Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Interferone sind Standardtherapie bei Multipler Sklerose

München - 20.08.2012, 09:02 Uhr


Interferonpräparate werden als Standardtherapie bei Multipler Sklerose (MS) eingesetzt. In der Vergangenheit konnten mehrere Studien zeigen, dass diese Wirkstoffe die Entzündungsaktivität im Zentralen Nervensystem reduzieren. Der Einfluss auf das Fortschreiten der Behinderung hingegen, also, ob Patienten auf Gehhilfen oder den Rollstuhl angewiesen sind, ist bislang nicht überzeugend positiv oder negativ belegt.

Um dieser Frage nachzugehen, werteten Wissenschaftler aus Kanada Material aus Patientendatenbanken aus. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Interferontherapie das Voranschreiten einer Behinderung nicht bremse.

Diese Nachricht hat viele Patienten verunsichert, doch bei genauerem Hinsehen weist die Studie starke methodische Schwächen auf: „Aus Sicht des Kompetenznetzes MS, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und des Ärztlichen Beirats der Deutschen MS-Gesellschaft ergibt sich aus dieser Arbeit aktuell kein Anlass, die gegenwärtige Behandlungs- und Empfehlungspraxis mit Interferonpräparaten zu ändern“, sagt Professor Dr. Heinz Wiendl, Neurologe aus Münster. Auch für die im Frühjahr erschienene MS-Leitlinie ergebe sich aus dieser Studie kein Änderungsbedarf.

Die kanadischen Wissenschaftler verglichen 2.556 Patienten, die in eine mit verschiedenen Interferonpräparaten behandelte, eine unbehandelte und eine „historische“ Vergleichsgruppe vor Einführung der Interferone eingeteilt waren. Die Nachbeobachtungszeit betrug in etwa fünf Jahre.

Diese rückwärtige Auswertung der Daten und der Vergleich mit einer Patientengruppe, die möglicherweise einen niedrigeren Entzündungs- und Behinderungsgrad aufweise, sei schwierig, meint Wiendl: „Aus dem Studiendesign lässt sich bei mangelnden Beweisen für einen positiven Therapie-Effekt nicht im Umkehrschluss wissenschaftlich das Gegenteil ableiten.“ Des Weiteren sei fraglich, ob die relativ kurze Nachbeobachtungszeit ausreiche, um den langfristigen Effekt der Interferone zu beurteilen.

Auch Professor Dr. Hans-Christoph Diener von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gibt zu bedenken: „Es ist wissenschaftlich fragwürdig, wenn Daten aus Beobachtungsstudien mit Daten aus großen und ordnungsgemäß durchgeführten randomisierten placebokontrollierten Studien verglichen werden.“ Zudem hätten Langzeitstudien die Wirksamkeit von Beta-Interferon eindeutig nachgewiesen, so Professor Diener.

Literatur: Shirani, A. et al.: J. Am. Med. Assoc. 2012;308:247-56


Dr. Bettina Hellwig


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