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Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche
Heilpraktiker sollten stärker in die Verantwortung genommen werden
Nach dem Tod dreier Krebspatienten eines Heilpraktikers begann eine heftige Debatte um die Gesetze für den Berufsstand. Gegenüber DAZ.online fordert Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche mehr Qualitätssicherung und Patientenschutz – und erwägt die Einführung von Heilpraktikerkammern und einer einheitlichen Ausbildung.
Wie weit dürfen die Kompetenzen von Heilpraktikern reichen, und bedarf der Berufsstand einer geregelten Ausbildung? In Folge des Todes dreier Krebspatienten kurz nach Behandlung durch einen Heilpraktiker in Brüggen-Bracht forderten Politiker aller Fraktionen im Bundestag Reformen und Verschärfungen der geltenden Rechtslage. Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, will zudem die Evidenz-Anforderungen für alternativmedizinische Therapien wie beispielsweise Homöopathie auf den allgemeinen Standard anheben. Gegenüber DAZ.online fordert nun die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche mehr Qualitätssicherung und Patientenschutz. Sie ist in ihrer Fraktion für den Bereich der Alternativmedizin sowie die Gesundheitswirtschaft zuständig.
DAZ.online: Welche Rolle hat die Alternativmedizin für
Sie, Frau Schulz-Asche?
Kordula Schulz-Asche: Ich bin der Auffassung, dass die Komplementärmedizin eine gute Ergänzung zur wissenschaftlich belegten Medizin ist. Viele Patienten setzen bereits auf eine Kombination aus Schul- und Komplementärmedizin. Es gibt sehr viele gute Heilpraktiker, die beispielsweise bestimmte Rückenleiden sehr gut behandeln können. Es gibt aber natürlich auch Scharlatane, und es ist nötig, die Verbraucher vor diesen zu schützen.
DAZ.online: Sie meinen den jüngsten Fall, bei dem mindestens drei Patienten eines Heilpraktikers aus Brüggen-Bracht kürzlich nach der Behandlung verstarben?
Schulz-Asche: In dem konkreten Fall müssen wir erstmal die Untersuchungsergebnisse abwarten – aber ich befürchte, dass es sich um Scharlatanerie gehandelt hat. Aus Verzweiflung greifen Krebspatienten zu solchen Angeboten und bezahlen freiwillig sehr viel Geld – insbesondere, wenn man als „austherapiert“ gilt. Gerade die Tumortherapie ist ein Bereich, wo wir genau hinschauen müssen.
DAZ.online: Sehen Sie gesetzlichen Handlungsbedarf? Es gibt ja immer wieder ähnliche Fälle.
Schulz-Asche: Bei
dem Heilpraktiker-Gesetz, welches noch aus dem Jahr 1939 stammt, müssen wir
genau hinschauen. Von der Logik des Gesetzes her ist es so, dass die
Komplementärtherapien nicht schaden dürfen. Wenn ein Heilpraktiker keine
vernünftige Diagnostik macht oder Therapien durchführt, die mehr schaden als
nützen, ist es vom Gesetz nicht gedeckt. Im Sinne des Patientenschutzes ist es
vernünftig, zu schauen, inwieweit das Heilpraktikergesetz reformiert werden
muss. Hierfür ist der Bund zuständig, daher haben wir eine Kleine Anfrage
gestellt. Wir glauben, dass mehr Transparenz im Sinne des
Verbraucherschutzes ist. Mit Schnellschüssen ist niemandem geholfen.
DAZ.online: Bisher gibt es fast keine Informationen über Heilpraktiker – schon auf Ihre Frage, wie viele es gibt, wird die Bundesregierung kaum antworten können.
Schulz-Asche: Das
vermuten wir auch – aber das ist ja ein Zeichen: Wo gibt es das denn, dass ein
– ich finde wichtiger – Beruf ohne Beleg und ohne gesellschaftliche Verankerung
existiert? Es gibt kaum einen anderen Berufszweig, der derart unreguliert ist
und bei dem so unbekannt ist, was dort passiert. Öffentlichkeit hat auch etwas
mit Transparenz zu tun.
DAZ.online: Welche rechtlichen Änderungen fordern Sie konkret?
Schulz-Asche: Die Diskussion um eine Reform des Berufsrechts der Heilpraktiker ist nicht neu. Eine ausführliche Dokumentation halte ich für einen ersten nötigen Schritt, um zu einer besseren Qualitätssicherung, aber auch zu mehr Patientensicherheit zu kommen. Das wird mit einer gewissen Bürokratie verbunden sein, aber es ist zu schaffen. Zudem liegen auch Vorschläge wie die Schaffung einer Heilpraktikerkammer oder eine einheitliche Heilpraktikerausbildung auf dem Tisch, die einer genaueren Prüfung bedürfen.
Für mich steht fest: Bestimmte Behandlungsformen wie chirurgische Eingriffe, die erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Patientinnen und Patienten haben können, müssen immer hohe Evidenz- und Qualitätsstandards erfüllen.
Fast niemand hat Interesse an Studien mit Naturheilmitteln
DAZ.online: Was halten Sie von der Forderung des GBA-Chefs Josef Hecken, dass es für die Alternativmedizin derselben Evidenzstandards bedarf wie für die sogenannte Schulmedizin?
Schulz-Asche: Für viele Naturheilmittel ist es sicher schwierig, klinische Studien vorzulegen. Das Klinikum Havelhöhe will in klinischen Studien zeigen, dass die Mistel eine Wirkung auf bestimmte Tumore hat – aber das ist sehr aufwendig. Es gibt ja viele Naturheilmittel, von denen wir alle wissen, dass sie helfen, wie Kamillentee oder Franzbranntwein. Aber Sie werden kein Unternehmen finden, das bereit ist, Studien mit großen Probandengruppen über Jahre zu machen. Bei Naturmitteln hat fast niemand Interesse an klinischen Studien. Das ist ein Grundproblem.
Daher ist für mich die erste Frage, ob die Therapien
schaden. Es gibt viele Menschen, die die Erfahrung gemacht haben, dass ihnen
Alternativmedizin und Heilpraktiker helfen. Meine Mutter hatte von ihrer Mutter
ganz viel Wissen, was ich leider nicht aufgeschrieben habe.
DAZ.online: Sie sprachen gerade Transparenz an – was stellen Sie sich hier genau vor?
Schulz-Asche: Wir
müssen wissen, wer ist wann womit behandelt worden. Für einen guten
Heilpraktiker ist es eine Selbstverständlichkeit, zu dokumentieren, was er
gemacht hat. Ich finde es auch selbstverständlich, dass ein Heilpraktiker
darauf hinweist, dass seine Behandlung Nebenwirkungen hat. Auch ein
Heilpraktiker muss natürlich seine Patienten darüber aufklären, welche Folgen
seine Behandlung hat. Ohne Verbraucherschutz wird dieser Beruf keine Zukunft
haben, weil Scharlatane den Ruf verderben.
DAZ.online: Kritisiert wurde auch, dass die Anforderungen für die Zulassung als Heilpraktiker sehr gering seien. Wie sehen Sie das?
Schulz-Asche: Grundsätzlich
sollten schon aus Gründen des Patientenschutzes dort, wo andere
Gesundheitsberufe ein gleiches Tätigkeitsspektrum haben, ähnliche
Qualifikationsanforderungen für Heilpraktiker gelten. Zu diskutieren ist eine
einheitliche Regelung zum Inhalt, der Struktur und Dauer der Ausbildung. Die
Zuständigkeit hierfür liegt beim Bund. Die Idee, einen Modellstudiengang für
Heilpraktiker zu schaffen, um den Beruf an wissenschaftliche Entwicklungen
anzudocken, könnte ebenfalls überprüft werden.
DAZ.online: Heilpraktiker sagen jedoch selbst, ihr Beruf sei nicht wissenschaftlich, und der Staat könne beispielsweise keine Standards vorgeben, wie eine Blutegel-Behandlung zu erfolgen habe. Wie soll das mit einer universitären Ausbildung vereinbar sein?
Schulz-Asche: Auch in der Komplementärmedizin ist es möglich, wissenschaftlich zu arbeiten. Ich habe mir kürzlich eine Blutegel-Farm angesehen, die sehr hohe Standards erfüllt. Es können Wirksamkeitsstudien mit Blutegeln durchgeführt werden, bei denen nur ein Teil der Patienten überhaupt damit behandelt wird – oder die Substanzen, die Blutegel abgeben, können chemisch analysiert werden. Wenn es nicht die Möglichkeit eines Patentschutzes gibt, gibt es aber keinen ökonomischen Anreiz für Forschung. Eine Möglichkeit ist es, dies mit öffentlichen Geldern nachzuholen. Meiner Meinung nach sollte im Vordergrund die Frage stehen, ob eine Therapie schadet; weniger, ob sie wirksam ist.
Qualitätssicherung und Dokumentation sind unbedingt nötig
DAZ.online: Was halten Sie von der Forderung des Patientenschützers Eugen Brysch, der sagte, dass Heilpraktiker – wie auch jede Pommesbude – regelmäßig kontrolliert werden sollten?
Schulz-Asche: Es muss tatsächlich sehr viel häufiger als bisher Qualitätskontrollen der lokalen Gesundheitsbehörden geben. Die Frage ist, wie wir diejenigen in den Griff kriegen, die verzweifelte und unsichere Patienten mit seltsamen Praktiken behandeln. Dazu gehört eine gute Aufklärung, beispielsweise eine Internetseite mit unabhängigen Informationen für Patienten, die zum Beispiel die Stiftung Patientenschutz oder ähnliche Organisationen aufsetzen könnten.
Ich glaube, dass es wichtig ist, Heilpraktiker nicht zu verteufeln – sondern zu schauen, wie man den Patientenschutz verbessern kann. Für die Patienten brauchen wir eine Möglichkeit, sich zu informieren, wenn sie die Empfehlung bekommen, sie sollten beispielsweise eine Chemotherapie absetzen.
DAZ.online: Ist es ihrer Meinung nach angemessen, dass Heilpraktiker Arzneimittel selber herstellen dürfen?
Schulz-Asche: Dann
sollte zumindest klar dokumentiert werden, welcher Patient was, warum, wann und
von wem bekommen hat. Wie sollen denn sonst die Schäden auf die Behandlung
zurückgeführt werden können, wenn wir nicht einmal wissen, was ein
Heilpraktiker gemacht hat? Eine vernünftige Dokumentation und
Qualitätssicherung sind deshalb unbedingt zu fordern. Wenn man es schafft, den
Beruf stärker in die Verantwortung zu nehmen und den Verbraucherschutz zu
stärken, hat man, glaube ich, viel erreicht.
DAZ.online: Wie ist es bei der Homöopathie, bei der Naturwissenschaftler keine spezifische Wirkung sehen?
Schulz-Asche: Ich
weiß auch nicht, wie die Homöopathie wirkt, bei mir wirkt sie auch nicht immer.
Bei bestimmten Erkrankungen hilft das Gespräch mit dem Therapeuten mehr als das
Medikament – vielleicht ist es bei der Homöopathie auch nur der Placebo-Effekt.
Ich kenne viele Leute, die gute Erfahrungen damit machen. Oft ist die Zuwendung
entscheidend, und dass man etwas tut.
DAZ.online: Gibt es aber nicht die Gefahr, dass Patienten, die an die Homöopathie oder andere alternativmedizinische Verfahren glauben, wirksame Therapien unterlassen?
Schulz-Asche: Ich
finde, dass es auch eine Aufgabe von Homöopathen ist, auf die Nebenwirkungen
ihrer Therapie hinzuweisen – und dass ihre Therapie nicht ausreichend ist. Es
gibt sicher leichte Erkrankungen, die mit Homöopathie aus Erfahrungswissen
behandelt werden können. Bei schwereren müssen die Patienten entsprechend
aufgeklärt werden.
DAZ.online: Oft ist die Alternativmedizin ja auch mit Impfskepsis verbunden.
Schulz-Asche: Das ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch eine gesellschaftliche Frage. Alle Impfungen, die in Deutschland empfohlen werden, sind auch notwendig, um die Ausbreitung von bestimmten Erkrankungen zu verhindern oder auch sie ganz auszurotten. Wenn Menschen der Meinung sind, dass sie andere Mittel haben oder dass Impfungen das Leben ihres Kindes beeinträchtigen, halte ich das für hochproblematisch. Es ist klar, dass zum Beispiel Masern zu erheblichen Nebenwirkungen führen können – das ist meiner Meinung nach ein Grund, warum eine hohe Durchimpfungsrate der Bevölkerung wichtig ist. Es gibt zwar immer Kinder, bei denen das nicht geht – aber gerade für die ist es wichtig, dass die Gesamtbevölkerung möglichst gut immunisiert ist. Wir haben es fast geschafft, Polio weltweit auszurotten – bis auf Gegenden, in denen ultrareligiöse Gruppen aktiv sind.
4 Kommentare
Richtigstellung
von Kathrin Hoffmann-Hunte am 23.09.2016 um 11:27 Uhr
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Wie bitte?
von Thomas Westerhoff am 22.09.2016 um 14:39 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Heilpraktiker
von Fetija Jasari am 23.09.2016 um 14:01 Uhr
Zumutung
von Dr. Hans-Werner Bertelsen am 22.09.2016 um 12:23 Uhr
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