Eppendorfer Dialog

Spätbewertung – oder wie erkennt man den Patientennutzen?

Hamburg - 17.04.2014, 14:16 Uhr


Neue Arzneimittel – für den Pharmakritiker Prof. Dr. Gerd Glaeske sind sie noch längst kein Beleg für vorteilhafte Innovationen. Doch bei aller Kritik sieht er auch ein fundamentales Problem bei der Bewertung des Patientennutzens, wie er gestern in einer Diskussionsrunde beim 15. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik erläuterte. Gastgeber der Veranstaltung war wieder der Versorgungsforscher Prof. Dr. Matthias Augustin.

Glaeske warnte vor naivem Innovationsoptimismus und forderte gesunde Skepsis. Dazu verwies er auf diverse Bewertungen neuer Arzneimittel wie den Innovationsreport der Techniker Krankenkasse, der von 20 ambulant relevanten neuen Wirkstoffen des Jahres 2011 nur drei als innovativ einstufe. Dagegen seien einige ältere Arzneimittel ungerechtfertigt aus der Mode gekommen. Doch trotz dieser Kritik betonte er ein Problem bei den Bewertungen. Denn die klinischen Studien für die Zulassung beschreiben ausgewählte Patienten, aber nicht die typischen Patienten, die später behandelt werden. „Richtige Patienten stören in klinischen Studien“, so Glaeske. Klinische Studien zielen auf den Wirksamkeitsnachweis, aber nicht auf den Vergleich mit anderen Arzneimitteln und nicht auf den Patientennutzen. Daher seien mehr Versorgungsforschung und mehr – auch öffentlich geförderte – Studien nach der Zulassung erforderlich. Letztlich ziele dies auf eine „Spätbewertung“.

Dr. Markus Frick, Geschäftsführer Markt und Erstattung beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller, bekräftigte die Bedeutung dieses Dilemmas. Viel Erkenntnis könne erst nach der Zulassung gewonnen werden. Auf den Vorwurf, die Industrie entwickle Arzneimittel bevorzugt für lukrative Indikationen, entgegnete Frick, dies zeige, dass die Anreizsteuerung funktioniere – denn die Gesellschaft wolle beispielsweise Arzneimittel gegen Krebs. Wenn Arzneimittel für immer kleinere Patientengruppen entwickelt werden, müssten sie allerdings hohe Preise haben. Andererseits sieht Frick den Preis ohnehin nicht mehr im Zentrum der Diskussion. Denn nach der frühen Nutzenbewertung lägen 80 Prozent der Preise in Deutschland unter dem Mittelwert der europäischen Vergleichspreise. Vielmehr kritisierte Frick einen falschen Anreiz im Preisbildungsverfahren. In Indikationen, in denen es lange keine Innovation gab, dienen niedrigpreisige Wirkstoffe als Vergleich, und schrecken damit gerade dort vor Innovationen ab, wo diese gebraucht werden. Dagegen verspricht die Orientierung an hochpreisigen Vergleichen höhere Preise für neue Produkte. Um diese Fehlsteuerung zu verhindern, müssten die Vergleichstherapie in der Nutzenbewertung und der Maßstab in der Preisverhandlung voneinander getrennt werden, so Frick.

Ein weiteres Thema beim Eppendorfer Dialog war die Frage, ob die hohe Zahl an Operationen Fortschritt für die Patienten bedeutet. Maria Klein-Schmeink, Mitglied des Bundestagsgesundheitsausschusses und gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, stellte fest, dass es für die Durchführung von Operationen in Krankenhäusern keine so aussagekräftigen Bewertungsverfahren wie für Arzneimittel gibt. Die Einführung solcher Bewertungen erwartet sie von der Krankenhausreform der großen Koalition. Als möglichen Lösungsansatz präsentierte Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Direktor der Klinik für Orthopädie der Universität Rostock, das von ihm initiierte EndoCert-Register zur Qualitätssicherung beim Einsatz von Endoprothesen.


Dr. Thomas Müller-Bohn