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Tote Krebspatienten
Durfte der Heilpraktiker das ungetestete Arzneimittel verabreichen?
Warum mussten drei Krebspatienten, die in einem „Biologischen Krebszentrum“ nahe der niederländischen Grenze behandelt wurden, sterben? In den Ermittlungen hat sich der Verdacht erhärtet, dass die Kranken die ungeprüfte und nicht zugelassene Substanz 3-Bromopyruvat erhalten haben. Der Heilpraktiker bezog es auch aus einer deutschen Apotheke, die nach Informationen von DAZ.online inzwischen einen Rückruf gestartet hat.
Die Staatsanwaltschaft Krefeld ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gegen den Heilpraktiker Klaus R., der in seinem „Biologischen Krebszentrum“ in Brüggen-Bracht Krebspatienten behandelt hat, wie sie am Freitag bekannt gab. Der Alternativmediziner warb auf seiner Homepage mit einer „Basis-Therapie“ gegen Krebs, die er für 9.900 Euro anbot. 3-Bromopyruvat sei effektiver „als die heutigen Chemotherapeutika“, schrieb er dort. Inzwischen nahm der Heilpraktiker sie vom Netz.
Der Staatsanwaltschaft Krefeld liegen offenbar neue Erkenntnisse vor, dass die Patienten tatsächlich mit 3-Bromopyruvat behandelt wurden. „In dem Ermittlungsverfahren gegen den Heilpraktiker Klaus R. erhärten die bisherigen Ermittlungen den Verdacht, dass der Beschuldigte in dem Zeitraum vom 25.7. bis zum 27.7.2016 in seiner Praxis in Brüggen fünf Krebspatienten mit dem Präparat 3-Bromopyruvat (3-BP) behandelt hat“, erklärte sie. Innerhalb weniger Tage nach der Behandlung verstarben drei Patienten. Nach Auskunft des Kreises Viersen soll R. die Patienten nach dem Auftreten von Nebenwirkungen mit Vitaminen versorgt haben, anstatt einen Notarzt zu rufen. Deshalb erstattete die Leiterin des Gesundheitsamtes Strafanzeige gegen ihn.
Zwei weitere Krebspatienten mussten mit lebensbedrohlichen Komplikationen ins Krankenhaus eingewiesen werden. Zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand wollte sich ein Pressesprecher der Staatsanwaltschaft nicht äußern.
Gerichtsmedizinische Untersuchungen stehen noch aus
Unklar ist noch, inwiefern die bisher nicht in klinischen Studien getestete Substanz 3-BP für die Komplikationen verantwortlich war. „Abschließende Ergebnisse der in Auftrag gegebenen gerichtsmedizinischen Untersuchungen, die Aufschluss über einen Ursachenzusammenhang zwischen der Verabreichung des Präparats 3-BP in der von dem Beschuldigten verwandten Beschaffenheit und dem Todeseintritt geben sollen, stehen noch aus“, schreibt die Staatsanwaltschaft in ihrer Mitteilung.
Obwohl die Substanz bisher nicht zugelassen ist und der Heilpraktiker es offen als medizinische Therapie gegen Krebs beworben hat, war er womöglich autorisiert, seinen Patienten Infusionen mit 3-BP zu geben. „Nach einer vorläufigen Bewertung der Gesundheitsbehörden war der Beschuldigte als Heilpraktiker grundsätzlich berechtigt, das Präparat 3-BP zu verwenden“, erklärt die Staatsanwaltschaft. Laut dem Pressesprecher stützt sich diese vorläufige Einschätzung auf Aussagen der Bezirksregierung Düsseldorf, was diese gegenüber DAZ.online bestätigt.
War die Verwendung von 3-Bromopyruvat rechtens?
Auch ohne Zulassung könne der Wirkstoff theoretisch und „unter bestimmten Voraussetzungen“ legal von einem Arzt oder einem Heilpraktiker angewendet werden, erklärt eine Pressesprecherin. Voraussetzung sei, dass die anwendende Person über „ausreichende Kompetenzen“ verfüge. „Dazu gehört auch, die Risiken überschauen und richtig abschätzen zu können und die Patientin oder den Patient über Risiken umfassend aufzuklären“, schreibt die Bezirksregierung. Bundesgesetze ließen Ärzten und Heilpraktikern „eine recht freie Wahl“ der in der Therapie eingesetzten Mittel, „solange sie mit deren Eigenarten, Wirkungsweisen und Risiken vertraut sind, diese verantwortungsvoll anwenden und dadurch ihre individuelle Kompetenz nicht überschreiten“.
Für Alternativmediziner würde der Zulassungsprozess dann offenbar kaum eine Rolle spielen. Doch können Heilpraktiker die Risiken von nicht zugelassenen Arzneimitteln ohne klinische Studien tatsächlich überschauen? Die Pressesprecherin der Bezirksregierung wollte auf Nachfrage hierzu nicht antworten, sondern verwies nur allgemein auf das Heilpraktikergesetz und die Berufsordnung für Heilpraktiker.
Widerspruch vom Kreis
Deutlich zurückhaltender bewertet der Kreis Viersen diese Fragen: Die Veröffentlichung der Einschätzung, der Heilpraktiker sei generell autorisiert gewesen, Infusionen mit 3-BP abzugeben, sei „nicht in unserem Sinne“ und nicht mit der Behörde abgestimmt, wie ein Sprecher gegenüber DAZ.online sagte.
Nach Aussage des Kreises Viersen gab der Heilpraktiker an, 3-BP von einer deutschen Apotheke bezogen zu haben. DAZ.online fragte bei dieser nach. Der Inhaber, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagte, er habe vor den Zwischenfällen lediglich zwei Ampullen des Arzneimittels an den Alternativmediziner verkauft. Sie könnten seiner Einschätzung nach nicht mit den Todesfällen in Verbindung stehen, da sie schon Wochen vorher verkauft wurden und die Menge nicht für die Behandlung mehrerer Patienten ausreichen würde.
Der Apotheker musste die „völlig harmlose“ Substanz zurückrufen
Der Apotheker betont, dass er auf dem Boden des Gesetzes und der Apothekenbetriebsordnung arbeite und bereits mehr als 1400 Ampullen 3-BP auf Rezept hergestellt und verkauft habe, ohne dass es zu Problemen kam. Die Plausibilitätsprüfung samt Internetrecherche hätte keine Bedenken ergeben. „Wir wissen, dass er auch die reine Substanz bestellt hat“, sagt der Apotheker über den Heilpraktiker. Wenn Brombrenztraubensäure aufgelöst würde, sei die Lösung mit einem pH-Wert von 2 sehr sauer. „Wir passen den pH-Wert an und überprüfen das Endprodukt“, sagt er. Bei richtiger Herstellung sei 3-BP „völlig harmlos“.
Nach dem Zwischenfall habe er den Behörden jedoch zusichern müssen, das Arzneimittel nicht mehr als Rezeptur herzustellen, und einen Rückruf gestartet. Seine Kunden – Ärzte und Heilpraktiker – seien enttäuscht, dass er nun nicht mehr liefern kann.
Keine Erlaubnis für „Heilmeister“ in den Niederlanden
Möglicherweise hat der Heilpraktiker aus Brüggen 3-BP auch als Pulver aus den USA bezogen. Einige Tage vor den Todesfällen soll er laut niederländischen Medienberichten einer anderen Patientin gesagt haben, dass er ihr erstmals die Substanz eines amerikanischen Herstellers verabreicht hatte – sie klagte wegen Übelkeit. Rund eine Woche vor den drei späteren Todesfällen war auch sie verstorben. Laut dem Inhaber der deutschen Apotheke, die 3-BP an Ross geliefert hat, bestellte dieser am 26. Juli – nach dem ersten Todesfall – noch weitere 20 Ampullen, die aber erst Anfang August geliefert wurden.
Der Heilpraktiker richtete seine Angebote speziell an niederländische Patienten, da „Heilmeister“, wie er sich selber nannte, die Therapien dort nicht durchführen könnten. In den Niederlanden wurde Alternativmedizinern im Jahr 1993 zwar erlaubt, tätig zu werden – vorher durften nur Ärzte medizinisch behandeln. Doch dürfen sie anders als in Deutschland keine Infusionen oder auch allgemein Spritzen verabreichen.
Möglicherweise müssen frühere Patienten exhumiert werden
Derzeit wertet die Ermittlungskommission „Brom“ die Zeugenhinweise und die bei der Durchsuchung der Wohn- und Praxisräume des Heilpraktikers sichergestellten Beweismittel auch dahingehend aus, ob weitere Behandlungsfälle in die Ermittlungen einzubeziehen sind. Wie niederländische Medien berichteten, werden wahrscheinlich über Exhumierungen frühere Todesfälle von Krebspatienten, die der Heilpraktiker behandelt hat, aufzuklären sein.
Die Ermittlungsbehörde geht davon aus, dass die Todesfälle unbeabsichtigt auftraten. „Die bisherigen Ermittlungen bieten keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte den Tod von Patienten oder Gesundheitsbeschädigungen vorsätzlich herbeigeführt hat“, erklärt sie in einer Pressemitteilung. Der Heilpraktiker hatte in einem Statement auf seiner inzwischen nicht mehr erreichbaren Homepage nach dem ersten Todesfall geschrieben, er sei „im Schock“ – und er weise Medienspekulationen zurück, der Todesfall habe mit der alternativmedizinischen Behandlung oder seiner Klinik zu tun.
Er hatte angekündigt, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren – auf Medienanfragen reagiert er aktuell jedoch nicht. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Krefeld wollte auf Nachfrage nicht kommentieren, ob die Ermittlungsbehörden in Kontakt mit dem Heilpraktiker sind. Er sei jedoch weder zur Fahndung ausgeschrieben noch in Haft.
6 Kommentare
Heilpraktiker
von M.Sp. am 19.08.2016 um 18:28 Uhr
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Glaube und Tod
von Dr Schweikert-Wehner am 19.08.2016 um 15:11 Uhr
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Ihr Kommentar zu Heilpraktiker
von Gerber am 18.08.2016 um 21:47 Uhr
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AW: Haltet den Dieb...
von Udo Endruscheit am 19.08.2016 um 23:16 Uhr
AW: Dunkelziffer
von Rudolf Hege am 20.08.2016 um 15:55 Uhr
Heilpraktiker
von Dr Schweikert-Wehner am 17.08.2016 um 11:46 Uhr
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