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Transparenz-Initiative
Pharmafirmen zahlten Ärzten und Kliniken 575 Millionen Euro
Bis zum 30. Juni wollen die Mitgliedsunternehmen der „Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ ihre Zuwendungen an Ärzte und andere Fachkreisangehörige sowie medizinische Organisationen und Einrichtungen auf ihren Webseiten veröffentlichen. Erstes Zwischenergebnis: Im Jahr 2015 flossen insgesamt rund 575 Millionen Euro.
Transparenz - ab dem 30. Juni?
Die Unternehmen hatten viel Zeit zur Vorbereitung: Schon im Sommer 2012 entschied der europäische Dachverband der forschenden Pharmaunternehmen (EFPIA), finanzielle Zuwendungen an Ärzte und medizinische Forschungseinrichtungen offenzulegen. Es dauerte noch eine Weile, bis die genauen Modalitäten geklärt waren. Vor drei Jahren verabschiedete die EFPIA dann ihren Transparenzkodex. In diesem wurden Mindeststandards gesetzt, die sodann von den nationalen Verbänden in einem nächsten Schritt umzusetzen waren. In Deutschland war hierfür die Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) zuständig – ein Verein, der 2004 von Mitgliedern des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa) gegründet wurde.
Am heutigen Montag traten vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer und FSA-Geschäftsführer Dr. Holger Diener gemeinsam vor die Presse um die neue Transparenzoffensive vorzustellen. Ab nächster Woche – Stichtag ist der 30. Juni – werden sich auf den Webseiten von 54 Pharmaunternehmen für jedes europäische Land gesondert zusätzliche Informationen finden.
- Es soll zwei individualisierte Sparten geben: Einmal die Zuwendungen an Personen (Ärzte und andere Fachkreisangehörige, zu denen auch Apotheker gehören können), die Vorträge gehalten oder bei Fortbildungen engagiert waren.
- Zum anderen Zuwendungen an Institutionen (medizinische Organisationen und Einrichtungen) für Sponsoring von Veranstaltungen sowie Spenden und Stiftungen.
- Die anteilsmäßig größte Kategorie trägt den Titel „Forschung und Entwicklung“ und wird nur eine aggregierte Summe enthalten, die keine individuellen Geldflüsse erkennen lässt. Hierunter fallen die Zahlungen an Personen und Institutionen, die klinische Studien und Anwendungsbeobachtungen (AWB) durchgeführt habe.
Da man die Anforderungen an AWB mittlerweile an die von klinischen Studien angepasst habe, sieht Fischer hier kein Problem, diese beiden Posten zusammenzufassen. Überdies verweist der vfa darauf, dass es für Details zu AWB bereits eigene Webseiten bei den Zulassungsbehörden gebe.
Wie sich die Gesamtsumme von 575 Millionen Euro aufteilt, zeigt diese Grafik:
Ärzte tun sich mit Transparenz schwer
Allerdings: Die individuellen Zuwendungen an Ärzte und andere Fachkreisangehörige sind auch nur von begrenzter Transparenz. Denn um deren Namen veröffentlichen zu können, müssen diese einwilligen. Rund ein Drittel hat diese Einwilligung für das Jahr 2015 erteilt. Für die übrigen zwei Drittel wird auch nur eine aggregierte Summe genannt werden. Hier sei man erst am Anfang eines Prozesses, betonte Fischer. Sie setzt darauf, dass sich die Zahl der Ärzte, die mit vollem Namen genannt werden, erhöhen wird.
Der FSA wird – wenn es so weit ist – auf seiner Homepage Links zu den Informationen der einzelnen Unternehmen bereitstellen. Noch ist diese „Transparenzliste" allerdings leer. Die Firmen können sich bei ihren Meldungen an ein vom FSA zur Verfügung gestelltes Muster halten. Eine Gesamt-Übersicht auf der FSA-Webseite wird es allerdings nicht geben. Wer sich größere Transparenz verschaffen will, muss also etwas mehr Mühe aufwenden. Und wer die Entwicklung der Zahlungen längerfristig beobachten will, sollte zudem beachten, dass die Unternehmen die Daten eines Jahres nur drei Jahre lang veröffentlichen müssen – ob sie sie dann wieder löschen, ist ihnen freigestellt.
Zusammenarbeit mit Ärzten unerlässlich
Fischer und Diener sind überzeugt, mit der Umsetzung des Transparenzkodex einen entscheidenden Beitrag geleistet zu haben: Die Veröffentlichung der Geldflüsse soll Vertrauen schaffen. Und es soll dabei auch klar werden, die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Ärzten bzw. medizinischen Institutionen notwendig sei. „Fortschritt braucht Austausch, Kompetenzen und Infrastruktur“, so Fischer. Bei einem neuen Computerprogramm sei es selbstverständlich, dass der Anwender eine Schulung bekomme – nichts anderes sei es bei einem Arzneimittel. Es dürfe nicht unterschätzt werden, welche Erkenntnisse sich noch aus der praktischen Anwendung ergeben.
Diener unterstrich, dass die neue
Transparenz nicht nur auf dem Papier oder dem Bildschirm zu finden sei.
Der FSA sei ein Verein, der Verstöße gegen seine Kodizes durchaus sanktioniere.
Geldstrafen von bis zu 400.000 Euro kann das Vereinsgericht verhängen. Mit fast
500 Verfahren habe sich dieses in den vergangenen zwölf Jahren befasst, so der FSA-Geschäftsführer.
Alle Entscheidungen seien abrufbar, samt Namen der Sanktionierten. Diener
verwies zudem darauf, dass seit 2009 die FSA-Mitglieder ihre Zuwendungen an
Patientenorganisationen veröffentlichen. Dennoch sei die Kritik an den Pharmaunternehmen nie
ganz verstummt. Dies sei ein maßgeblicher Grund für die Schaffung des
Transparenzkodex gewesen.
Linke: Nur ein Feigenblatt ohne Patientennutzen
Doch die Industrie wird wohl weiterhin mit Kritik leben müssen. So ist der Transparenzkodex für Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, lediglich „Augenwischerei“ und mehr eine „große Imagekampagne“ denn wirksame Selbstkontrolle. „Die Pharmakonzerne treten wohl die Flucht nach vorne an, um ein Verbot oder zumindest eine wirksame gesetzliche Beschneidung ihrer Manipulationen zu vermeiden“, vermutet Vogler. Den Patienten sei mit der Veröffentlichung jedenfalls nicht geholfen. Sie sollten sicher sein können, dass ihnen der Arzt nur verschreibt, was wirklich hilft. Doch die Realität sei, dass die Pharmakonzerne täglich zehntausend Vertreter in die Arztpraxen schicken, um das Verschreibungsverhalten zu beeinflussen. Vogler: „Das gehört unterbunden, da hilft auch kein Transparenzkodex – erst recht nicht einer, der nur auf freiwilligen Meldungen der Industrie basiert und wo jeder einzelne Doktor einer Veröffentlichung zustimmen muss.“
Auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, hat für die Bemühungen der Pharmabranche wenig übrig. Er kritisiert, dass sich Ärzte bei den Transparenzlisten noch immer hinter dem Datenschutz verstecken dürften. „Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert, diesen Namenlosen endlich ein Gesicht zu geben. Wer als Arzt oder Angehöriger eines Fachkreises von der Pharmaindustrie Geld erhalten will, muss gesetzlich verpflichtet werden, dies öffentlich zu machen“, so Brysch. Denn im Arzt-Patienten-Verhältnis sei Transparenz der Grundstein des Vertrauens und damit allerhöchstes Gut.
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