verbindungen führt.
Bisher sind Wissenschaftler davon ausgegangen, dass die Erhöhung der Calciumkonzentration nur beim ersten Schritt in diesem Prozess eine Rolle spielt. Die Wissenschaftler zeigten nun an Mäusen, dass die wiederholte Gabe von Nicotin oder Cocain die Expression von Genen, die an der Calciumregulation beteiligt sind, induziert und dass diese Genexpression für die Plastizität der Nervenzellen essentiell ist.
Bei Mäusen ruft die Gabe von Nicotin die Expression eines Gens namens Typ-2-Ryanodin-Rezeptor (RyR2). Das RyR2-Protein ist bei der Freisetzung von Calcium aus einem internen Calciumspeicher der Zelle, dem endoplasmatischen Retikulum, beteiligt. Eine erhöhte RyR2-Aktivität führt zu einer dauerhaften Anhebung des Calciumsignals und setzt damit Prozesse der neuronalen Plastizität in Gang. Vor allem in der Hirnrinde und dem ventralen Mittelhirn – Hirnareale, die mit Kognition und Suchtentwicklung in Verbindung gebracht werden – wird die RyR2-Synthese angeregt, was darauf hinweist, dass RyR2 bei diesen Prozessen eine zentrale Rolle spielt. Dies wurde in einem weiteren Experiment bestätigt: Eine Herabsetzung der RyR2-Aktivität in lebenden Tieren verhinderte Lernvorgänge, Gedächtnisbildung und die Entwicklung von Suchtverhalten. RyR2 ist also absolut notwendig, um langfristige Veränderungen im Gehirn zu manifestieren.
Diese Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt in der Erforschung von Gedächtnisbildung und Suchtverhalten. Auf lange Sicht, so hoffen die Wissenschaftler, werden die Ergebnisse zur Entwicklung von Therapien für die Behandlung von Suchterkrankungen oder zu neuen Strategien zur Behebung von Gedächtnisverlust bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer beitragen.
Quelle: Ziviani, E., et al.: EMBO Journal 2010, Online-Publikation doi: EMBOJ.2010.279
Bonn - 07.12.2010, 06:53 Uhr