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Brexit und Arzneimittel
Pharmaindustrie erwartet herbe Verluste
Der Brexit könnte Europas Pharmabranche hart treffen. Die engen wirtschaftlichen Verflechtungen der Industrie dürften belastet werden. Auch der Arzneimittelversorgung in Europa könnte ein herber Schlag drohen. Gesetze müssen sich ändern, die Zulassungsbehörde EMA wird wohl aus London wegziehen.
BPI und BAH erwarten mehr bürokratische Hürden
„Die pharmazeutische Industrie ist durch die enge Verflechtung Großbritanniens in der Europäischen Union gekennzeichnet. Uns verbinden über Jahrzehnte gewachsene wechselseitige Handelsverbindungen, die wir nun innerhalb von kurzer Zeit auf eine neue Grundlage stellen müssen – soweit dies überhaupt möglich sein wird.“ Das sagt Martin Zentgraf, Vorstand des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), nach der Bekanntgabe des britischen Volksentscheids.
Zentgraf wies darauf hin, dass Großbritannien und Deutschland starke Pharmastandorte seien. Es werde die deutschen Pharmaunternehmen große Anstrengungen kosten, die neuen bürokratischen Hürden zu nehmen, die nach dem Austritt Großbritanniens aus der Union auf uns zukommen.
Ähnlich argumentiert der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH). Bereits im Vorfeld des Brexits wies der Verband darauf hin, dass die Auswirkungen auf die pharmazeutische Industrie immens und grundsätzlich negativ zu bewerten seien. So seien durch den Ausschluss Großbritanniens vom europäischen Binnenmarkt erhebliche Exportausfälle und Handelsverzögerungen zu erwarten.
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Der BAH zitiert Studien nach denen beim Export pharmazeutischer Produkte aus Großbritannien für die nächsten Jahre durch den Brexit ein deutlicher Rückgang von bis zu minus zehn Prozent zu erwarten sei, da selbst neue Handelsabkommen jahrelange Verhandlungen voraussetzen würden. Nach Informationen der britischen Confederation of Business Industry gehen bislang 56 Prozent der britischen Pharmaexporte in die EU, das entspräche rund 53 Milliarden Pfund pro Jahr.
Viele britische, international agierende pharmazeutische Unternehmen dürften Investitionen verschieben und werden Probleme haben, ihren Handel mit europäischen Ländern fortzusetzen. Gleiches gelte für eine Anzahl US-amerikanischer Unternehmen, die ihre europäischen Hauptverwaltungen in Großbritannien haben. Nach dem Brexit könnte Großbritannien für internationale Unternehmen möglicherweise somit kein geeigneter Standort mehr sein, um den europäischen Markt zu bedienen.
Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union dürfte nach Einschätzung des BAH aber auch weitreichende Folgen im regulatorischen Bereich haben. So wäre die weitere Teilhabe Großbritanniens an europäischen zentralen Zulassungsverfahren künftig ausgeschlossen. Pikant: Diese Verfahren werden durch die in London ansässige Europäische Arzneimittel-Agentur EMA vollzogen.
EMA braucht ein neues Zuhause
Ein Wegzug der EMA aus London, der größten EU-Institution auf der Insel, ist durch den Brexit aus Sicht des BAH zwingend. So sieht das auch BPI-Vorstand Zentgraf: „Der Mittelpunkt für die Bewertung und Zulassung von Arzneimitteln ist bisher die EMA in London. Die Behörde wird einen neuen Sitz nehmen müssen; die Verfahren werden in Zukunft woanders organisiert.“ In jedem Fall wird Großbritannien nun unverzüglich nationale Regelungen treffen müssen, um zentrale Zulassungen von Arzneimitteln anzuerkennen.
Nach einer Zusammenstellung der Nachrichtenagentur dpa haben mehr als 2500 deutsche Firmen Niederlassungen in Großbritannien. Sie beschäftigen etwa 420.000 Menschen, die meisten davon Briten. Zu den großen deutschen Arbeitgebern auf der Insel gehört unter anderem der Pharmahändler Celesio mit 20.000 Mitarbeitern. Der Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck KGaA beschäftigt in Großbritannien rund 1400 Mitarbeiter.
Auch die Chemieindustrie ist laut dpa stark mit Großbritannien verflochten. Im vergangenen Jahr exportierte die Branche nach Angaben ihres Verbandes VCI Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro nach Großbritannien, vor allem Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das entspreche 7,3 Prozent ihrer Exporte. Von der Insel bezogen die deutschen Firmen Waren für 5,6 Milliarden Euro, vor allem pharmazeutische Vorprodukte und Petrochemikalien. Die Unternehmen müssten nun mit einem Rückgang grenzüberschreitender Investitionen und weniger Handel rechnen.
Nach Einschätzung von Ulrich Hoppe, Geschäftsführer der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer, dürfte auch ein Ende der Arbeitnehmerfreizügigkeit sämtliche Branchen betreffen.
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