Barmer GEK Arzneimittelreport 2013

Problem Polymedikation – eine Aufgabe für Apotheken

Berlin - 11.06.2013, 15:04 Uhr


300 Millionen Euro könnte die Barmer GEK sparen, wenn im Me-Too-Markt aufgeräumt wird und Arzneimittel, die keinen Zusatznutzen aufweisen, in eine Festbetragsgruppe wandern. Zu diesem Ergebnis kommt der heute vorgestellte Arzneimittelreport der Barmer GEK. Neben dem Sparpotenzial zeigen die Autoren darin auch bedenkliche Verordnungstrends auf – Apotheken könnten hier gegensteuern helfen.

Me-Toos machen dem Report zufolge noch immer rund 35 Prozent des Verordnungsvolumens bei der Barmer GEK aus – bei knapp 20 Prozent der Ausgaben. Ganz vorne dabei Lyrica, Seroquel und Abilify – alles Präparate, die Glaeske zufolge problemlos gegen Generika ausgetauscht werden könnten. Und er ist überzeugt, dass es einige Mittel auf seiner Me-Too-Liste gibt, die eine Bestandsmarkt-Nutzenbewertung nicht unbeschadet überstehen würden. Wirklich teuer kommen die Kasse allerdings die Spezialpräparate, oftmals biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Ihr Ausgabenanteil lag 2012 bei fast 35 Prozent – bei einem Verordnungsanteil von lediglich 2,6 Prozent. Generika haben demgegenüber einen ebenso großen Anteil am Ausgabenkuchen, decken aber auch 75 Prozent der Menge ab. Glaeske betont: Es gibt echte Innovationen unter den Spezialpräparaten, etwa zur Behandlung von Krebserkrankungen, Rheumatoider Arthritis oder Multipler Sklerose. Hier seien höhere Kosten auch berechtigt. Sparen könne man hier am ehesten über einen rationalen Einsatz. Denn die Mittel seien in den seltensten Fällen eine Erstmedikation – mögliche Alternativen zu Beginn einer Therapie müssten daher berücksichtigt werden.

Basierend auf den Daten von 2,1 Millionen Versicherten über 65 Jahre haben Glaeske und sein Team zudem analysiert, wie häufig Patienten mehrere Arzneimittelwirkstoffe parallel verordnet bekommen. Es zeigte sich: Bei einem Drittel sind es täglich mehr als fünf. Bei den Hochbetagten zwischen 80 und 94 Jahren erhält fast jeder Zweite fünf oder mehr Wirkstoffe. Dabei kann der Mensch in der Regel nur drei bis vier Wirkstoffe gleichzeitig verkraften. Glaeske warnt: „Darunter leidet vor allem auch die Therapietreue“. Er sieht hier vor allem die Apotheker in einer wichtigen Rolle: Sie müssten sich mehr einbringen, um Wechselwirkungen festzustellen und die Arzneimittelsicherheit zu fördern.

Für Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, Vize-Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK, zeigen gerade die Feststellungen zur Polymedikation, dass mehr Vernetzung im Gesundheitswesen Not tut: „Hätten wir die elektronische Gesundheitskarte, das elektronische Rezept und die elektronische Patientenakte, hätten behandelnde Ärzte und auch Apotheker einen viel besseren Überblick über die Arzneimitteltherapie.“ Schlenker rief die Ärzteschaft auf, ihre Blockade gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte aufzugeben. Doch bis diese Karte mit ihren erweiterten Funktionen tatsächlich Lebenswirklichkeit wird, muss man sich anderweitig behelfen. Glaeske rät betroffenen Patienten, selbst aktiv zu werden: Sie sollten ihre Medikation aufschreiben, verordnete Arzneimittel ebenso wie in der Selbstmedikation erworbene. Dann sollten sie einen Interaktionscheck in der Apotheke durchführen lassen. Zeigt sich, dass die Verordnungen kritisch sind, sollten Patienten ihren Apotheker bitten, den Arzt zu kontaktieren. Glaeske verwies auf die in Australien existierende „home medication“: Hier könne ein Apotheker jährlich Ordnung in die Arzneimittel eines Patienten bringen – und das als abrechenbare Leistung.

Doch in Deutschland tut man sich weiterhin schwer damit, Apotheken für solche Leistungen zu vergüten. So dümpelt auch das ABDA-KBV-Modell seit geraumer Zeit vor sich hin, Schlenker bezeichnet es bereits als „gescheitert“. Das Problem liegt seines Erachtens gerade in der „honorargetriebenen Diskussion“ um dieses Modell. Ein verantwortungsvoller Hausarzt, so meint Schlenker, sollte sich in seiner Lotsenfunktion ohnehin ganz klassisch um Fragen wie die Polymedikation kümmern. Es gebe ausreichend Listen und Programme, die ihn unterstützten, Wechselwirkungen zu erkennen. Dies sei kein „Hexenwerk“ und bedürfe auch keiner besonderen Verträge – und Vergütungen.


Kirsten Sucker-Sket