Strafbar oder nicht?

Korruptionsfalle Blutzuckermessgeräte?

Berlin - 22.08.2016, 17:00 Uhr

Sind kostenlose Blutzuckermessgeräte aus Apotheken bald Vergangenheit? (Foto: Kzenon / Fotolia)

Sind kostenlose Blutzuckermessgeräte aus Apotheken bald Vergangenheit? (Foto: Kzenon / Fotolia)


Die kostenlose Abgabe von Blutzuckermessgeräten bewegt derzeit die Gemüter. Roche erklärte kürzlich einen Abgabestopp an Ärzte – denn es ist nicht eindeutig geklärt, ob dies nach dem neuen Korruptionsstrafrecht strafbar ist. Ob es eine Lösung ist, die Geräte nun verstärkt Apotheken zur kostenlosen Weitergabe an Patienten zur Verfügung zu stellen, ist allerdings auch fraglich.

Hersteller von Blutzuckermessgeräten überdenken derzeit ihre Vertriebspraxis, die Geräte kostenlos an Ärzte abzugeben. Grund ist das neue Korruptionsstrafrecht im Gesundheitswesen. Einige Unternehmen gehen nun verstärkt dazu über, den Weg über Apotheken zu gehen. Der Hintergrund bleibt der gleiche: Patienten, die das Messgerät eines Herstellers haben, brauchen anschließend auch die passenden Teststreifen – sie sind es, an denen die Firmen verdienen. Aber dürfen Apotheken die Geräte sorglos als geschenkt annehmen, um sie dann umsonst an Patienten weiterzugeben? Die Kölner Rechtsanwältin Dr. Sabine Wesser hat sich dieser Frage für unsere DAZ.online-Serie zum Korruptionsstrafrecht angenommen.

Die Rechtliche Einschätzung von Rechtsanwältin Dr. Sabine Wesser:

§ 299a StGB (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen) lautet:

Wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er

1. bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten,

2. bei dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind, oder

3. bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial

einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Da sich der Sachverhalt weder unter § 299a Nr. 1 StGB noch unter die Nr. 2 subsumieren lässt, weil Apothekenbetreiber weder Teststreifen verordnen noch unmittelbar am Patienten anwenden, kommt lediglich Fallvariante Nr. 3 in Betracht.

Definition „Patient“

Dies setzt voraus, dass Patienten nicht nur Ärzten, sondern zum Beispiel auch den Vertreibern von Teststreifen zugeführt werden können. Zwar wird in Bezug auf das Abspracheverbot des § 11 Abs. 1 ApoG die Auffassung vertreten, nur Ärzte hätten Patienten. Doch angesichts des primär auf den Schutz des Wettbewerbs vor unlauterer Beeinflussung abzielenden Zwecks der neuen Korruptionsparagrafen ist durchaus denkbar, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte den Patientenbegriffs nicht derart eng auslegen werden. Zumal die Norm lediglich die unlautere Bevorzugung eines „anderen“ verlangt –  nicht aber, dass dieser andere Heilberufler ist. Dass die Rechtsordnung den Begriff „Patient“ nicht auf Personen beschränkt, die ärztliche Behandlungsleistungen nachfragen, zeigen auch das Apothekengesetz und die Apothekenbetriebsordnung, die beide selbstverständlich davon ausgehen, dass Apotheken Patienten haben (vgl. z.B. § 11a Nr. 2c ApoG, § 20 ApBetrO). Die Häusliche-Krankenpflegerichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses  bezeichnet die durch den Pflegedienst zu versorgenden Personen ebenfalls als „Patienten“. Dass „Patient“ im Sinne des § 299a StGB jede Person ist, die Gesundheitsdienstleistungen (ärztliche, pflegerische, pharmazeutische, physiotherapeutische usw.) und Gesundheitswarenleistungen (Arzneimittel, Medizinprodukte, sonstige Gesundheitswaren) nachfragt, könnte also noch als vom Wortlaut der Strafrechtsnorm abgedeckt angesehen werden.



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3 Kommentare

Das Ergebnis ist nicht zwingend...

von Jeremiah von Westfalen am 29.08.2016 um 14:33 Uhr

Noch einmal zusammengefasst, um welchen Tatbestand es geht:

Wer als Apotheker, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Der Tatbestand des § 299a Nr. 3 StGB passt m.E. nicht auf die Konstellation, in der ein Apotheker kostenlose Blutmessgeräte an seine "Patienten" abgibt. Insoweit stellt sich nämlich aus meiner Sicht die Frage, ob ein Apotheker als Täter im Sinne der Vorschrift Herstellern von Blutmessteststreifen "Patienten oder Untersuchungsmaterial" zuführen kann, ist m.E. noch nicht überzeugend beantwortet. Es ist richtig, dass nach dem Apothekengesetz und der Apothekenbetriebsordnung Apotheker auch Patienten haben können. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass auch die pharmazeutische Industrie und Medizinproduktehersteller Patienten haben, halte ich jedoch nicht mehr für vertretbar, zumal in der Regel keine direkte Beziehung zwischen diesem und dem sog. Patienten (bzw. Endkunden) besteht. Der Tatbestand des § 299a Nr. 3 StGB dürfte den klassischen Fall betreffen, dass Apotheker Ärzten Vorteile verschaffen, damit sie diesen Rezepte und damit Patienten zukommen lassen. In der Abgabe kostenloser Bluttestgeräte dürfte dies jedoch nicht zu sehen sein.

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Mildtätige Weitergabe einer möglicherweise geldtätig-unlauteren Gabe

von Andreas P. Schenkel am 25.08.2016 um 16:37 Uhr

Wenn also der Apotheker, der sich unversehens einer Strafandrohung ausgesetzt sieht, sich besonnen hat, so wird er erkennen:
1) Er hat ein halbes Dutzend bis mehrere dutzend gratis erhaltene Blutzucker-Messgeräte im Regal stehen, die er nicht gratis weitergeben darf - weder zur Messstreifen-Absatzsteigerung noch zur Verhinderung diabetischer Spätschäden bei seinen Kundenpatienten (oder Patientenkundenklienten).
2) Er sagt sich: Bevor ich die Geräte zum Elektroschrott bringe, gebe ich sie an die Angestellten ab. Doch die winken ab, haben schon alle von Messgeräte-AD ein bis drei Geräte zu Hause. Der AD nimmt die Geräte nicht mehr mit, kann mit Mühe und Not davon abgehalten werden, weitere Geräte dazulassen.
3) Da denkt sich der Apotheker: Mir wurden die Geräte als "mildtätig-unlautere" Gabe überlassen. Dann läutern wir das Unlautere doch durch lautere Mildtätigkeit.
4) Gedacht-Gesagt-Getan: Jeder Kundenklientpatient erhält das Recht, gegen eine Spende von mindestens 10 € je Blutzuckermessgerät in die Spendenbuchs für die Krebshilfe, Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, DLRG etc. ein Blutzuckermessgerät sich aneignen zu dürfen. Solange Vorrat reicht.

Marktpreis: Bei einem großen Webseller bietet eine deutsche Apotheke am heutigen Tag das Accu-Chek Aviva in der neuesten Variante für 26,99€ an. Dann können wir also eine Preisspanne von 25€ -30€ als marktüblich ansehen. Ein Abstand von mindestens 15€ von der geforderten Mindestspendenhöhe bis zum unteren Marktpreis ist, hinsichtlich der Kennzeichnung des Geräts als "unverkäufliches" Gerät, sicher nicht unlauter.

Und wenn wir jetzt anfangen müssen, uns noch rechtfertigen zu müssen dafür, dass wir an Bedürftige mildtätige Spenden zukommen zu lassen, dann ist das nicht mehr mein Gesundheitswesen.

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Wo kein Unrecht ist regiert der Markt

von Andreas Grünebaum am 22.08.2016 um 18:10 Uhr

Wir brauchen keine kostenlose Geräte vom Hersteller. Stellen wir diese in die Selbstbedienung, würden sich dort alle "Kunden" bedienen, um die 10 Teststreifen umsonst abzugreifen. Sollen sich doch die GKVen mit Herstellern um die Kosten für ein Gerät auf GKV-Rezept - bisher noch nie gesehen - streiten und Rabattverträge für die Teststreifen aushandeln. Für alle Selbstzahler gilt dann eben der Marktpreis.

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