Vergangenheitsbewältigung

Das Schicksal der Verdingkinder

Bern - 11.04.2013, 15:12 Uhr


Heute, am 11. April um 15.30 Uhr, findet im Kulturcasino Bern im Beisein von Bundesrätin Sommaruga eine nationale Gedenkstunde für die „Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen“ in der Schweiz statt. Opfer waren insbesondere sogenannte Verdingkinder, die schon im Grundschulalter Schwerstarbeit auf Bauernhöfen leisten mussten.

Bis zum Jahr 1978 waren Sozialämter in der Schweiz befugt, Kinder in sozial schwachen Familien ihren Eltern wegzunehmen und in Pflegeheime oder -familien zu geben, angeblich zum Wohl der Kinder. Das Wort „Pflege“ ist jedoch euphemistisch und spiegelt die tatsächlichen Verhältnisse nicht wider. Die „Pflegeeltern“ erhielten etwas Kostgeld vom Staat und hatten zugleich die Möglichkeit, ihre Kinder wie Sklaven auszubeuten.

Im Kanton Bern sollen in den 1930er Jahren 20 Prozent aller landwirtschaftlichen Arbeitskräfte unter 15 Jahre alt gewesen sein. Ein Ökonom der Schweizer Bank UBS schätzt, dass die Verdingkinder im 19. und 20. Jahrhundert in der Landwirtschaft eine Arbeitsleistung im Wert von 20 bis 65 Milliarden Franken erbracht haben.

Der ehemalige Verdingbub Hugo Zingg (Jahrg. 1936) hat als einer der ersten auf das Schicksal seiner Leidensgenossen aufmerksam gemacht und dem Regisseur Markus Imboden wesentliche Anregungen zu dessen Film „Der Verdingbub“, 2011, gegeben. Die dadurch aufgeflammte öffentliche Diskussion hat nun die Schweizerische Bundesregierung veranlasst, die Gedenkveranstaltung durchzuführen. Eingeladen sind alle ehemaligen Verdingkinder, Heimkinder, administrativ Versorgte, Zwangssterilisierte und andere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen mit ihren Angehörigen.

Laut Bundesrätin Sommaruga soll das „dunkle Kapitel in der Geschichte unseres Landes“ nicht in Vergessenheit geraten. Zu einer Entschuldigung ist der Staat jedoch nicht bereit. Offensichtlich fürchtet er Schadensersatzansprüche.

Bis zum 24. April 2013 findet im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen die Ausstellung „Verdingkinder reden“ statt.

Quelle: www.verdingkinderreden.ch.


Dr. Wolfgang Caesar