Arsen

Tödliches Gift kann Leben retten

12.07.2013, 16:18 Uhr


In Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ vergiftet der junge Major Ferdinand von Walter erst seine Geliebte Luise Millerin und dann sich selbst. Auch wenn der Tod unrealistischerweise innerhalb von Minuten eintritt, handelt es sich bei Arsen unumstritten um ein tödliches Gift. Richtig dosiert allerdings hat es heilende Wirkung. Auch das ist unumstritten. Nun gibt es sogar Hinweise, dass das Element mit dem Symbol As bei akuter promyelozytärer Leukämie unter Umständen die konventionelle Chemotherapie ersetzen kann.

Die akute Promyelozytenleukämie (APL) gehört zu den akuten myeloischen Leukämien. Die APL ist selten und betrifft etwa fünf Prozent der Patienten mit neu diagnostizierter akuter myeloischer Leukämie. Klinisch äußert sie sich meistens durch ausgeprägte Gerinnungsstörungen, die mit einem hohen Risiko für lebensgefährliche intrazerebrale Blutungen, sowie Blutungen an Haut und Schleimhäuten, Gastrointestinaltrakt und Lunge einhergehen. Daher gilt das Krankheitsbild als hämatologischer Notfall, der umgehend einer diagnostischen Abklärung und spezifischer Therapiemaßnahmen bedarf. Unbehandelt sterben die Patienten innerhalb weniger Wochen an inneren Blutungen.

Seit den  80er Jahren wird die APL standardmäßig mit all-trans-Retinsäure plus Anthrazyklin behandelt und damit Remissionsraten von über 90 Prozent erzielt. Dieses Therapieregime könnte bald Konkurrenz bekommen. Und zwar durch einen alten Bekannten – Arsentrioxid.

Die Substanz war in Kombination mit all-trans-Retinsäure der Anthrazyklin-basierten Standardtherapie in einer Phase-III-Studie an APL-Patienten mit niedrigem bis intermediärem Risiko nicht unterlegen beziehungsweise sogar leicht überlegen. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlicht. So erreichten alle 77 Patienten unter der Arsentrioxid-Kombination eine komplette Remission, im Vergleich zu 75 von 79 Patienten unter der Chemotherapie-Kombination. Auch das Gesamtüberleben war mit 99 Prozent gegenüber 91 Prozent besser. Dies ist allerdings vermutlich weniger der besseren antileukämischen Wirkung von Arsentrioxid, als der geringeren Hämatotoxizität geschuldet, so  Francesco Lo-Coco von der Universität Tor Vergata in Rom, einer der Studienautoren. Zudem traten unter der Arsen-basierten Therapie weniger Infektionen auf. Ganz unproblematisch war die neue Kombination allerdings auch nicht: es kam zu QT-Zeit-Verlängerungen und Leberschäden, die aber laut den Autoren reversibel waren.

Eine Therapie der APL ohne konventionelle Chemotherapie und somit ohne die kardiotoxischen Nebenwirkungen der Anthrazykline könnte also in Zukunft möglich sein. Allerdings braucht es noch ein wenig Geduld, denn die mittlere Beobachtungszeit von 34,4 Monaten ist zu kurz, um eine sichere Aussage zu machen.

Lo-Coco F, et al. Retinoic Acid and Arsenic Trioxide for Acute Promyelocytic Leukemia; N Engl J Med 2013; 369:111-121July 11, 2013DOI: 10.1056/NEJMoa1300874.


Julia Borsch