DAV-Kommentar zum Rahmenvertrag

Was die neuen Retax-Regeln bedeuten

Berlin - 14.07.2016, 19:20 Uhr

Wann dürfen Krankenkassen Apotheken nicht mehr retaxieren? Das regelt der neue § 3 des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V. Der DAV gibt nun zusätzliche Hinweise. (Foto: DAZ.online)

Wann dürfen Krankenkassen Apotheken nicht mehr retaxieren? Das regelt der neue § 3 des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V. Der DAV gibt nun zusätzliche Hinweise. (Foto: DAZ.online)


Krankenkassen, die Apotheken wegen geringer Formfehler im Rezept retaxierten, werden seit einigen Wochen mit einer Neuregelung im Rahmenvertrag im Zaum gehalten. Der Deutsche Apotheker Verband hat diese neuen Vorgaben jetzt kommentiert. In dem Kommentar, der DAZ.online vorliegt, bleibt die strittigste Frage allerdings weiterhin offen.

Seit dem 1. Juni gibt es in § 3 des Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung eine neue Regelung zum Zahlungs- und Lieferanspruch der Apotheken. Es handelt sich um einen Kompromiss, den die Vertragspartner Deutscher Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband Ende Mai mithilfe der Schiedsstelle erzielt haben. Sein Ziel: Kassen sollen Apotheken wegen unbedeutender Fehler nicht mehr retaxieren dürfen. Der Vergütungsanspruch der Apotheker entsteht in diesen Fällen auch dann, wenn keine ordnungsgemäße vertragsärztliche Verordnung vorliegt.

Die Regelung ist sehr detailliert. Es gibt vier Kategorien, in denen eine Beanstandung durch die Kasse ausgeschlossen wird. Auch wenn vieles klar erscheint – Raum für Interpretationen gibt es immer. Daher hat der DAV nun einen Kommentar zu § 3 verfasst. Darin erläutert er, was aus seiner Sicht hinter den neuen Regelungen steckt. Ob er wirklich alle künftigen Streitfälle erfasst, bleibt abzuwarten. Der GKV-Spitzenverband seinerseits verzichtet auf eine solche Kommentierung. „Wir gehen davon aus, dass Retaxationen stets mit Augenmaß durchgeführt werden“, heißt es hierzu seitens des Verbands. 

Zu den Retax-Ausschluss-Kategorien zählen zum einen ergänzende Verträge auf Landesebene, die weiter gehen als der Rahmenvertrag selbst. Eine weitere betrifft Angaben des Arztes, die über die Anforderungen der Arzneimittel- und der Betäubungsmittverschreibungsverordnung hinausgehen, etwa die lebenslange Arztnummer oder die Betriebsstättennummer. Die Verträge auf Landesebene sehen diese teilweise vor. Fehlen solche Angaben, kann die Apotheke sie nunmehr ergänzen. Tut sie dies nicht, entsteht der Vergütungsanspruch nur dann nicht, wenn die Verträge nach § 129 Abs. 5 SGB V für diesen Fall eine Retaxation ausdrücklich vorsehen. Erfasst ist hier nach dem Kommentar des DAV auch der Vertragsarztstempel – selbst wenn er nicht explizit genannt ist.

Einzelfallentscheidungen und Generalklausel

Der Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung zudem dann, „wenn die Krankenkasse im Einzelfall entscheidet, die Apotheke trotz eines derartigen Verstoßes ganz oder teilweise zu vergüten“. Dazu erklärt der DAV-Kommentar den Hintergrund: Krankenkassen hätten sich in der Vergangenheit häufiger auf ihre Aufsichtsbehörde berufen, die es untersage, auf Retaxationen zu verzichten, wenn kein Vergütungsanspruch entstanden sei. Dem stünde das Gebot ordnungsgemäßer Mittelverwaltung entgegen. Dieser Einwand sei nun nicht mehr möglich, heißt es im Kommentar. Es stehe der Kasse „in jedem denkbaren Fall“ frei, zu entscheiden, ob sie retaxiere oder nicht.

Die letzte Kategorie enthält den generellen Maßstab, wann ein „unbedeutender Fehler“ vorliegt sowie einen nicht abschließenden Katalog zahlreicher Einzelbeispiele. Ein Fehler ist demnach unbedeutend, wenn er die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangiert. Hier erklärt der Kommentar, diese Formulierung sei an die Gesetzesbegründung zu 129 Abs. 4 Satz 2 SGB V angelehnt – der Rechtsgrundlage für die Erweiterung des Rahmenvertrags. Es sei nun zu erwarten, dass die Rechtsprechung den hier gesetzlichen Maßstab in den kommenden Jahren ausfüllen wird. Jedenfalls in jenen Fällen, die im Folgenden nicht explizit exemplarisch aufgeführt sind.

Knackpunkt Stichtag

Zum derzeit wohl strittigsten Punkt, ab wann die neuen Bestimmungen Anwendung finden, enthält der DAV-Kommentar allerdings keine Aussage. Hier steht so viel fest: In Kraft getreten ist die Änderung zum 1. Juni 2016. Bei Veröffentlichung des Kompromisses hieß es seitens der ABDA, dass sie für alle Beanstandungen gilt, „die künftig ausgesprochen werden oder bei denen das Beanstandungsverfahren noch nicht abgeschlossen wurde“. Auch Dr. Elmar Mand, der als unabhängiges Mitglied der Schiedsstelle den Kompromiss mitbestimmt hat, hatte bekräftigt, dass nach dem 1. Juni unter Beachtung der getroffenen Neuregelungen zu entscheiden sei – auch, wenn das Rezept bereits vorher eingereicht war.

Die DAK hat allerdings bereits mitgeteilt, dass sie alle Abgaben vor dem 1. Juni 2016 nach den bisherigen Vereinbarungen retaxieren wird. Ob sie sich mit dieser Auffassung durchsetzen kann, ist zweifelhaft – sie versucht es jedenfalls bereits, wie das DeutscheApothekenPortal berichtet.

Den Kommentar zu § 3 Rahmenvertrag hat der DAV den Landesapothekerverbänden zur Verfügung gestellt. Diese können nun entscheiden, ob und wie sie diesen ihren Mitgliedern ihrerseits zugänglich machen. Einige stellen ihn intern auf ihrer Webseite zum Herunterladen zur Verfügung. Wer interessiert am Kommentar ist, sollte beim Verband nachfragen. Der DAV selbst veröffentlicht den Kommentar nicht.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Retax-Datum nach 1.Juni 2016: Neue Fassung des Rahmenvertrags maßgeblich!

von Andreas P. Schenkel am 14.07.2016 um 19:26 Uhr

Ich habe der DAK gestern in einem Einspruch gegen die Retaxation von 06.06.2016 gleich mal meine Rechtsauffassung kundgetan: Da der Rahmenvertrag nach § 129 SGB 5 in der Fassung 2016 bereits fünf Tage vor der uns kürzlich zugegangenen Retax Rechtsskraft erlangte, startet das Verwaltungsverfahren zu diesem konkreten Rechnungs-Beanstandungs-Fall unter den neuen Prämissen der Schiedsstellen-Entscheidung. Da die DAK-Gesundheit eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (was sie anscheinend immer wieder mal zu vergessen scheint), ist sie unmittelbar an geltendes Recht (auch Vertragsrecht) gebunden. Das Verwaltungsverfahren der Retaxation ist ab dem Gültigkeitszeitpunkt des neugefassten Rahmenvertrags nach den neuen Bestimmungen durchzuführen, denn es läuft unabhängig von unserem Vorgang der Rechnungslegung an.
Zwar ist eine Rechnung durch unsere Seite eine notwendige Bedingung dafür, dass daraus ggf. eine Retaxation erfolgen kann, jedoch ist eine Retaxation keine zwingende kausale Folge einer jeden Rechnungserstellung. Es handelt sich also um zwei voneinander zeitlich, sachlich und rechtlich abgetrennte Vorgänge, sodass das Argument, die Anwendung alten Vertragsrechts sei statthaft, wenn nur die Rechnung vor dem Gültigkeitszeitpunkt des neuen Rahmenvertrags erstellt wurden sei, eine fehlerhafte Rechtsauffassung darstellt.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: copy and paste

von N. Hamann am 15.07.2016 um 8:35 Uhr

Danke Herr Kollege, das werde ich mir gleich kopieren und bei meinen DAK Retaxationen vom 6.6.16 (die erst am 18.6.16 bei mir eintrafen, auch schon sehr merkwürdig...) verwenden.

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