Gastkommentar

Ein Beruf auf der Suche nach sich selbst

Schlitz - 22.10.2015, 17:30 Uhr

Apotheker haben eine harte Ausbildung durchlaufen - nun sollen sie Telefonnummern und Vornamen aufspüren? (Foto: WavebreakMediaMicro/ Fotolia)

Apotheker haben eine harte Ausbildung durchlaufen - nun sollen sie Telefonnummern und Vornamen aufspüren? (Foto: WavebreakMediaMicro/ Fotolia)


Für Selbstzweifel ist keine Zeit mehr, wenn die Politik den Apothekerberuf in zehn Punkten definiert. Wer ernst genommen werden will, muss sich seiner Position bewusst sein und braucht einen entsprechenden Auftritt, meint Christian Gerninghaus, Apotheker aus Schlitz.

Eigentlich ist ja gar nichts passiert. In der EU sollen Berufsqualifikationen künftig leichter anerkannt werden. Das fordert eine EU-Richtlinie (2013/55/EU), die am 17. Januar 2014 in Kraft trat und bis zum 18. Januar 2016 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet derzeit an einem Gesetzentwurf, der diese Vorgaben für bundesrechtlich geregelte Heilberufe regeln soll. In diesem Zusammenhang will das Ministerium auch die Definition der „pharmazeutischen Tätigkeiten“ überarbeiten. Dazu hat jetzt der Bundesgesundheitsminister einen 10-Punkte-Katalog vorgelegt,  der nach seiner Auffassung den Beruf des Apothekers beschreibt. Und genau daran scheiden sich die Geister! Kann ein Bundesminister das Berufsbild eines freien Berufs per 10-Punkte-Katalog definieren?

Wer wir sind und was wir können

Noch mal kurz zur Erinnerung: Seit der Gesetzgebung des Stauferkaisers Friedrich II. etwa um das Jahr 1240, als die Trennung von Arzt und Apotheker festgeschrieben wurde, weiß man in Europa, was ein Apotheker ist und tut. Der Beruf des Apothekers ist anerkannt, wir erfreuen uns regelmäßig sehr großer Wertschätzung durch unsere Kunden, Umfragen zur Beliebtheit einzelner Berufsgruppen bestätigen das. Apotheker und Apothekerinnen durchlaufen eine der härtesten universitären Ausbildungen in Deutschland und schließen, anders als im europäischen Ausland, mit Staatsexamen ab. Wenn das Anerkennungsjahr absolviert ist, sind mindestens fünf Jahre seit Beginn der Ausbildung vergangen. Nach dem letzten Examen stehen die Jungpharmazeuten vor der Wahl, wo und wie sie mit ihrem umfangreichen Wissen ihr Geld verdienen wollen. Und die Möglichkeiten sind vielfältig: Offizin, Krankenhaus, Industrie, Verwaltung, Bundeswehr, Laboratorien, Großhandel, Krankenkassen, EDV-Hersteller und viel mehr.

Das Problem: Wir sind uns unserer Position nicht bewusst

Und jetzt kommt der Bundesgesundheitsminister und will alle Apotheker über einen Kamm scheren und in einen 10-Punkte-Katalog zwängen. Ok, EU-Richtlinie, Verwaltungsakt, unumgänglich. So könnte man die Angelegenheit einfach im Sande verlaufen lassen und müsste, wenn man sich seiner eigenen Position bewusst wäre,  kein großes Aufhebens um die Sache machen. Aber genau da liegt der Hase im vielzitierten Pfeffer: Wir sind uns unserer Position nicht bewusst! Die ABDA selbst hat vor dem Deutschen Apothekertag 2014 die Leitbilddiskussion geführt und ein Perspektivpapier Apotheke 2030 erarbeitet. Warum? Weil sie sich der Position der Apotheker im deutschen Gesundheitswesen nicht sicher war! Wir sind ein bisschen beleidigt, weil uns die Politik bei der E-Health- und Präventionsgesetzgebung nicht berücksichtigt, man erkennt uns nicht an. Wir machen in Honorarverhandlungen plötzlich einen Rückzieher. Mit vorauseilendem Gehorsam lassen wir uns von unseren Kammern (die wir mit unseren Beiträgen finanzieren) Seminare zum Medikationsmanagement verkaufen, obwohl der Gesetzgeber der Auffassung ist: Das geht auch ohne Pharmazeuten. Das erinnert mich an einen Witz, der in Marburg aktuell war, als ich vor 30 Jahren dort studierte: Ein Mathematiker, ein Mediziner und ein Pharmazeut sollen das Marburger Telefonbuch auswendig lernen. Der Mathematiker fragt: Was soll der Quatsch? Der Mediziner fragt: Was bekomme ich dafür? Der Pharmazeut fragt: Bis wann?

Grenze des Zumutbaren ist erreicht

Es ist an der Zeit, dass wir uns unserer Qualitäten besinnen! Und sie unseren Kunden täglich vor Augen führen! Täglich etwa 4 Millionen Kontakte! Wir sind die Arzneimittelfachleute! Medikationsmanagement zum Beispiel können wir schon lange! Stecken wir nicht länger den Kopf in den Sand, wenn wir nicht ausreichend Anerkennung von Politik und Krankenkassen erfahren. Wer ernst genommen werden will, braucht einen entsprechenden Auftritt. Der Schmusekurs ist vorbei! Die Öffentlichkeit und die Politik müssen erfahren, dass die Grenze des Zumutbaren erreicht ist. Ich habe nicht länger Lust, auf mein eigenes Risiko den Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen zu spielen, für Dinge, die ich nicht zu verantworten habe. Wenn wir weiterhin ernsthaft Telefonnummern, Facharztbezeichnungen und Vornamen hinterherlaufen, fühle ich mich, als wäre der oben zitierte Witz plötzlich Realität. Ich will auch nicht, dass mein pharmazeutischer Sachverstand von einem Angestellten einer Krankenkasse nur dann akzeptiert wird, wenn ich ihn wortreich auf dem Verordnungsblatt  niederschreibe. Und auch dann kann ich noch nicht sicher sein, dass meine Argumente Gehör finden. Keine Privatkasse würde es wagen, ihren Kunden die Kostenübernahme aufgrund eines Formfehlers zu verwehren. Es reicht. Nullretax muss weg. Und viele Dinge mehr. Die Liste der Missstände, mit denen wir Apotheken täglich kämpfen und die uns letztendlich der Zeit berauben, die wir für unsere Kunden, die wichtigsten Menschen in unseren Unternehmen bräuchten, ist lang.

Raus aus dem Dornröschenschlaf

Wir müssen raus aus dem Dornröschenschlaf! Piloten, Lokführer und Erzieherinnen haben uns gezeigt, wie man Forderungen formuliert und durchsetzt. Die ABDA ist gefordert. Für Selbstzweifel ist keine Zeit mehr. Ich habe übrigens meine Bundestagsabgeordneten zu mir in die Apotheke eingeladen, um ihm vor Ort zu zeigen, was heute schon geht, aber auch was uns Schwierigkeiten macht. Ich bin gespannt, ob er kommt.


Dr. Christian Gerninghaus, Apotheker, Schlitz
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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