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Befreiung von „Zwangsrente“?
Eingreifen der Politik unwahrscheinlich
Ob die Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Rentenversicherungspflicht abhängig beschäftigter Rechtsanwälte sich auch auf andere Freiberufler auswirken wird, ist bislang noch unklar. Die Politik will sich zur Befreiung derzeit offenbar eher nicht einschalten: „Ich fürchte, dass unsere Sozialpolitiker sich schwer damit tun würden, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts durch eine Gesetzesänderung wieder umzudrehen“, sagte der CDU-Politiker Heribert Hirte.
Das Bundessozialgericht (BSG) hatte entschieden, dass abhängig beschäftigte Rechtsanwälte (sog. Syndikusanwälte) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu befreien sind – auch wenn sie zugleich Mitglied des Anwaltsversorgungswerkes und der Rechtsanwaltskammer sind. Sie seien nicht wegen ihrer Beschäftigung Pflichtmitglieder der Anwaltskammer und des Versorgungswerks, argumentierte das Gericht. Die Tätigkeit in einem Unternehmen löse die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aus – unabhängig von der Mitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk. Ausschließlich Syndikusanwälten, die bereits einen Befreiungsentscheid haben, räumten die Sozialrichter für die Dauer ihrer derzeitigen Beschäftigung Bestandsschutz ein.
Gegenüber der FAZ beschreibt Hirte diese Entscheidung als „Erdrutsch“. Anwaltsorganisationen und Versorgungswerke forderten jetzt zwar eine Gesetzesänderung – doch Sozialpolitiker dürften sich seiner Meinung nach schwer tun, die BSG-Rechtsprechung wieder umzudrehen. Zumal die Große Koalition im Bundestag erst jüngst die „Rente mit 63“ eingeführt und die Mütterrente ausgeweitet habe. Hirte, der an der Universität Hamburg Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht lehrt, gehört zu den neun Abgeordneten der Unionsfraktion, die beim Rentenpaket mit Nein stimmten, wie die Übersicht zur namentlichen Abstimmung zeigt.
Derweil gehen die Meinungen dazu, inwieweit der Kurswechsel der BSG-Richter Wirkung auch für andere Freiberufler entfalten könnte, auseinander. Der Konstanzer Juraprofessor Winfried Boecken erwartet laut der FAZ, dass sich auch Apotheker, Ärzte und Architekten, die abseits der klassischen Berufsfelder arbeiten, nicht mehr der „Zwangsrente“ entziehen können. Die Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing und Richard Giesen rechnen auch nicht mit einem Erfolg von Verfassungsbeschwerden, die Betroffene einlegen wollen. Der Stuttgarter Medizinrechtler Martin Wesch erwartet wiederum, dass die BSG-Senate, die Apothekern und Ärzten bislang die Befreiung zugebilligt haben, am Ende die Oberhand gewinnen werden.
Die Folgen der Kasseler Entscheidung bekommen Unternehmen bereits jetzt zu spüren: Juristen ziehen ihre Bewerbungen zurück oder verlangen mehr Geld, berichtet die FAZ. Wirtschaftsverbände warnen vor einem „erheblichen Risikopotenzial“, weil der Wechsel in ein Unternehmen für Juristen nun deutlich unattraktiver geworden sei, da die Systeme der Altersversorgung nicht aufeinander abgestimmt seien. Auf längere Sicht bestehe die Gefahr, dass sich die Berufsgruppen auseinanderentwickelten. Rechtspolitiker Hirte fordert daher, die Stellung des Syndikusanwalts grundlegend neu zu beleuchten. Dabei stellt sich für ihn auch die Frage, wie unabhängig Freiberufler wirklich sein müssen.
Berlin - 03.06.2014, 12:56 Uhr