Gesundheitspolitik

Evangelische Kirche fordert mehr Solidarität

Düsseldorf/Berlin - 18.10.2011, 11:18 Uhr


Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fordert von der Gesundheitspolitik mehr Solidarität. Er stellte am Montag eine Denkschrift zur Gesundheitspolitik vor, um „die theologischen und sozialethischen Grundlagen unseres Gesundheitswesens in Erinnerung“ zu rufen, so der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider.

Unter Berufung auf die diakonische Verantwortung der Kirche befasste die EKD sich mit dem Gesundheitssystem und der aktuellen Gesundheitspolitik. In ihrer Denkschrift mit dem Titel „Und unsern kranken Nachbarn auch!“ fordert sie ein Umsteuern in der Gesundheitspolitik – hin zu mehr Solidarität: Seit Anfang der 90er Jahre sei eine zunehmend wettbewerbliche Ausrichtung des Gesundheitswesens in Deutschland zu beobachten. Hilfsangebote würden als Dienstleistungen begriffen und Versicherte als Kunden betrachtet, die mit ihrer Suche nach Qualität den Wettbewerb um die beste Versorgung befördern.

Wirtschaftliches Kalkül allein reiche jedoch nicht aus, so Präses Schneider. Dies gelte angesichts der demografischen Entwicklung insbesondere für den Bereich der Pflege. Nötig sei hier eine Stärkung des Stellenwerts der Beziehungszeit, sowohl im Arzt-Patienten-Verhältnis als auch in den Arbeitsabläufen der Pflegekräfte. „Der Pflegebedürftigkeitsbegriff muss endlich so beschrieben werden, dass er auch soziale und kommunikative Aspekte und psychische Notsituationen zum Beispiel bei einer Demenzerkrankung angemessen berücksichtigt“, forderte Schneider.

Die Denkanschrift gibt auch konkrete Empfehlungen: So heißt es dort, es entspreche dem Bedarf einer Bevölkerung des langen Lebens, dass die Kosten für die Pflegeversicherung in den kommenden Jahrzehnten steigen werden. Dies sollte in der öffentlichen Debatte nicht skandalisiert werden. Bei der Frage der Aufbringung der notwendigen Mittel sei analog zur gesetzlichen Krankenversicherung an die Einbeziehung anderer Einkommensarten zu denken, die auch über einen Steuerzuschuss des Bundes erfolgen könnte. Eine ergänzende individuelle kapitalbildende Pflichtversicherung könne dagegen die Probleme kaum lösen. Sie benachteilige vielmehr systematisch Erwerbstätige mit geringem Einkommen und entspreche gerade nicht dem Ziel, den notwendigen Bedarf für alle solidarisch zu decken.

Bei der Vorbeugung von Gesundheitsrisiken sollte nach Ansicht der Kirche außerdem weniger auf individuelle Verhaltensänderung und mehr auf staatliche Regulierung gesetzt werden, um die Gesundheit der gesamten Bevölkerung zu verbessern. Am Beispiel Tabak zeige sich, dass Aufklärungskampagnen im Gegensatz zu Steuererhöhungen und Werbeverboten „enttäuschend geringe Effekte“ erzielt hätten. Verhaltensorientierte Maßnahmen führen laut EKD vornehmlich bei den Bevölkerungsgruppen zu Gesundheitsgewinnen, deren gesundheitliche Ressourcen ohnehin ausreichend seien.

Die Denkschrift bezieht in die Diskussion um die Gesundheitspolitik unter anderem auch Fragen zu Bildung und Familienförderung mit ein: „Die ohne Zweifel großen Herausforderungen der Gesundheitspolitik sind nur zu meistern, wenn endlich der Blick über die klassischen gesundheitspolitischen Handlungsfelder hinaus geweitet wird“, so der Vorsitzende der Ad-Hoc-Kommission, Prof. Dr. Peter Dabrock. Er sieht die derzeitige Situation auch als Chance. Die Herausforderungen seien zwar gewaltig, man müsse sich jedoch auch an die Potenziale jenseits reiner Marktorientierung erinnern, die es auch gebe und die es zu nutzen gelte: „Solidarität und Mitmenschlichkeit.“


Juliane Ziegler