Kommentar zur Kampfkandidatur 

Widerstand unterschätzt, Probleme kleingeredet

Berlin - 08.09.2016, 17:30 Uhr


Die Aussichten von Kai-Peter Siemsen, neuer ABDA-Präsident zu werden, stehen nicht schlecht. Dass es überhaupt zu einer Kampfkandidatur kommt, muss sich Amtsträger Friedemann Schmidt selbst ankreiden, meint DAZ.online-Redakteur Benjamin Rohrer. Denn bei den Apothekern grassiert seit Jahren eine Unzufriedenheit mit der ABDA-Spitze, die Schmidt nicht ernst genommen hat.

Mit viel Elan, Mut, Energie und bewundernswerten Zielen hatte Friedemann Schmidt 2012 die Nachfolge von Heinz-Günter Wolf angetreten. Er wollte den Berufsstand weiterentwickeln, die Apotheker weg vom Image des Schubladenziehers führen, hin zum kompetenten Gesundheitsdienstleister führen. Schmidt wollte den Beginn einer neuen Vergütungs-Ära einläuten und träumte gar von einer Gebührenordnung für Apotheker. Den Apothekern wollte er ein neues Selbstbewusstsein geben. Im Zusammenhang mit der Compliance-Diskussion bei der ABDA kündigte er außerdem an, die ABDA transparenter zu machen.

Als Präsident der ABDA muss sich Schmidt zum Ende seiner ersten Amtszeit die Frage gefallen lassen, was aus diesen Zielen geworden ist. Da wären zunächst die pharmazeutischen Dienstleistungen: Zwar haben Schmidt und sein Vize Matthias Arnold es erfolgreich geschafft, mit Einbindung der Apotheker ein neues Leitbild für den Berufsstand zu entwickeln. Aber der Titel „Apotheke 2030“ verrät schon, wann das Thema aktuell sein wird. Seit Jahren werden Apotheker in anderen europäischen Ländern in die Primärversorgung eingebunden, bieten Ernährungsberatungen an, impfen, messen Blutdruck und so weiter. Hierzulande plant die ABDA zur Sicherheit erst einmal ein neues Berufsbild – mit einer Vorausschau von 14 Jahren.

In der Zwischenzeit beschränken sich die Diskussionen zwischen ABDA und Politik auch weiterhin auf das Wesentliche: das Geld. Dementsprechend konnten auch in dieser Kategorie die größten Erfolge gefeiert werden: die Notdienstpauschale, eine (wahrscheinlich) neue Rezepturvergütung sowie eine (wahrscheinlich) höhere BtM-Abgabepauschale.

Das eigentliche „Baby“ des neuen ABDA-Präsidenten, die pharmazeutischen Dienstleistungen, sind als wahrnehmbares Thema in der Politik aber nicht wirklich angekommen. Ganz im Gegenteil: Es gibt in Deutschland sogar einige Aufsichtsbehörden, die der Ansicht sind, dass die Apotheker gar keine Medikationsberatungen oder Präventionsdienstleistungen anbieten dürfen. Die Politik will daran vorerst nichts ändern – auch weil dieser Wunsch bei der ABDA auf der Forderungsliste bestenfalls im Mittelfeld steht.

Schmidt: Start mit großen Visionen - und dann?

Nun hat Friedemann Schmidt diese Strategiefehler sicherlich nicht allein zu verantworten. Es wäre auch zu kurz gedacht, Schmidts Wiederwahl ausschließlich an den politischen Erfolgen der vergangenen vier Jahre festzumachen. Außerdem ist es grundsätzlich so, dass sich politische Unzufriedenheit immer zuerst an Personen festmacht. Läuft etwas schief, braucht der Mensch einen Sündenbock.

Viele Apotheker – übrigens auch an den Spitzen der Mitgliedsorganisationen – sind mit dem ABDA-Präsidenten aber unabhängig vom politisch Erreichten unzufrieden. Woran liegt das? In erster Linie daran, dass Schmidt eben mit einer großen Vision angetreten ist, von der sich bislang wenig erfüllt hat. Doch die Unruhe hat einen tieferen, emotionaleren Grund. Viele Apotheker in den Mitgliedsorganisationen bemängeln Schmidts Umgang mit Kritikern aus den eigenen Reihen. Proteste gegen die ABDA hat er zu oft nicht wirklich ernst genommen.

Das jüngste Beispiel war das Aufbegehren der Apothekerkammer Brandenburg, die der ABDA aufgrund ihrer Unzufriedenheit kurzerhand die Beiträge kürzte. Die Kammer um Präsident Jens Dobbert fühlte sich schlecht vertreten, nicht wirklich ernst genommen und vermisste die Erfolge der Lobby-Organisation ABDA. Schmidt versprach, sich selbst um die Sache zu kümmern und die Brandenburger besänftigen zu wollen. Bis heute ist unklar, was aus der Sache geworden ist. Wurde der Protest einfach totgeschwiegen?

Ein anderes Beispiel kommt aus der Kammer Nordrhein, die beim diesjährigen Apothekertag keine Anträge stellen will, weil sie nicht das Gefühlt hat, in der ABDA damit etwas bewirken zu können. Für Unruhe insbesondere bei den Apothekerkammern sorgte zuletzt auch ein Antrag des Geschäftsführenden Vorstandes der ABDA, der es den Kammern praktisch untersagen wollte, mit Krankenkassen zu verhandeln. All das sind Warnsignale. Warnsignale aus einer föderal aufgebauten Standesvertretung, in der die einzelnen Mitglieder nicht mehr an einem Strang ziehen.

Schmidt hat viele Zeichen nicht wahrgenommen

Der Präsident dieser Standesorganisation hätte solche Signale früher wahrnehmen und Versuche unternehmen müssen, aus Uneinigkeit wieder Einigkeit zu machen. Davon war aber nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Nach diesen ganzen Vorfällen gab Schmidt der Pharmazeutischen Zeitung ein Interview, über das bis heute Verwunderung in der Branche herrscht. Das Verhältnis zwischen ABDA und den Mitgliedsorganisationen habe sich „deutlich verbessert“, hieß es dort. Man habe insbesondere das Vertrauen der Kammern zurückgewinnen können. Siemsens Kandidatur ist nur ein Beleg dafür, dass diese Behauptung mehr als optimistisch ist. Hört man sich in den Kammern um, haben viele immer noch Bauchschmerzen mit dem Kurs der ABDA und ihrem Präsidenten.

Nicht selten geht es bei diesen Bauchschmerzen auch um Schmidts persönliche Führungsqualitäten. Ebenfalls in dem PZ-Interview erstaunte Schmidt beispielsweise mit der Aussage, dass das ABDA-Präsidentenamt durch ihn nicht mehr so „präsidial“ sei, wie es früher einmal war. Mal ganz davon abgesehen, dass sich Heinz-Günter Wolf in dieser Formulierung nicht unbedingt wiederfinden dürfte, widerspricht Schmidt seinen eigenen Aussagen. In einem Interview mit dem Branchendienst Apotheke Adhoc hatte er vor seinem Amtsantritt gesagt, er wolle zu einer „Identifikationsfigur“ möglichst vieler Kollegen werden. 

Schmidt, der immer wieder auch als Moderator im Fernsehen auftritt, sagte gegenüber Apotheke Adhoc, dass Inszenierung zum politischen Geschäft gehöre. Je besser man seinen Beruf verkörpere, desto besser werde man von der Politik und den Medien wahrgenommen. Und: „Sie können die großen Themen nicht angehen, wenn sie in den Niederungen des Alltags gefangen sind.“ Klingt so ein nicht-präsidialer Präsident?

Selbst wenn Schmidt die Wahl gewinnt, sollten er und die ABDA aus dieser Geschichte lernen. Als Präsident ist es nicht leicht, immer auf alle Wünsche der 34 Mitgliedsorganisationen gleichmäßig einzugehen. Trotzdem sollte Schmidt den Berliner Elfenbeinturm des Öfteren auch mal verlassen, um in die Tiefen der ABDA hinein zu hören, um Krisenherde möglichst früh zu erkennen und zu löschen.

Selbst wenn er aus politisch-strategischen Gründen nicht auf einzelne Forderungen eingehen will oder kann, sollte die ABDA-Spitze offener, transparenter und ehrlicher mit den Apothekern und ihren Mitgliedern kommunizieren. Denn Intransparenz führt zu Ausgrenzungsgefühlen, und Ausgrenzung führt zu Protestverhalten. Und genau aus diesem Grund wird es bei der diesjährigen ABDA-Wahl auch zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Kampfkandidatur um das Präsidentenamt geben.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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8 Kommentare

Nichterkennen

von Reinhard Rodiger am 08.09.2016 um 23:42 Uhr

Kompensatorischer Höhentrieb ersetzt eben keine valide Basis. Wer die Achtung für die heutige Alltagsleistung nicht vermitteln kann oder will, darf sich nicht wundern.
Da muss vom Kopf auf die Füsse gestellt werden. Da ist jetzt Hoffnung.

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Verblendung

von gabriela aures am 08.09.2016 um 20:26 Uhr

Ich würde nicht sagen "Widerstand unterschätzt" sondern vielmehr "vom eigenen Glanz verblendet".

Im Übrigen wurde das PP 2030 nach monatelangem Kreißen ja beim DAT 2014 verabschiedet - was das Podium zu Tränen gerührt hat.
Also satte SECHZEHN Jahre Vorlaufzeit, von denen 2 bereits ohne nennenswerte Ergebnisse verstrichen sind. Außer man wertet es als Erfolg, daß Medikationsanalyse und - management als kostenloses Angebot jetzt bereits im Berufsbild verkündet werden.

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Politik muss ihre Handlungsweisen erklären

von Andreas P. Schenkel am 08.09.2016 um 19:03 Uhr

Friedemann Schmidt und die ABDA haben ein sehr ähnliches Problem wie die Bundesregierung: Die Führungsspitze erklärt ihre Politik fast gar nicht. Und wenn etwas verlautbart wird, hinterlässt es im besten Fall noch ein Gefühl der Verwirrung im Sinne von "Was wollte man uns jetzt damit sagen?". Und manchmal schmeckt auch ein fahler Anschein der Enttäuschung durch nach so mancher uninspirierender Äußerung, bis hin zu entsetzem Erstaunen: Die einen sagen "Wir schaffen das", wider besseren Wissens, die anderen reden von "Buden" und "Larmoyanz" und bieten in ihrer Schlösschen-"Bude" ein Programm zwischen Komödie und Tragödie. Allerdings oft pantomimisch oder in der Art eines Stummfilms, leider ohne Klavierbegleitung. Führung geht anders!

In beiden Organisationen wurden Visionen angetäuscht und allsbald planmäßig in Bürokratie-Sprech erstickt, alles vertagt auf 2030. Wer in der Apothekerei Visionen hat, der soll nicht zum Arzt gehen, um sie zum Verschwinden zu bringen, aber der muss die Ärzteschaft in die visionären Betrachtungen einbeziehen, denn jene sind die Schlüsselfigur der medizinischen Versorgung im Gesundheitswesen.

Zumindest was die ABDA betrifft, ist es gut, dass eine Alternative heraufdämmert. Unruhige Zeiten, laute Stürme gar, benötigen Standfestigkeit und Beweglichkeit zugleich, Übersicht und eine laute Stimme, Fähigkeit zur Analyse der Situation und klare, deutliche Kommunikation. So bekommt ein Kapitän sein Schiff und die Mannschaft durch schwere See. Ahoi, Käpt'n Siemsen, ich hoffe, Sie werden bald unser neuer Admiral!

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Chapeau!

von Gunnar Müller, Detmold am 08.09.2016 um 18:39 Uhr

Allein die Kandidatur hat doch schon etwas Leben in die Sache gebracht......

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Die Hoffnung...

von Thorsten Dunckel am 08.09.2016 um 18:37 Uhr

... stirbt bekanntlich zuletzt!

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Frischer Wind?

von Ulrich Ströh am 08.09.2016 um 18:12 Uhr

Norddeutsche Gelassenheit mit entsprechender Staturstandfestigkeit sind sicherlich von Vorteil beim Kollegen Siemsen.
Damit kann er auch seine alte Idee der Nordkammer wieder beleben,also bundesweit 4 statt 17 Kammern.
Und er kann dafür sorgen,daß Apotheker politisch wahrnehmbarer werden.
Kommt jetzt frischer Wind auf?

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AW: Welcher Wind?

von Reinhard Rodiger am 08.09.2016 um 21:54 Uhr

Besteht die Chance, dass die richtigen Fragen gestellt werden?

AW: Es besteht....

von gabriela aures am 08.09.2016 um 22:25 Uhr

...zumindest die Chance, daß dieser unsagbare Kusch(el)kurs ein Ende hat. Sonnenkönig war gestern .

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