G-BA-Chef Hecken

Auch Alternativmediziner müssen Evidenz liefern

Berlin - 09.09.2016, 07:00 Uhr

G-BA-Chef Josef Hecken will strengere Vorgaben für die Alternativmedizin. (Foto: TK)

G-BA-Chef Josef Hecken will strengere Vorgaben für die Alternativmedizin. (Foto: TK)


Methodische Qualität der Studien von Homöopathen ist fragwürdig

DAZ.online: Von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie wurde ein Forschungsreader zum Stand der Homöopathie-Forschung zusammengestellt. Trauen Sie den Studien nicht?

Hecken: Mit der Einrichtung des Gemeinsamen Bundesausschusses hat der Gesetzgeber den Anspruch für die Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung festgelegt: Sie müssen evidenzbasiert sein und qualitätsgesichert erbracht werden.

Hierzu bedarf es regelhaft einer systematischen Evidenzrecherche, in der die vorhandenen Studien gesucht, klassifiziert und ausgewertet werden, um so einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die vorhandene Evidenz, über Nutzenbelege und unter Umständen auch über Schadens- oder Gefahrenpotenziale von Präparaten und Methoden zu gewinnen. Ein solches Vorgehen scheint auch von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie grundsätzlich akzeptiert zu werden, sonst hätte sie nicht versucht, den aktuellen Stand der Forschung zur Homöopathie im sogenannten Forschungsreader zusammenzustellen.

Allerdings ist die methodische Qualität dieser Zusammenstellung zu hinterfragen, weshalb ich vorgeschlagen habe, dass beispielsweise das IQWiG oder ein anderes unabhängiges wissenschaftliches Institut mit einer Metaanalyse, in der alle vorhandenen Studien aufgearbeitet und bewertet werden, beauftragt werden könnte.

Auch das ist nichts Ungewöhnliches, sondern es ist gute wissenschaftliche Praxis, dass sich Studien auch einer externen unabhängigen Überprüfung unterwerfen. Beim G-BA ist das Tagesgeschäft, und wir merken bei vielen Methodenbewertungen und AMNOG-Entscheidungen, dass viele Studien einer Überprüfung nicht standhalten.

DAZ.online: Krankenkassen argumentieren, der G-BA könne homöopathische Mittel ja gänzlich aus dem Leistungskatalog der GKV ausschließen. Warum passiert das nicht?

Hecken: Der G-BA hat bereits mit einem klarstellenden Verordnungsausschluss aller traditionell angewendeten, bloß registrierten Arzneimittel, eine generelle Regelung, die insbesondere dem Qualitätsgebot Rechnung tragen soll, vorgenommen. Hierzu können auch Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zählen. Daneben ist eine Erstattung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zugunsten Erwachsener nur möglich, wenn sie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Der Therapiestandard wird anhand der bestverfügbaren Evidenz beurteilt. In den für die in der OTC-Übersicht der Arzneimittel-Richtlinie vom G-BA festgelegten Indikationsgebieten und Anwendungsvoraussetzungen kann ebenso die Verordnung rezeptfreier Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen erwogen werden, sofern die Anwendung nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.

Dieser Umgang mit homöopathischen und anthroposophischen Präparaten im Sinne einer formalen Gleichstellung zu allopathischen OTC-Präparaten erfolgte vor dem Hintergrund der Verpflichtung des G-BA, der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen. Dies geschah im Bewusstsein, dass ein Evidenzniveau vergleichbar mit dem allopathischer Arzneimittel regelhaft nicht besteht und die arzneimittelrechtlich zulässige Anwendung allein durch den Erkenntnisstand in der jeweiligen Therapierichtung gestützt wird. Das entbindet aber nicht davon, zumindest die Unbedenklichkeit exakt zu belegen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Geldverschwendung

von Dr. Hans-Werner Bertelsen am 09.09.2016 um 12:45 Uhr

Die Masche mit den "Selektivverträgen" erweist sich als zweifelhaftes Geschäftsmodell zulasten der Beitragszahler und zulasten der Gesundheit von vielen Versicherten. Es ist beim derzeitigen Erkenntnisstand ethisch nicht mehr vertretbar, Patienten mit Konstrukten wie "Erstverschlimmerung" und Zuckerkugeln abzuspeisen und dann pro Patient und Jahr 390.- Euro budgetfrei kassieren zu wollen. Hinzu kommen selbstverständlich die körperliche Untersuchung und andere seriösen Leistungen, damit man das Budget ausschöpft. Mir persönlich reicht es. Ich habe mitansehen müssen, wie eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern per Injektion von einem Heilpraktiker-Zahnarzt getötet wurde. Vorab gab es Kügelchen, damit man sich sicher ist, dass die Patientin eine "esoterische Reflektionsbereitschaft" hat. Wenn jetzt nicht endlich Änderungen erfolgen, dann verliere ich den Glauben an Ethik und Moral.

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/homoeopathie-kongress-bremen-kritik-an-wissenschafts-senatorin-a-1093378.html

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3 verschiedene Themen

von Lars Dittrich am 09.09.2016 um 11:57 Uhr

In dieser Diskussion geht es eigentlich um drei verschiedene Szenarien
1) es werden (potenziell) schädliche Behandlungen vorgenommen, ohne dass der Patient darüber aufgeklärt ist. Beispiele sind 3-Bromopyruvat in Brüggen oder das unsägliche MMS.
2) der Patient wird zu völlig unwirksamen oder nur vielleicht wirksamen Behandlungen überredet und verschleppt damit eine gefährliche Krankheit, die eigentlich gut behandelbar wäre. Das ist zb dieser Brustkrebspatientin passiert, deren Heilpraktiker ausgependelt hat, dass die Diagnose des Arztes falsch sein müsse und ihr zu Homöopathika statt Chemotherapie geraten hat.
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/07/21/heilpraktiker-steht-wegen-fahrlassiger-totung-vor-gericht
3) Patienten nehmen unwirksame Behandlungen gegen Bagatellerkrankungen in Anspruch. Das schadet ihnen nicht, verschwendet aber Kassenbeiträge, wenn es erstattet wird. Bestes Beispiel sind die allermeisten homöopathischen Behandlungen.
Diese drei Probleme haben unterschiedliche Dringlichkeit und verlangen unterschiedliche Lösungsansätze. Wir sollten immer klar machen, über welches wir gerade sprechen, sonst reden wir fast zwangsläufig aneinander vorbei.

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Sind wir doch ehrlich...

von Thorsten Dunckel am 09.09.2016 um 9:55 Uhr

... es geht wie immer um den "schnöden Mammon". Wenn diese Gestalten eine Möglichkeit sehen sich aus der Erstattung zu schleichen wird sie auch genutzt. Die tragischen Todesfälle hatten, wenn ich das richtig verstanden habe, nichts mit homöopathischen Mitteln zu tun.
Und der krampfhafte Versuch die Medizin in ein starres evidenzbasiertes Gerüst zu quetschen wird genauso scheitern, und wahrscheinlich noch viel mehr kosten, wie der der Homöopathie den Hahn abzudrehen. Die Wahrheit liegt, wie so oft, wahrscheinlich einmal wieder irgendwo in der Mitte.

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