Biotrial / Bial

Arzneimitteldrama schockiert Frankreich 

Rennes - 16.01.2016, 10:20 Uhr

Eingang zu Biotrial: "Alle Vorschriften eingehalten". (Foto: dpa)

Eingang zu Biotrial: "Alle Vorschriften eingehalten". (Foto: dpa)


Bei einem Arzneimitteltest in Frankreich treten bei mehreren Männern heftige neurologische Beschwerden auf. Ein Mann ist sogar hirntot. Die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine zeigt sich schwer betroffen. Was ist genau passiert?

Klinische Tests sind Alltag: Ohne die Versuche an Freiwilligen kann kein Arzneilmittel eine Zulassung bekommen. Streng reguliert und ärztlich überwacht sind solche Studien. Doch nun ist eine von ihnen in Frankreich schiefgelaufen - mit furchtbaren Folgen. Ein Mann liegt im Koma, vier Probanden leiden unter neurologischen Beschwerden (wir berichteten). Deutsche Experten sprechen von einem "absolut außergewöhnlichen Ereignis".

"Zu diesem Zeitpunkt ist mir kein vergleichbarer Vorfall bekannt", sagt auch die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine für ihr Land. Den Wirkstoff nannte sie nicht. Er soll auf Stimmungsschwankungen und Angstgefühle sowie auf motorische Störungen bei neurodegenerativen Erkrankungen zielen.

Freitagnachmittag, 15.1.2016:  Ministerin Touraine und Professor Gilles Edan auf einer Pressekonferenz: "So, dass wir dachten, das wäre ein Schlaganfall". (Foto:dpa)

"Ihre Not hat mich erschüttert"

Der Versuch läuft schon seit dem vergangenen Sommer, in den Räumen der Privatfirma Biotrial. Sie ist für solche Tests zugelassen und hat 25 Jahre Erfahrung, wie die Regionalzeitung "Ouest France" schreibt. Der Chef Jean-Marc Gandon sagte dem Blatt, der Großteil der Probanden nehme nicht aus finanziellen Gründen teil - jedenfalls sagten sie das. "Sie stellen eher ihren Wunsch nach vorne, die medizinische Forschung voranzubringen, und das hängt manchmal mit einer Krankheit in ihrem Umfeld zusammen."

Die Medikamentenbehörde ANSM hat wie vorgeschrieben ihr Okay für die Tests gegeben. Etwa 90 Menschen haben den Wirkstoff des portugiesischen Herstellers Bial genommen, weitere erhielten einen Placebo. Anfangs wurde der Wirkstoff nur einmal verabreicht, später sollte das Mittel mehrfach genommen werden - so war es der Fall bei den sechs Männern.

Testtag vier

Das Drama beginnt am vergangenen Sonntag, ihrem vierten Testtag: Ein Teilnehmer hat erste Beschwerden, sein Zustand verändert sich sehr schnell. "So, dass wir dachten, das wäre ein Schlaganfall", sagt Professor Gilles Edan vom Uniklinikum Rennes. Inzwischen ist der Patient den Ärzten zufolge hirntot.

Am Tag darauf bricht die Test-Firma Biotrial den Versuch ab, informiert die Behörden. Die übrigen Männer kommen - einer nach dem anderen - mit neurologischen Beschwerden ins Krankenhaus.

Bei drei von ihnen sei die Situation so schlimm, dass eine "unumkehrbare Behinderung" zu befürchten sei, sagt Edan - und präzisiert sich kurz darauf erschrocken selbst, als er die Reaktion der Journalisten auf diese Information realisiert und die Ministerin nochmals daran erinnert, dass wohl auch die Männer selbst Fernsehen gucken. Es gebe die Hoffnung, dass sich ihre Symptome verbessern, betont Edan - aber auch die Furcht, dass sie sich verschlechtern. "Ihre Not hat mich erschüttert", sagt Touraine.

Verzweifelte Ursachensuche

Die Bestürzung ist groß in Frankreich, und viele Fragen stehen im Raum. Biotrial wie Bial betonen: Alle Vorschriften wurden eingehalten. Bial führt zudem an, dass vorher noch keine Versuchsperson Beschwerden gehabt habe. Auch Ministerin Touraine hat noch keine Antwort darauf, wie es zu dem "schweren Unfall" kam.

Lesen Sie auch: 

Stellungnahme Biotrial

Phasen einer klinischen Studie / Zulassung (DAZ 34 /14)


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Keiner soll‘s gewesen sein 

1 Kommentar

BIA 10-274 ist der Name des Wirkstoffes

von C. Beck am 16.01.2016 um 1:55 Uhr

Als Pharmazeut wollte ich natürlich wissen welcher Wirkstoff so heftig wirken kann. Fündig wurde ich beim Innovator Bial Pharma (Portugal) in der Produktpipeline (es war bekannt das der Wirkstoff in Phase I getestet wir).
BIA 10-274 ist ein "small molecule" (MW 327,4 g/mol) und ein so genannter FAAH-Inhibitor (Fatty Acid Amide Hydrolase) der am Endocannabinoid-System wirkt (ähnlich Anandamid). Merck(USA) und Pfizer forschen an ähnlichen Wirkstoffen.
Parallelen zum Würzburger Tegenero-Vorfall mit TGN1412 kommen einem da in den Sinn, seit damals (2006) wurden die Regeln nochmals verschärft und die Initialdosen in Phase I noch niedriger angesetzt.

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