Medienrummel

Verunsicherte Patienten setzen Statine ab

Remagen - 02.08.2016, 11:45 Uhr

Erhöhte Skepsis: Nach Medienberichten setzten Patienten teilweise ihre Statin-Medikation ab, ergab eine Studie im British Medical Journal. (Foto: Picture-Factory / Fotolia)

Erhöhte Skepsis: Nach Medienberichten setzten Patienten teilweise ihre Statin-Medikation ab, ergab eine Studie im British Medical Journal. (Foto: Picture-Factory / Fotolia)


Können negative Medienberichte die Patienten soweit verunsichern, dass sie ihre präventive Dauermedikation abbrechen? Offenbar ja, wie Forscher jetzt am Beispiel der Statine zeigen konnten. Im Jahr 2013 hatte es in Großbritannien eine breite öffentliche Diskussion über deren Nutzen und Risiko gegeben. 

Anders als früher werden Patienten und Verbraucher heute im Zeitalter der großen Macht der Medien immer mehr und immer besser auch über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und die Diskussionen, die sich darum ranken, informiert. Die Folge davon ist, dass sie manchmal ihre eigenen Schlüsse und Konsequenzen daraus ziehen und wichtige Therapien einfach absetzen.

Wie alles anfing

Wir erinnern uns: Im Februar 2014 hatte das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) angekündigt, seine Leitlinie zur Lipid-Modifikation überarbeiten zu wollen, und eine erniedrigte Schwelle für den Einsatz von Statinen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) vorgeschlagen. Bis dahin bekamen nur Patienten mit einem 10-Jahres-Risiko für die Entwicklung von CVD von 20 Prozent oder mehr Statine angeboten.

Nach dem neuen Entwurf sollte die Messlatte für die Prävention auf 10 Prozent gesenkt werden. Die Wirksamkeit dieser Medikamente sei nachgewiesen, und auch die Kosten seien gesunken. Deshalb sollten erheblich mehr Menschen Statine bekommen, lautete seinerzeit die Begründung des NICE. Die Änderung wurde schließlich im Juli 2014 mit einer Revision der aus dem Jahr 2006 stammenden Guideline umgesetzt.

Große Aufregung in den Medien

Ganz reibungslos verlief das allerdings nicht, denn die Ankündigung des NICE, den Schwellenwert für die Verordnung von Statinen im Rahmen des National Health Service absenken zu wollen, hatte in den britischen Massen-Medien mächtig Staub aufgewirbelt. Ihren Höhepunkt erreichte der öffentliche Disput im März 2014, Kritiker äußerten Zweifel an der Unabhängigkeit des NICE. Dabei wurden oft die potenziellen Nebenwirkungen der Statine ins Feld geführt.

Schon im Oktober 2013 waren im British Medical Journal zwei kritische Fach-Artikel erschienen. Einer davon hatte nahegelegt, dass eine Statin-Therapie zumindest bei Patienten mit relativ geringem kardiovaskulärem Risiko mehr schaden als nutzen könnte. (BMJ 2013; 347:f6123; BMJ 2013; 347:f6340)

Ob solche Berichte und öffentlichen Diskussionen tatsächlich die Compliance beeinflussen, haben britische Forscher von der London School of Hygiene and Tropical Medicine nun nachträglich untersucht. 

Wie wirken kritische Berichte auf die Compliance?

Die Autoren analysierten den Datenbestand aus dem britischen Clinical Practice Research Datalink (CPRD) Service hinsichtlich Patienten, die im Zeitraum zwischen Januar 2011 und März 2015 zur Primär- oder Sekundärprävention erstmalig Statine bekamen oder diese bereits einnahmen. Als Periode intensiver Diskussionen in den Medien wurde aus den oben beschriebenen Gründen der Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2014 definiert.

Ein negativer Einfluss der Medienberichte auf den Beginn einer Statin-Therapie machte sich aus Sicht der Forscher nicht bemerkbar, wie die Forscher im British Medical Journal schreiben. Die Zahl der Erst-Verordnungen von Statinen zur Primärprävention war vor Oktober 2013 konstant angestiegen. An diesem Trend änderte sich auch nach März 2014 nichts. Die Erst-Verordnungen zur Sekundärprävention waren vor der Medien-Hype-Periode leicht rückläufig und danach sogar etwas höher als erwartet.

Mehr Therapie-Unterbrechungen

Anders sah die Situation jedoch bei den Therapieunterbrechungen aus. Als Therapieunterbrechung galt, wenn die Patienten innerhalb von vier Wochen nach dem Ende des letzten Verordnungszeitraums kein neues Rezept erhalten hatten. Insgesamt wurden über den Zeitraum rund 9,3 Millionen Verordnungen für Statine in der Primärprävention ausgestellt und etwa 5,1 Millionen Rezepte für die Sekundärprävention. 457.000 beziehungsweise 230.000 Patienten setzten ihre Primär- oder Sekundärprävention in dieser Zeit ab. 

In den ersten sechs Monaten nach den Medienberichten war die Rate bei den Patienten mit einer Primärprävention um elf Prozent höher als üblich, bei denen mit Sekundärprävention um zwölf Prozent. Dabei neigten ältere Patienten und solche mit einer schon länger andauernden Statin-Therapie eher dazu, die Therapie angesichts der Diskussionen zu unterbrechen oder abzusetzen. Nach einer post-hoc-Analyse waren die erhöhten Absetzraten jedoch sechs Monate später nicht mehr sichtbar.

Ähnliche Ergebnisse in anderen Ländern

Die intensive öffentliche Diskussion um die Nutzen-Risiko-Abwägung von Statinen hatte demzufolge lediglich eine vorübergehende Wirkung, aber einen Impact hatte sie durchaus, schließen die Epidemiologen. Die Autoren verweisen im Übrigen auf ähnliche Berichte aus Ländern wie Dänemark und Frankreich, die ebenfalls auf einen Einbruch der Statinverordnungen nach kritischen Medienberichten schließen lassen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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