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Präsident des Bundesversicherungsamt
Gaßner: „Ende 2011 werden wir unter 150 Kassen kommen“
Zum Start der Gesundheitsreform am 1. Januar steigt der Beitragssatz für die gesetzlichen Krankenkassen. Zusatzbeiträge kommen trotzdem hinzu.
Was sind für Sie die zentralen Änderungen der Reform?
Gaßner: Uns hat mehr als beunruhigt, dass viele Krankenkassen wegen des zum Jahresanfang absehbaren Defizits für 2011 möglicherweise vor der Insolvenz oder der Schließung gestanden hätten. Deshalb ist für uns am bedeutsamsten, dass die Probleme durch die Maßnahmen der Bundesregierung, zumindest für absehbare Zeit gelöst worden sind – durch die Beitragssatzerhöhung, die Einsparungen, den Bundeszuschuss und die Gängigmachung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags als echtes Finanzierungsinstrument. Dass diese existenzielle Frage weg ist, ist für uns das Beruhigendste.
Die Kassenfinanzen sind im kommenden Jahr also nicht auf Kante genäht?
Gaßner: Die Entwicklung für 2011 ist relativ stabil, unterstellt man, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung so fortsetzt. Wir können den Kassen im kommenden Jahr 178,9 Milliarden Euro zuweisen – und damit können sie im Schnitt ihre Ausgaben decken, so dass es keinen durchschnittlichen Zusatzbeitrag geben muss.
Wie viele Kassen werden trotzdem einen Zusatzbeitrag nehmen?
Gaßner: Wir gehen davon aus, dass von den 13 unserer Aufsicht unterstehenden Kassen, die aktuell einen Zusatzbeitrag erheben, fast alle weiterhin Zusatzbeiträge erheben müssen – voraussichtlich bis auf eine. Vielleicht muss die eine oder andere ihn auch leicht anheben. Es werden auch noch vereinzelt welche dazukommen. Denn die Zuweisungen an die Kassen berücksichtigen nur die Durchschnittsausgaben, und einzelne Kassen können mit ihren Ausgaben darüber liegen. Andere haben geringere Ausgaben und können sogar noch den einen oder anderen Euro in die Rücklage stecken.
In welcher Größenordnung werden neue Kassen mit Zusatzbeiträgen dazukommen?
Gaßner: Von einer wissen wir definitiv, dass sie dazukommen wird. Da wir nur für die bundesweit agierenden Kassen zuständig sind, haben wir keine sicheren Hinweise darauf, was auf Landesebene geschieht. Doch nach unserer Einschätzung müsste hier auch die eine oder andere dazukommen.
Die Ersatzkassen kritisierten, die aktuellen Reformbeschlüsse brächten nicht die gewünschten Einsparungen.
Gaßner: Aktuell können wir rückläufige Steigerungsraten im Arzneimittelbereich beobachten. Der Trend dürfte sich 2011 fortsetzen. Doch auf lange Sicht kann man nicht wissen, was die Hersteller alles an Innovationen in der Pipeline haben. Man muss davon ausgehen, dass es wieder zu Steigerungen kommt. Es wird und es soll auch keinen Innovationsstopp geben.
Lässt sich mit der jetzigen Konstruktion der kassenindividuellen Pauschalen das System in den kommenden Jahren finanzieren?
Gaßner: Ich meine: Ja. Was natürlich noch nicht empirisch getestet ist, ist die Akzeptanz in der Bevölkerung. Es fehlt noch die Feuerprobe in der Breite. Die Akzeptanzprobleme bei den 13 Kassen, die jetzt Zusatzbeiträge erheben, waren anfangs enorm. Aber das pendelt sich jetzt ein, und diese Probleme nehmen weiter ab, wenn immer mehr Kassen Zusatzbeiträge erheben.
Weil im Gesetz Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen sind?
Gaßner: Und weil die Bürger sehen: Das ist überall das gängige Instrument, nicht nur bei der eigenen Kasse. Wenn die Zusatzbeiträge deutlich steigen, kann die Akzeptanz aber schwinden.
Wie groß ist der Anteil an Nichtzahlern heute?
Gaßner: Es gibt Kassen mit fünf Prozent Nichtzahlern und andere mit einem höheren Anteil. Bei jedem System mit individueller Zahlungspflicht bestehen im Gegensatz zum automatischen Einzug des Beitrags beim Arbeitgeber das Inkassorisiko und das Problem des administrativen Aufwandes, das Geld "einzuholen".
Die Zahl der Kassen ist von rund 200 zum Start des Gesundheitsfonds 2009 deutlich gesunken – wie viele gibt es heute?
Gaßner: Wir werden Anfang 2011 noch circa 150 Kassen haben. Wenn man die landwirtschaftlichen Kassen hinzuzählt, sind es etwa 160. Und es stehen noch weitere Fusionen an. Ende 2011 werden wir unter 150 Kassen kommen. Die drei größten Krankenkassen versichern heute schon 31,9 Prozent der GKV-Versicherten.
Die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hielt 20 bis 50 Kassen für ausreichend.
Gaßner: Wir haben dieses Postulat quasi schon erreicht. Interessant ist, dass die 20 größten Kassen bereits 80,7 Prozent der Versicherten versichern und dass 32 Kassen zusammen 89,9 Prozent des Marktes abdecken. Die restlichen 118 Kassen machen nur noch 10 Prozent aus.
Warum geht der Konzentrationsprozess bei den kleinen Kassen nicht noch schneller?
Gaßner: Es gilt nicht unbedingt: Je größer, desto effizienter. In dem einen oder anderen Fall gilt auch: Small is beautiful. Wenn eine kleine Kasse regional begrenzt agiert, kann sie Erfolg haben. Schwierigkeiten haben kleine Kassen, die bundesweit geöffnet sind, denn sie können keine Marktstärke entfalten.
Werden die Kassen künftig mehr über den Preis oder ihre Leistungen in den Wettbewerb treten?
Gaßner: Der Wettbewerb im Bereich des Zusatzbeitrages ist transparenter als der frühere Wettbewerb über den Beitrag. Er verschärft sich. Darüber hinaus wird es auch einen Wettbewerb auf der Ausgabenseite geben. Die Kassen werden stärker motiviert sein, Hochkostenfälle anzugehen. Der Kostendruck kann auch heilsam gegen Irrungen des Systems sein. So kann es auch im Sinne eines Kranken sein, wenn sich Kassen seines Falls besser annehmen. Wenn jemand zum Beispiel einen extrem hohen Medikamentenverbrauch hat, der aber nicht medizinisch indiziert ist, kann eine Reduzierung der Arzneimittel auch zu einer besseren Gesundheit führen.
Berlin - 30.12.2010, 10:18 Uhr