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Remagen - Immer mehr Länder melden gefälschte Produkte und Verstöße in der Lieferkette. Auch die wissenschaftlichen Veröffentlichungen über solche Vorfälle nehmen rasant zu. In einem aktuellen Supplement des „American Journal of Tropical Medicine und Hygiene“ ist die Rede von einem mittlerweile „pandemischen Ausmaß“ des Problems. Die Autoren ziehen diese Schlussfolgerung aus einer Auswertung von siebzehn Fachartikeln und wollen hiermit ausdrücklich aufrütteln.
Sieben hochwertige Feldstudien vermitteln neuere Daten über die Qualität von lebensrettenden Medikamenten in Volkswirtschaften mit niedrigen und mittleren Einkommen – auch wenn das Problem schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf solche Länder beschränkt ist. Insgesamt untersuchten die Studien rund 16.800 Proben von Malariamitteln, Tuberkulose-Präparaten, Antibiotika und Mitteln gegen Leishmaniose. Neun bis 41 Prozent entsprachen nicht den Qualitätsvorschriften. Nach einer Prüfung von Antibiotika und Malariamitteln, die von Interpol und medizinischen Regulierungsbehörden sichergestellt worden waren, lag ein Drittel der Wirkstoffe außerhalb der Arzneibuchspezifikationen.
Woher stammen Fälschungen?
Aufhorchen lassen zudem neue Ergebnisse aus dem Pharmaceutical Security Institute’s Counterfeit Incident System (CIS), die in dem Supplement ebenfalls aufgegriffen werden. CIS ist eine nicht öffentliche Datenbank zur Sammlung von Informationen über Abzweigungen von Produkten, Diebstahl und Betrug von 28 Pharmaunternehmen. Von 1510 CIS-Berichten über gefälschte Medikamente kamen 28 Prozent aus China als Ursprungsland des Vorfalls oder für dessen Entdeckung. Die am weitesten verbreiteten gefälschten Medikamente, das sind die Antiinfektiva, wurden überwiegend aus asiatischen und lateinamerikanischen Regionen und aus Märkten mit mittlerem Einkommensniveau gemeldet.
Forderung nach konzertierter Aktion
In den letzten zehn Jahren haben sich zahlreiche neue Interessensgruppen gegen Arzneimittelfälschungen formiert, ohne dass aus der Sicht der Autoren greifbare Fortschritte erzielt worden wären. Umso lauter wird für sie der Ruf nach einem konzertierten internationalen Vorgehen.
Der Rechtswissenschaftler Amir Attaran von der Universität Ottawa in Kanada meint: „Im Idealfall sollten die Länder Gesetze haben, die gefälschte Arzneimittel und solche mit minderer Qualität im weltweiten Handel zurückdrängen, ohne den legitimen Handel mit generischen und Marken-Produkten zu stören. Hierüber müssen sich die Community der öffentlichen Gesundheit, die Strafverfolgungsbehörden und die Pharmaindustrie eben einigen.“ Attaran hat zu diesem Zweck ein Modellgesetz ausgearbeitet, das seit kurzem unter diesem Link frei verfügbar ist.
Nayyar, einer der Co-Autoren des Supplements, und andere plädieren zudem für eine Stärkung nationaler Gesetze durch ein internationales Übereinkommen und noch dringender für eine führende Organisation mit technischen Fachkenntnissen und Einfluss ähnlich der FDA. Diese sollte die Aktivitäten der Beteiligten sektorenübergreifend koordinieren und auf transparente Weise Ressourcen mobilisieren. Die Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle (FCTC) und die zugehörigen Protokolle, die auch den illegalen Handel mit Tabakwaren verbieten, wären ein hervorragendes Modell dafür, glaubt Nayyar.
Problem: Geringe Strafandrohung
Last but not least wird auch das bei weitem zu geringe Strafmaß für entsprechende Vergehen bemängelt: Norwegen zum Beispiel sehe hierfür nur vier Monate Haft vor, Frankreich drei Jahre und 75.000 Euro Bußgeld. In den Niederlanden muss jemand für die Produktion eines minderwertigen Arzneimittels sechs Monate „sitzen“, aber erst dann, wenn er die Tat zweimal in zwei Jahren begangen hat. Schätzungen zufolge bescheren gefälschte Arzneimittel Kriminellen einen illegalen Jahresumsatz von bis zu 75 Milliarden US-Dollar.
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