Suchttherapie

Weniger Missbrauch bei Substitutionspatienten

Berlin - 21.06.2011, 13:47 Uhr


Wie häufig und warum werden Substitutionsarzneimittel, die in der Drogentherapie zum Einsatz kommen, nicht bestimmungsgemäß verwendet? Dieser Frage ist Dr. Jens Reimer vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg, nachgegangen. Für die Studie wurden mehr als 800 Drogenkonsumenten in zehn deutschen Städten befragt.

Mit anonymen Fragebögen wurden 420 Personen der offenen Drogenszene und 404 Patienten im Umfeld von Substitutionspraxen zu ihrem Umgang mit Substitutionsarzneimitteln befragt. Von den Drogenkonsumenten der offenen Szene waren 263 ebenfalls Substitutionspatienten. Ein Drittel aller Angehörigen der offenen Drogenszene berichte, innerhalb der letzten 30 Tage mindestens einmal ein nicht-verschriebenes Substitutionsmedikament eingenommen zu haben. Unter den 404 Befragten, die sich in suchtmedizinischer Behandlung befanden, gaben dies lediglich 10 Prozent an.

Die am häufigsten missbrauchte Substanz ist Methadon: In flüssiger Form (L-Polamidon®) wurde sie der offenen Drogenszene innerhalb der letzten 30 Tage von 17,1 Prozent der befragten Konsumenten nicht bestimmungsgemäß verwendet, in Tablettenform (Methaddict®) waren es 17,7 Prozent. Die Substanz Buprenorphin (Subutex®) nahmen 10,8 Prozent missbräuchlich ein. Bei den im Umfeld von suchtmedizinischen Praxen befragten Substitutionspatienten waren diese Zahlen deutlich niedriger: Nur 7,2 Prozent räumten ein, Methadon/L-Polamidon® nicht bestimmungsgemäß verwendet zu haben, bei Methaddict® waren es 2,9 Prozent und bei Buprenorphin (Subutex®) nur 0,5 Prozent. Zu berücksichtigen ist dabei der unterschiedliche Marktanteil der Substanzen: Das in flüssiger Darreichungsform erhältliche Methadon/L-Polamidon® hat einen Anteil von 77 Prozent. Bei Buprenorphinpräparate liegt er bei etwa 19 Prozent, bei Methaddict® nur bei rund 3 Prozent. Tabletten sind in der Szene jedoch leichter zu verkaufen – auch können sie in der Arztpraxis oder Apotheke leichter unter der Zunge verschwinden.

Als wesentliche Gründe für die nicht bestimmungsgemäße Beschaffung von Substitutionsmedikamenten wurden keine Verfügbarkeit von Heroin (22 Prozent) zu niedrige Dosis des Substitutionsmedikamentes (18 Prozent) und mangelnder Zugang zur Substitutionstherapie (16 Prozent) genannt (jeweils alle Befragten).

Dass die Substitution Auswirkungen auf die Sterblichkeit hat, zeigt eine Auswertung von Statistiken des Bundeskriminalamtes. Danach sinken die Zahlen der Todesfälle infolge einer Überdosierung mit Methadon – nur dieses kann überhaupt überdosiert werden und zu Atemlähmung führen – obwohl die Zahl der Methadon-Patienten steigt. Starben 2006 noch 212 Personen infolge einer solchen Überdosis – ggf. in Verbindung mit sonstigen Suchtmitteln – waren es 2009 noch 172.

Doch es gibt noch einiges an Verbesserungspotenzial in der Suchttherapie. So sind nur rund die Hälfte der Opiatabhängigen gegen Hepatitis B geimpft, obwohl die medizinische Empfehlung lautet, möglichst alle zu impfen. Aus Reimers Sicht muss die Substitutionstherapie attraktiver und umfassender werden. Für Ärzte – zumeist sind es Hausärzte – hat die Bezeichnung „Suchtmediziner“ keinen besonders guten Ruf. In den meisten Fällen beschränken sie sich auf die Vergabe der Arzneimittel. Nötig ist Reimer zufolge aber eine ganzheitliche Behandlung, denn der Gesundheitszustand der Betroffenen ist oft schlecht, die soziale Integration lässt zu wünschen übrig. Wie in vielen anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung zeigt sich auch hier, dass es oftmals an einer vernetzten Zusammenarbeit mangelt. Reimer wünscht sich, dass alle Beteiligten – darunter Ärzte, Sozialarbeiter und auch Apotheker – an einen Tisch kommen, um die Probleme zu besprechen. Bislang beschäftigten sich die einzelnen Gruppen isoliert mit diesem Thema. Auch Apotheken können aus Reimers Sicht eine entscheidende Rolle spielen. Bislang sind sie vielfach außen vor, da die Patienten ihre Substitutionsarzneimittel in der Arztpraxis bekommen. In einigen Gegenden – vor allem in Hamburg – sind die Apotheken dagegen bereits eingebunden. Sie versorgen die Patienten, die mit einem Rezept von ihrem Suchtarzt kommen, vor Ort mit den entsprechenden Arzneimitteln.


Kirsten Sucker-Sket