„Hart aber fair“

Talkrunde ohne Nebenwirkungen

Berlin - 02.12.2014, 10:34 Uhr


Bei der ARD-Diskussionsrunde „Hart aber fair“ ging es gestern um „Russisch Roulette auf Rezept – wie gefährlich ist die Medikamenten-Flut?“. Moderator Frank Plasberg diskutierte mit Menschen, die auf ihre Weise Experten auf diesem Gebiet sind, über Arzneimittel und ihre Nebenwirkungen. Nicht vertreten waren Pharmazeuten, was schon im Vorfeld für Befremden sorgte, das sich in den Kommentaren im Gästebuch der Sendung fortsetzte. Positiv: Ein Apotheker-Bashing blieb aus.

Ausgangspunkt der Talkrunde waren die steigenden Arzneimittel-Verordnungszahlen: Die Deutschen schluckten immer mehr Pillen – dabei könnten selbst einfache Grippemittel lebensgefährlich sein, so die Botschaft. Von anderen, verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ganz zu schweigen. Vorgestellt wurde unter anderem das Schicksal einer Diabetes-Patientin. Sie klagt bereits seit mehreren Jahren gegen Novo Nordisk, um Genugtuung wegen der Nebenwirkungen eines Insulin-Präparates zu erlangen. Da die Nebenwirkung klar sichtbar ist – ein deutlicher Fettgewebeschwund an den Oberschenkeln –, räumt der Anwalt ihr Chancen ein. In den meisten Fällen hätten Klagen gegen Pharmahersteller aber nur selten Aussicht auf Erfolg. Meist würden Verfahren vor einem Urteil per Vergleich und Zahlung einer Geldsumme eingestellt.

Aber wer ist verantwortlich, wenn Patienten zu Schaden kommen: Ärzte? Pharmaindustrie? Die Politik, die etwa die Rahmenvorgaben für klinische Studien setzt? Oder die Patienten selbst? Den Patienten wollte niemand in der Runde Vorhaltungen machen. Der frühere IQWiG-Leiter Dr. Peter Sawicki meint, dass die Politik zu wenig tue – ihm reichen auch nicht die diversen gesetzgeberischen Aktivitäten der letzten Jahre, auf die der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn verwies.

Darüber hinaus ging die Kritik vor allem in Richtung Industrie – aber auch Ärzte kamen nicht ungeschoren davon. Die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Stolze zeigte sich überzeugt, die pharmazeutische Industrie interessiere sich gar nicht für Wechsel- und Nebenwirkungen. Ihre Argumentation: Sie teste ihre Medikamente in den Studien ganz für sich, ohne den Einfluss anderer Medikamente. Nebenwirkungen vertusche die Branche lieber – jedenfalls sei sie nicht an Transparenz interessiert. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Norbert Gerbsch, hingegen verwies auf die bestehenden Veröffentlichungs- und Pharmakovigilanzpflichten.

ARMIN-Lob statt Apotheker-Bashing

Außen vor als Verantwortliche blieben die Apotheker. Nicht einmal als es um die gängigsten OTC-Arzneimittel ging, die Sawicki bestenfalls für überflüssig hält, gab es Kritik, dass die Beratung in der Apotheke nicht stimme. Dafür betonten Spahn sowie Gerbsch mehrmals, dass in Apotheken zu Arzneimitteln beraten werde und dass dies sehr wichtig sei. Im Zusammenhang mit der Frage, wer darauf achte, dass Patienten, die viele Arzneimittel verordnet bekommen, diese richtig einnehmen und Wechsel- und Nebenwirkungen möglichst vermieden werden, verwies Spahn auch auf das ARMIN-Modellprojekt in Thüringen und Sachsen. Hier gäben Ärzte zum ersten Mal ein Stück ihrer Hoheit ab und bezögen Apotheker ein. „Der hat das ja auch lange studiert, was Medikamente im Körper so machen“, erklärte Spahn. Er verwies allerdings auch auf den langen Kampf, der auszustehen war, bis es zu diesem Projekt kam.

Hier der Link zur „Hart aber fair“-Sendung vom 1. Dezember 2014.


Kirsten Sucker-Sket