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Betrügerische Abrechnungen
Luftrezepte sind Einzelphänomene
Millionenbetrug durch Apotheker: Mit ihrem Artikel erzeugte die „Welt am Sonntag“ viel Aufmerksamkeit. Doch auch nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands handelt es sich um „punktuelles“ Fehlverhalten, wie Sprecher Florian Lanz gegenüber DAZ.online sagt. Die ABDA wehrt sich gegen „Sippenhaft“.
„Die große Abzocke“ titelte die „Welt am Sonntag“ (WamS), inklusive Apotheker-A: Der Bericht zu Abrechnungsbetrug im Millionenbereich schlug hohe Wellen.
Viele Apotheker sehen ihren Berufsstand zu Unrecht ins schlechte Licht gerückt –
so auch die ABDA, die am heutigen Montag eine Stellungnahme veröffentlichte. „Die
überwältigende Mehrheit der Apotheker in Deutschland versorgt die Patienten
nach bestem Wissen und Gewissen und rechnet auch die Rezepte ordnungsgemäß mit
der jeweiligen Krankenkasse ab“, sagt DAV-Vorsitzender Fritz Becker.
Kriminelle, die Urkundenfälschung oder Betrug begehen, müssten im Interesse der ehrlichen Mehrheit konsequent verfolgt werden. „Aber man darf nicht einzelne Betrugsfälle zu einem angeblich massenhaften Phänomen hochstilisieren und damit den Berufsstand in seiner Gesamtheit diffamieren“, sagt Becker. „Für einige spektakuläre Einzelfälle 20.000 Apotheken mit 150.000 Beschäftigten in ‚Sippenhaft‘ zu nehmen ist falsch – auch gegenüber den Patienten, die sich mit existenziellen Gesundheitsfragen vertrauensvoll an ihre Apotheke vor Ort wenden.“
Die Mehrheit der Apotheker arbeitet hochkorrekt
Auch nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands ist der Abrechnungsbetrug durch Apotheker „kein Massenphänomen“, wie Verbandssprecher Florian Lanz gegenüber DAZ.online sagt. Für ihn hat weder der Artikel vom Sonntag noch zuvor die Berichterstattung über Pflegebetrug etwas grundsätzlich Neues aufgedeckt. „Es zeigt, dass es im Pflegebereich wie auch im Arzneimittelbereich punktuell kriminelle Energie gibt“, sagt Lanz. „Aber auch, dass es ganz wichtig ist zu trennen zwischen den wenigen schwarzen Schafen und denen, die ihren Job korrekt machen.“ Die meisten im Gesundheitswesen tätigen Personen würden hochkorrekt und sehr engagiert arbeiten – Lanz schließt ausdrücklich die Apotheker ein.
Für ihn ist nicht nur der Betrug am Beitragszahler schlimm. Die aktuellen Fällen würden zu Unrecht auch das Vertrauen in den Berufsstand der Apotheker und auch der Ärzte erschüttern. „Das finden wir besonders bedenklich“, sagt Lanz. Da Betrugsdelikte sehr komplex und schwer zu ermitteln sind, fordert er mehr Schwerpunktsstaatsanwaltschaften. „Die Ermittlungsbehörden müssen sich darauf einstellen, dass in einem 35-Milliarden-Markt offensichtlich Personen dabei sind, die betrügen wollen“, sagt der Sprecher.
Zwei exponierte Fälle
„Das sind natürlich immer Einzelphänomene, die in der Außendarstellung zu dem Eindruck führen, dass ein ganzer Bereich – hier der Apothekenbereich – durchzogen ist“, sagt auch Oberstaatsanwalt Alexander Badle gegenüber DAZ.online. „Das ist natürlich nicht der Fall.“ Badle leitet in Frankfurt eine der wenigen bereits bestehenden Schwerpunktsstaatsanwaltschaften, die WamS berichtet insbesondere über seine Ermittlungen. „Die Fälle in dem Welt-Artikel sind zwei exponierte Fälle“, sagt Badle. Durch die teilweise hohen Kosten von Arzneimitteln hätten Apotheker anders als beispielsweise Pflegedienstleister durch Luftrezepte die Möglichkeit, im sechs- oder siebenstelligen zu betrügen.
In einem Fall soll ein Trio aus einer niedergelassenen Ärztin, ihrem – laut WamS – Geliebten und einem Apotheker im Jahr 2009 Verordnungen möglichst hochpreisiger Arzneimittel abgerechnet haben, doch wurden wohl günstigere Arzneimittel abgegeben. Der Apotheker soll den beiden anderen Beteiligten, gegen die nach jahrelangen Ermittlungen vor vier Wochen Anklage erhoben wurde, jeweils ein Drittel des Rezeptpreises ausgehändigt haben. Insgesamt gehe es in diesem Fall um eine Schadenshöhe von 1,6 Millionen Euro, in einem anderen um rund 2 Millionen Euro – bei denen der Bruder des Apothekers zusammen mit Patienten teure Arzneimittel wie Exjade und Ferriprox von mutmaßlich unbeteiligten Ärzten mehrfach verschreiben lassen haben soll. Zwei weitere Fälle lägen laut Badle um 500.000 Euro, außerdem sei eine Apothekerin in Offenbach wegen Betrugs in Höhe um 250.000 Euro angeklagt. Außerdem hatte das Landgericht Frankfurt einen Apotheker unter anderem wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Aufklärung ist wichtig
„Sie sehen, da sind schon einige Ermittlungsverfahren am Laufen“, sagt der Staatsanwalt. Doch gleichzeitig sei die Zentralstelle zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen für das gesamte Bundesland zuständig. „Aufklärung ist ganz wichtig, damit nicht der Eindruck entsteht, dass ein ganzer Berufsstand kriminell ist“, sagt Badle. „Das kann dem Gesundheitswesen wie auch dem Berufsstand einen massiven Schaden zuführen.“ Außerdem könnte es ansonsten zu Wettbewerbsverschiebungen kommen: „Das Geld, das durch Luftrezepte bei Krankenkassen zu Unrecht vereinnahmt wird, geht bei denen, die sich korrekt verhalten, mittelfristig verloren“, sagt der Staatsanwalt. „Man sagt, die Kosten explodieren – das gilt es auch mittelbar durch solche Ermittlungsverfahren zu verhindern.“
Bei den aktuellen Ermittlungen sei es wichtig gewesen, dass die Staatsanwälte den Betrug nicht über einzelne Rezepte nachvollziehen müssen. Im „Bermuda-Dreieck“, wie Badle es nennt, seien die Beweise schwierig: Beteiligte Patienten würden aussagen, sie hätten das Arzneimittel erhalten, auch Ärzte und Apotheker würden sich gegenseitig decken. Stattdessen konnte bei dem zu sechs Jahren Haft verurteilten Apotheker erstmalig ein Datenabgleich auf Makro-Ebene erfolgen: Die Staatsanwaltschaft forderte Daten von ungefähr 500 Lieferanten an und glich die Informationen mit den Daten des Apotheken-Rechenzentrums ab. „Bei einem Delta von 1,5 Millionen Euro wissen wir, er kann die Medikamente gar nicht abgegeben haben, weil er sie nicht erhalten hat“, sagt Badle. Der Bundesgerichtshof bestätigte inzwischen, dass diese Form der Ermittlung rechtens sei.
Wie kann vorgebeugt werden?
Die KKH Kaufmännischen Krankenkasse hat im vergangenen Jahr eine halbe Million Euro aufgrund von Betrugsfällen von Apothekern zurückgefordert – überwiegend aufgrund von Luftrezepten. Damit machten Apotheker fast ein Drittel der zurückgeforderten Summe von insgesamt 1,4 Millionen Euro aus, wobei sie natürlich nur aufgedeckte Fälle umfasst. Nach Ansicht der Krankenkasse wäre das E-Rezept hilfreich, um Betrugsfällen vorzubeugen – „da hierbei ein Patient mit dem E-Rezept auf seiner Gesundheitskarte tatsächlich in der Apotheke anwesend sein muss“, wie die Kasse auf Nachfrage schreibt.
Welche technischen Möglichkeiten könnten sonst gegen Betrug helfen? „Wir sind gespannt auf Vorschläge von Seiten der verfassten Apothekerschaft“, sagt der Sprecher des GKV-Spitzenverband Florian Lanz. Angesichts des seiner Meinung nach starken und erfolgreichen Lobbyings gegen Teile des Antikorruptionsgesetzes fragt er sich jedoch, ob jede gegen Korruption hilfreiche Form von Kontrolle von den Spitzen der Apothekerschaft auch gewünscht ist.
DAV-Vorsitzender Becker sieht in seiner Stellungnahme keinen Handlungsbedarf. „Das Apothekenwesen ist eines der am weitesten digitalisierten und am strengsten regulierten Bereiche der Gesundheitswirtschaft“, sagt er. Moderne Softwaresysteme würden bereits jetzt für große Transparenz bei den Warenströmen sorgen. „Für Regelverstöße hält neben dem Strafrecht auch das Berufsrecht Sanktionsmöglichkeiten bereit“, so Becker.
1 Kommentar
Was will er
von Stefan Haydn am 10.05.2016 um 17:01 Uhr
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