Brexit

Wohin mit der EMA?

Stuttgart - 28.06.2016, 07:00 Uhr

Quo vadis, EMA? (Foto: dpa / picture alliance)

Quo vadis, EMA? (Foto: dpa / picture alliance)


Nach der Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit bricht die Diskussion nach der Zukunft der EMA aus. Deutsche Verbände sprechen sich für einen Standort hierzulande aus, doch auch Dänemark oder Italien melden Interesse an. Laut der EU-Kommission ist es „viel zu früh“ für Spekulationen, wie sie gegenüber DAZ.online erklärt.

Arzneimittel-Regulierung gefährdet

Nach dem für viele Europäer überraschenden Ausgang des Referendums in Großbritannien stellt sich auch die Frage, wie es mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) weitergeht. Als Agentur der Europäischen Union steht ein Umzug an, wenn Großbritannien tatsächlich kein Mitgliedsland der EU mehr sein wird. Vertreter verschiedener EU-Nationen meldeten schon Interesse an, die Behörde zukünftig aufzunehmen – so Vorstände von Pharmaverbänden in Schweden und Dänemark, sowie der Leiter der italienischen Arzneimittelbehörde AIFA.

Ein Umzug der EMA wäre „ein großes Durcheinander“, sagte der Leiter des europäischen Pharma-Dachverbands efpia, Richard Bergström, kürzlich. In Folge könne eine große Anzahl von Regulierungs-Experten die Behörde verlassen, was die die Integrität der Arzneimittel-Regulierung in der EU gefährde.

Zieht die EMA nach Bonn?

In Deutschland positionierte sich der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) sowie der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI). „Wir bedauern das Ergebnis der Abstimmung zutiefst und halten es für politisch wie wirtschaftlich verheerend“, erklärte Hermann Kortland, stellvertretender BAH-Hauptgeschäftsführer. „Die Briten haben heute leider gegen Europa, gegen die vermeintliche Eurokratie und gegen die Europäischen Institutionen gestimmt“, sagte er. „Wir fordern die Verantwortlichen auf Bundes- wie Landesebene daher auf, sich für Bonn als neuen Standort der EMA einzusetzen“, so Kortland weiter. Bonn – wo auch der BAH ansässig ist – sei durch das BfArM und viele Arzneimittel-Hersteller in der Rheinschiene prädestiniert.

Deutschland ist ein attraktiver Standort

„Die EMA muss als europäische Behörde in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verortet sein“, schreibt der BPI auf Nachfrage. Deutschland hätte eine starke pharmazeutische Industrie und böte aufgrund der zentralen Lage einen attraktiven Standort – die 890 Mitarbeitern EMA-Mitarbeiter kämen mit Ausnahme von Luxemburg aus allen Mitgliedsstaaten. „Die EMA braucht einen attraktiven Sitz mit unter anderem hoher Kaufkraft, guter Infrastruktur, Lage, der für die hochqualifizierten Mitarbeiter reizvoll ist“, erklärt der BPI.

Viel wichtiger als die Diskussion um den zukünftigen Standort der EMA sei jedoch, dass es durch einen Umzug keinen Kompetenzverlust geben dürfe. „Die EMA betreibt zum Beispiel komplexe IT-Systeme, die nicht leicht zu verlagern sind“, schreibt der BPI. „Ein Umzug bindet erhebliche Kapazitäten, welche die ununterbrochene und uneingeschränkte Funktionsfähigkeit der Zulassung und Qualitätsprüfung von Arzneimitteln, sowie die Überwachung der Arzneimittelsicherheit behindern können.“ Daher sollten die zwei bis drei Jahre, die für den Vollzug des Brexits benötigt würden, für Vorbereitungen genutzt werden – um Sicherzustellen, dass die Funktionsfähigkeit der EMA erhalten bleibt.

Gröhes Ministerium hält sich zurück

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) will sich auch nach dem Votum nicht positionieren. „Wir beteiligen uns weiterhin nicht an Überlegungen über einen geeigneten Alternativ-Standort für die EMA“, erklärt ein Pressesprecher. „Die Diskussion über einen möglichen neuen EMA-Standort wird sicherlich zur gegebenen Zeit auf der europäischen Ebene geführt“, schreibt auch der BfArM-Sprecher auf Nachfrage.

Während das italienische Gesundheitsministerium nach Informationen des „Wall Street Journal“ schon am Morgen nach dem Referendum Anforderungen an einen Umzug der EMA in den Süden abklären ließ, reagiert das Bundesgesundheitsministerium zurückhaltend. Aktuell könne nur gesagt werden, dass die Standortfrage im Kreis der EU-Staaten zu diskutieren sein wird, antwortet ein Sprecher auf Nachfrage.

Allgemein scheint sich die Bundesregierung kaum auf den Brexit vorbereitet zu haben: Auf die Frage, welches Ministerium für den „Fall der Fälle“ vorgesorgt habe, meldete sich auf der Bundespressekonferenz am Freitag keiner der Sprecher.

Kein Vorbild: Weder für einen Austritt, noch für einen Umzug

Doch auch nach Ansicht der EU-Kommission ist es „viel zu früh, über diese Frage zu spekulieren“, erklärt ein Sprecher gegenüber DAZ.online. „Dies wird zu gegebener Zeit adressiert, wenn die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich über die Austritts-Vereinbarung sowie eine Vereinbarung über die zukünftigen Beziehungen mit der EU starten“, schreibt der Kommissionssprecher. „In der Zwischenzeit ändert sich nichts.“

Die EMA selbst verweist gleichfalls darauf, dass nun erst einmal die britische Regierung den Antrag zum Austritt nach Brüssel schicken muss. „Kein Land hat sich jemals entschlossen, die EU zu verlassen – so dass es kein Vorbild für diese Situation gibt“, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage. „Es ist viel zu früh, um die Folgen dieser Entscheidung vorauszusehen und wir werden in engem Kontakt mit den Institutionen der EU bleiben.“ Wie der britische Premierminister David Cameron nach der Bekanntgabe des Votums bekanntgab, will er die formellen Schritte des Austritts – anders als zuvor angekündigt – seinem Nachfolger übergeben.

Alles bleibt erstmal beim Alten

Auch nach einem Austritt könnte Großbritannien nach entsprechenden Verhandlungen weiterhin auf die EMA als Regulierungsbehörde zurückgreifen – wie beispielsweise auch Norwegen oder Island. Doch diese Nicht-Mitgliedsstaaten können zwar Vertreter zu den Zulassungs-Treffen schicken, haben jedoch kein Stimmrecht.

Solange keine konkreten Informationen vorliegen, bliebe alles beim Alten, schreibt die Europäische Arzneimittelbehörde. „Die EMA wird ihre Arbeit mit dem Ziel weiterführen, die Gesundheit von Menschen und Tieren zu schützen und den Zugang zu Arzneimitteln sicherzustellen, die sicher, wirksam und von guter Qualität sind.“



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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