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Arzneimittelwerbung
Versagt die Selbstregulierung der Industrie?
In vielen europäischen Ländern wird die Arzneimittelwerbung durch freiwillige Verhaltenskodizes im Rahmen der Selbstkontrolle der pharmazeutischen Industrie überwacht. Doch sind diese Systeme auch wirksam? Nicht besonders, meint eine Forschergruppe von der Universität Lund in Schweden. Sie hat die Länder Großbritannien und Schweden beispielhaft unter die Lupe genommen, die diesbezüglich als besonders effizient gelten. Das Ergebnis ist in der Zeitschrift PLoS Medicine veröffentlicht.
Die Autoren Anna Zetterqvist, Juan Merlo und Shai Mulinari sichteten zunächst die entsprechenden Dokumente, auf deren Basis die Selbstkontrollorgane der Industrieverbände ABPI in Großbritannien und LIF in Schweden agieren. Dann analysierten sie über den Zeitraum 2004 bis 2012 hinweg, was de facto bei der praktischen Umsetzung herausgekommen ist. In beiden Ländern werden die Organe dazu verpflichtet, die Werbung aktiv zu überwachen und bei Verstößen gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen. Hierfür steht den Briten ein etwas härteres Instrumentarium zur Verfügung als den Schweden.
Mehr als ein Fall pro Woche
Insgesamt regelten die schwedischen und britischen Einrichtungen über die untersuchten acht Jahre hinweg 536 bzw. 597 Fälle von Verstößen, das heißt in jedem der beiden Länder im Schnitt mehr als einen Fall pro Woche. Über die Hälfte der Fälle betraf irreführende Werbung. So wurden zum Beispiel Behauptungen über die Wirksamkeit aufgestellt, für die medizinische Beweise fehlten. Bei anderen ging es um die rechtswidrige Vermarktung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.
100 Fälle in Großbritannien (17%) und 101 (19%) in Schweden wurden als „besonders schwere Vergehen“ eingestuft. Dabei erwiesen sich viele Firmen als Wiederholungstäter. Unter den insgesamt 46 gerügten Unternehmen gab es sieben mit mehr als zehn schweren Verstößen, darunter einige der größten Pharmaunternehmen der Welt: Pfizer (19), Bayer (16), GlaxoSmithKline (13), Novartis und Novo Nordisk (jeweils zwölf), Astra-Zeneca und Eli Lilly (jeweils elf).
Nicht alle Fälle werden aufgespürt
Überdies gehen die Autoren von einer gewissen Dunkelziffer aus. Möglicherweise seien den Kontrolleuren einige Fälle durch die Lappen gegangen, wird gemutmaßt, andere könnten als unerheblich eingestuft und deswegen nicht als Fälle geführt worden sein. Darüber hinaus decken den UK-Regularien keine Verletzungen bei OTC-Arzneimitteln ab, so dass diese nicht in die Zählung eingeflossen sind.
Zwar führt die unethische Werbung in den Ländern zu Geldstrafen, doch die Autoren schätzen die Beträge im Verhältnis zu den Umsätzen, die mit den Arzneimitteln gemacht werden, als zu gering ein. In Schweden sollen sie lediglich mit etwa 0,01 Prozent und im Vereinigten Königreich mit 0,005 Prozent des Jahresumsatzes zu Buche schlagen.
Forscher: aktivere Überwachung notwendig
Die Häufigkeit und die Schwere der Verletzungen belegt nach Auffassung der Forscher die klare Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Verhaltenskodizes der Industrie und der Wirklichkeit. Sie wünschen sich deshalb Gesetzesänderungen, einschließlich der Vorprüfung von Werbematerialien, sowie eine aktivere Überwachung der Werbung, höhere Geldstrafen und andere Sanktionen. So könnten Firmen im Falle von Verstößen in der Öffentlichkeit mehr an den Pranger gestellt werden.
Quelle: Zetterqvist AV, Merlo J, Mulinari S. Complaints, Complainants, and Rulings Regarding Drug Promotion in the United Kingdom and Sweden 2004–2012: A Quantitative and Qualitative Study of Pharmaceutical Industry Self-Regulation. PLoS Med 2015;12(2): e1001785. doi:10.1371/journal.pmed.1001785
Remagen - 24.02.2015, 11:13 Uhr