EHEC-Ausbruch in Deutschland

Schuld waren ägyptische Bockshornkleesamen

Berlin - 08.07.2011, 11:36 Uhr


Bestimmte Chargen von aus Ägypten stammenden Bockshornkleesamen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit für die EHEC O104:H4-Ausbrüche in Deutschland und Frankreich verantwortlich.

Grundlage für die Aufklärung waren epidemiologische Untersuchungen sowie die Rück- und Vorwärtsverfolgung von Samenlieferungen durch eine eigens dafür gegründete deutsche EHEC-Task Force. Nachdem auch in Frankreich Ausbruchsfälle mit demselben Erreger aufgetreten sind, hat eine europäische Task Force unter Leitung der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA die Rückverfolgung auf europäischer Ebene übernommen. Die EFSA und das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) empfehlen ebenso wie die deutschen Behörden, keine Sprossen für den Eigenbedarf zu ziehen und keine Sprossen oder Keimlinge zu verzehren, die nicht gründlich durchgegart wurden. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand sei möglich, dass weitere mit EHEC kontaminierte Sprossensamen im Umlauf sind.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat eine umfassende Bewertung zur Bedeutung von Sprossen und Sprossensamen im Zusammenhang mit dem Ausbruchsgeschehen von EHEC O104:H4 in Deutschland vorgenommen und kommt gemeinsam mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und dem Robert Koch-Institut (RKI) zu folgenden Ergebnissen:

- Der derzeitige EHEC-Ausbruch ist das größte HUS/EHEC-Ausbruchsgeschehen, das in Deutschland je beschrieben wurde. In Bezug auf die Anzahl der übermittelten Fälle von hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) ist er zudem weltweit der größte beschriebene derartige Ausbruch. Die in Deutschland gemeldeten Neuinfektionen mit O104:H4 sind rückläufig. Der Erkrankungsgipfel, bezogen auf den Beginn der Durchfallsymptomatik, war am 22. Mai 2011. Seither geht die Zahl der übermittelten Infektionen durch EHEC und der Neuerkrankungen mit der schweren Verlaufsform HUS zurück. Allerdings ist auch in Zukunft mit weiteren Erkrankungen beim Menschen bzw. Ausbrüchen durch den Erreger EHEC O104:H4 zu rechnen. Diese Infektionen können durch Mensch-zu-Mensch-Übertragung (Schmierinfektion) oder auch durch Lebensmittel erfolgen, die von erkrankten Menschen kontaminiert wurden.

- Das EHEC O104:H4-Ausbruchsgeschehen in Deutschland konnte aufgeklärt werden: Ursache sind mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Ägypten importierte Bockshornkleesamen, die mit EHEC O104:H4 kontaminiert sind und aus denen in einem niedersächsischen Gartenbaubetrieb Sprossen hergestellt wurden. Der Verzehr dieser Sprossen hat dann zu den Erkrankungen geführt. Teilweise sind auch von Menschen übertragene Sekundärinfektionen aufgetreten.

- Die Behörden von Bund und Ländern haben in den vergangenen Wochen intensiv daran gearbeitet, den möglichen Eintragspfad für die Kontamination von Sprossen mit EHEC O104:H4 zu ermitteln. Durch Auswertung von 41 Ausbruchsclustern (Orte mit Erkrankungshäufungen) sowie verfügbaren Lieferlisten und Daten zu Vertriebswegen von Lebensmitteln war es möglich, die Erkrankungen und die lokalen Ausbrüche in Deutschland auf Sprossen aus einem bestimmten niedersächsischen Gartenbaubetrieb zurückzuführen.

Außerdem ließ sich feststellen, dass die Ende Juni in Frankreich aufgetretenen Krankheitsfälle durch EHEC O104:H4 über dieselbe zur Sprossenproduktion verwendete Bockshornklee-Samencharge mit dem Gartenbaubetrieb in Niedersachsen in Verbindung stehen. Diese Charge wurde im Jahr 2009 produziert. Daneben wurde im niedersächsischen Gartenbaubetrieb im April und Mai 2011 noch eine weitere, im Jahr 2010 produzierte Bockshornklee-Samencharge für die Sprossenproduktion eingesetzt. Nach Angabe der EFSA vom 29. Juni 2011 wurden diese beiden Samenchargen über mehrere Zwischenhändler aus Ägypten bezogen. Den zuständigen deutschen Überwachungsbehörden wurde daher am 30. Juni vom BfR geraten, die Lieferwege dieser beiden Bockshornklee-Samenchargen vollständig aufzudecken und vom Markt zu nehmen. Die Rückverfolgbarkeit von Lieferwegen erlaubt es den Herstellern und Händlern nunmehr, kontaminierte Chargen vollständig zu entsorgen, um so eine weitere Abgabe an Verbraucher zu vermeiden. Diese Maßnahmen werden derzeit umgesetzt.

- Bislang gibt es keine konkreten Hinweise, dass auch andere Samenarten und -chargen durch unhygienische Produktionsbedingungen im Herkunftsland oder durch Kreuzkontaminationen bei Zwischenhändlern und Empfängern (z. B. bei Reinigungs-, Misch-, Abfüllprozessen) mit dem Ausbruchstamm kontaminiert wurden. Dennoch ist dies möglich.

- Da derzeit möglicherweise noch mit EHEC kontaminierte Sprossensamen im Umlauf sind, bleibt die Empfehlung der deutschen Behörden vom 10. Juni 2011, Sprossen nicht roh zu verzehren, bestehen. Für den Privathaushalt gilt: Noch vorhandene Sprossensamen und Samenmischungen sollten im Restmüll entsorgt werden.

- Unabhängig vom aktuellen EHEC-Ausbruch sollten Personen mit geschwächtem Immunsystem, Schwangere und Kinder auf den Verzehr roher Sprossen generell verzichten. Darauf hatte das BfR bereits im Jahr 2010 hingewiesen.

- Bockshornkleesamen werden schon lange als Gewürz und auch als Heilmittel eingesetzt. Sie finden sich daher in einer Vielzahl verschiedener Produkte, unter anderem in Nahrungsergänzungsmitteln. Bisher gibt es keinen Hinweis darauf, dass außer Sprossen auch andere, aus Bockshornkleesamen hergestellte Produkte EHEC O104:H4-Infektionen verursacht haben. Dennoch kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass vereinzelte Erreger unter bestimmten Bedingungen auch in oder auf den Samen überleben können. Vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse zur Ausbruchsursache arbeitet das BfR an einer gesundheitlichen Bewertung von verarbeiteten und unverarbeiteten Bockshornkleesamen in anderen Produkten außer Sprossen.

- Erkrankte Menschen können auch nach ihrer Genesung über eine bestimmte Zeit Krankheitserreger ausscheiden. Eine Erregerausscheidung ist auch durch infizierte Personen möglich, die selbst nicht erkranken. Deshalb ist es umso wichtiger, dass erkrankte Personen Hygienemaßnahmen besonders beachten und generell bei der Zubereitung von Lebensmitteln die allgemeinen Hygieneregeln konsequent eingehalten werden.

Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung des Bundsinstituts für Risikobewertung (BfR), Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und des Robert Koch-Instituts (RKI), 5. Juli 2011.


Dr. Bettina Hellwig