Medikamentenabhängigkeit

Selbsthilfeverbände wollen sich stärker engagieren

Berlin - 27.04.2012, 16:42 Uhr


Unter dem Motto „Medikamente: Nicht mehr alles schlucken!“ veranstaltet die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) an diesem Wochenende ihre 10. Sucht-Selbsthilfekonferenz. Rund 1,4 bis 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind medikamentenabhängig, doch nur wenige finden den Weg in Selbsthilfegruppen.

Heinz-Josef Janßen, Vorsitzender des Selbsthilfeverbands Kreuzbund e.V. , sagte, es gebe deutschlandweit ungefähr gleich viele Alkohol- wie Medikamentenabhängige. Erschreckenderweise wendeten sich jedoch viel weniger Medikamentenabhängige an Selbsthilfegruppen als Menschen mit anderen Suchtproblemen. Nach einer Auswertung der fünf Sucht-Selbsthilfeverbände waren 3,3 Prozent der Teilnehmer medikamentenabhängig. Da zu 95 Prozent Frauen betroffen seien, sprach sich Janßen dafür aus, die Selbsthilfe in den Verbänden zielgruppenspezifisch auszubauen.

Es sei schwierig, an Medikamentenabhängige „heranzukommen“, stimmte Wiebke Schneider vom Selbsthilfeverband der Guttempler zu. Die Sucht-Selbsthilfe ziele deshalb mittlerweile stärker darauf ab, unabhängig von der Substanz die Gründe für die Suchtentwicklung in den Vordergrund zu stellen. Nach Schneider stelle es eine Herausforderung dar, die unterschiedlichen Menschen zusammenzubringen und ihnen ihre Gemeinsamkeiten vor Augen zu halten. Sie ist überzeugt, dass Medikamentenabhängige von der Selbsthilfe profitieren können.

Die Gründe für die Entwicklung einer Medikamentenabhängigkeit seien vielschichtig, so Dr. Heribert Fleischmann, Vorstandsvorsitzender der DHS und Psychiater am Bezirkskrankenhaus Wöllershof. Man müsse deutlich unterscheiden zwischen Arzneimitteln wie den Benzodiazepinen, die eine Sucht erzeugen könnten, und solchen, die nicht indikationsgemäß im Übermaß eingenommen würden, wie Laxantien oder Nasenspray.

Oft sei es Gleichgültigkeit gegenüber einer Arzneimitteleinnahme oder auch die Angst,  durch das Absetzen eines Medikaments in einen „unangenehmen Zustand“ zurückzufallen, weshalb Arzneimittel übermäßig lange eingenommen würden. Zudem herrsche in der Gesellschaft die falsche Erwartungshaltung, dass auch ein normales Befinden durch die Einnahme von Substanzen weiter verbessert werden könne.

Um der Medikamentenabhängigkeit zu begegnen, brauche es „Alternativen zum Schlucken“, so Fleischmann. Die Sucht-Selbsthilfe könne hier wichtige Hilfestellungen geben. Die regelmäßigen Treffen gäben Betroffenen einen Lebensrhythmus, und sie lernten, Hilfe von außen zuzulassen.


Almuth Schmidt