Zukunft der Freien Berufe

Gefahr durch die Hintertür

Berlin - 26.06.2014, 10:28 Uhr


Grundsätzlich hat sich das deutsche System der Freien Berufe bewährt. Doch aus Europa drohen Gefahren: Die EU-Kommission tendiert zur Harmonisierung und stellt nationale Regelungen auf den Prüfstand. Gerade im Bereich der Freien Gesundheitsberufe sollte das Ziel, mehr Wettbewerb zu erzeugen, jedoch nicht als Selbstzweck verstanden werden, mahnte Prof. Dr. Winfried Kluth von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am Mittwoch beim Hauptstadtkongress „Medizin und Gesundheit“. Dem stimmten auch die Präsidenten der Bundesärzte-, Zahnärzte- und Apothekerkammer zu.

Die EU-Kommission verfolge in Bezug auf die Freien Berufe insgesamt einen wirtschaftsliberalen Ansatz, führte Kluth aus. Sie versuche zwar nicht unbedingt an den Anforderungen an die berufliche Qualifikation zu rütteln, aber durchaus an vielen Einzelbereichen, die die Berufsausübung betreffen. Bestehende Regelungen sollen auf ein Minimum reduziert und Probleme durch Wettbewerb und strenge Haftungsregeln ausgeglichen werden. „Wir haben also einen Wandel von der Qualitätssicherung durch berufsrechtliche Normen hin zu einem System, das durch den Druck des Haftungsrechts ein angemessenes Verhalten erzeugen soll.“ Das deutsche System verfolge aber einen anderen Ansatz: Eine Regulierung erfolge hierzulande sehr stark durch den Berufsstand selbst.

„Unser Gesundheitssystem hat weltweit einen guten Ruf“, betonte Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer und zugleich Vizepräsident des Bundesverbands Freier Berufe – insbesondere wegen der Versorgungsstrukturen, die in besonderem Maße durch die Freiberuflichkeit geprägt seien. Er forderte von der Politik ein klares Bekenntnis zu den Freien Berufen und den Erhalt ihrer Selbstverwaltung. Gerade durch Europa gerate die Freiberuflichkeit unter Druck, weil diese in anderen EU-Mitgliedsstaaten häufig als „normale Unternehmen“ betrachtet werden. Auch vor der Verkammerung der Freien Berufe mache die Kritik nicht Halt. Hier müsse frühzeitig agiert werden. Auch wenn das Kammerwesen ein gut bewährtes Modell sei, müssten auch die Kammern – deren zentrale Aufgabe die Qualitätssicherung sei – ihre Rolle neu überdenken und sich für die Zukunft neu aufstellen, denn: „Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“

Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, verwies auf das besondere Spannungsverhältnis, in dem sich Apotheker befinden: Wie die (Zahn-)Ärzte sind sie dem Gemeinwohl verpflichtet, gleichzeitig aber auch eingetragene Kaufleute. Der Auftrag zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung sei einerseits gerichtet an den Apotheker persönlich – kontrolliert durch das Berufsrecht – und andererseits an die Apotheke – kontrolliert durch das Gewerberecht. Dieses deutsche Modell sei durch die DocMorris-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auch bestätigt worden. Dennoch werde immer wieder versucht, daran zu rütteln. Sein Plädoyer ist daher: „Diese Ausübung eines selbstverwalteten Freien Heilberufs ist ein weiterzuentwickelndes Topmodell für Apotheker.“

Gefahren, aber auch große Chancen sieht Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Die Perspektive in Europa sei nicht so optimistisch, dennoch müsse dieser Sonderstatus erhalten bleiben. „Deshalb kämpfen wir als Ärztekammer auch so intensiv an allen Fronten, an denen versucht wird, das Harmonisierungsverbot durch eine Gleichmacherei der Europäischen Union zu verletzen.“ So gebe es einen Ansatz in der EU-Kommission, künftig die ärztliche Berufsausübung mit der Stellung von technischen Normen vorzuschreiben, etwa im Bereich der Schönheitschirurgie (Vorgaben zur Durchführung von Operationen und der Heranziehung von Hilfspersonen etc.), aber auch bei der Homöopathie. Die Einhaltung sei eigentlich freiwillig, aber Gerichte würden sich seiner Meinung nach in der Praxis darauf berufen und die Normen würden doch zur Pflicht. Kluth warnte ebenfalls vor solchen Experimenten. Die EU-Kommission versuche, durch technische Normierungsvorhaben eine Harmonisierung „durch die Hintertür“ zu erreichen.


Juliane Ziegler