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Hintergrund zum EuGH-Urteil
Schicksalstag für deutsche Apotheken
Apotheker in Deutschland, Versandapotheken im EU-Ausland, Politiker und Juristen blicken gespannt auf den 19. Oktober. Dann wird der Europäische Gerichtshof sein Urteil zur Rx-Preisbindung von EU-ausländischen Versandapotheken verkünden. Sollte er das deutsche Recht kippen, dürften DocMorris und andere Versender im EU-Ausland in die Boni-Offensive gehen. Die deutschen Apotheken könnten nur zuschauen – oder?
Die Rechtsfrage, die die erste Kammer des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu klären hat, hat eine lange Geschichte. Und diese schien im Jahre 2012 bereits abgeschlossen. Das stellte sich allerdings als Irrglaube heraus. Um die Bedeutung des 19. Oktober 2016 besser einordnen zu können, lohnt sich ein Rückblick.
Seit 2004 ist in Deutschland der Versandhandel mit Arzneimitteln erlaubt – sowohl für nicht-rezeptpflichtige als auch für verschreibungspflichtige Präparate. Der Gesetzgeber hatte sich entschieden, das zuvor bestehende Versandverbot im Zuge des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) aufzuheben. Ulla Schmidt (SPD) war damals Bundesgesundheitsministerin im rot-grünen Bundeskabinett. Die Apotheker haben im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mächtig gegen die Pläne mobil gemacht. Ihr Gegenspieler hieß schon damals DocMorris. Die niederländische Versandapotheke verschickte bereits vor 2004 Arzneimittel-Päckchen an Patienten in Deutschland und ließ sich selbstbewusst auf einen Rechtsstreit mit dem Deutschen Apothekerverband ein – bis vor den EuGH. In der Politik verhallten die Warnungen der deutschen Apotheker jedoch. Immer wieder hieß es: Der EuGH werde das Versandverbot ohnehin kippen. Also könne der Gesetzgeber auch jetzt schon tätig werden. Es kam damals anders. Kurz vor Inkrafttreten des GMG, im November 2003, entschied Luxemburg: Ein Verbot des OTC-Versandhandels sei europarechtswidrig, den Versand mit Rx könnten die Mitgliedstaaten aber durchaus verbieten, wenn sie so die Gesundheit ihrer Bevölkerung schützen wollen.
DocMorris‘ Kampf gegen das deutsche Apothekenrecht
Trotz dieses Urteils konnte DocMorris nach Inkrafttreten des GMG seine deutschen Kunden legal weiter mit Arzneimitteln versorgen. Nur am Rande: Etwas später war DocMorris auch am Fremdbesitz-Verfahren vor dem EuGH beteiligt. Hier erging das Urteil klar gegen die holländische Kapitalgesellschaft: Die Luxemburger Richter hatten keine Probleme mit dem deutschen Fremd- und Mehrbesitzverbot. Es stehe mit der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit in Einklang.
Da die Vor-Ort-Apotheken in Deutschland gut etabliert und von den Menschen geschätzt sind, musste sich DocMorris etwas ausdenken, um weitere Kunden zu gewinnen. Und zwar am liebsten solche, die regelmäßig ärztliche Verordnungen einreichen. Das Problem für die Niederländer: Rx-Präparate haben fixe Preise. DocMorris versuchte es daraufhin mit Boni bei der Rezepteinlösung, die letztlich die Zuzahlung für den Patienten reduzierten. Dieses Geschäftsmodell führte dazu, dass die Versandapotheke nun ein drittes Mal vor dem EuGH steht, um am deutschen Apothekenrecht zu kratzen. Zwar ist sie nicht Partei – das ist die Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV). Aber es geht um DocMorris-Rabatte, die diese Selbsthilfeorganisation ihren Mitgliedern angedeihen lassen wollte. Sind diese unzulässig, muss sich die DPV die Werbung hierfür zurechnen lassen.
DocMorris-Bonus-Modell? Ein langer und steiniger Rechtsweg
Das DocMorris-Bonus-Modell fand auch seine Nachahmer in Apotheken hierzulande. Es folgten zahlreiche Gerichtsverfahren zur Frage, ob eine Apotheke auf verschreibungspflichtige Arzneimittel Rabatte in Form von Boni bei der Rezepteinlösung gewähren darf. Über Jahre beschäftigten sich mit ihr Zivilgerichte ebenso wie Verwaltungs-, Berufs- und Sozialgerichte. Recht schnell war klar: Zumindest deutsche Apotheken müssen die durch die Arzneimittelpreisverordnung vorgegebenen Fixpreise für Rx-Arzneien einhalten. Wer weniger Zuzahlung verlangt, also einen Bonus bei Rezeptlösung gibt, verstößt gegen das Arzneimittelpreisrecht. Das ist wettbewerbswidrig, verstößt gegen das Berufsrecht und kann auch aufsichtsrechtlich geahndet werden. Aber was war mit den ausländischen Versandapotheken? Urteile hierzu fielen unterschiedlich aus. Als dann der Bundesgerichtshof von der Rechtsprechung eines anderen obersten Gerichts – nämlich einem Urteil des Bundessozialgerichts – abweichen wollte, musste der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes angerufen werden.
Die Entscheidung des Gemeinsamen Senats
Im August 2012 traf der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes seine Entscheidung: Für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die Versandapotheken mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat an Endverbraucher in Deutschland abgeben, gelten die fixen deutschen Apothekenabgabepreise. Die höchsten deutschen Richter hatten sich für ihren Beschluss auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob dies mit Europarecht vereinbar sei – und sie kamen zu dem Ergebnis, dass dies der Fall sei. Eine Vorlage an den EuGH hielten sie daher nicht für nötig.
Später zog auch noch der Gesetzgeber mit einer Klarstellung im Arzneimittelgesetz nach: Dort steht nun in § 78 Absatz 1 ausdrücklich, dass auch ausländische Versender, die festen Rx-Preise einhalten müssen.
Das Vorlageverfahren aus Düsseldorf
Damit schien die Sache klar. Trotzdem entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf im März 2015, die Frage dem EuGH vorzulegen. Es will im Verfahren der Wettbewerbszentrale gegen die Deutsche Parkinson Vereinigung nicht entscheiden, ehe ihm der EuGH beantwortet hat, ob die deutsche Regelung die Warenverkehrsfreiheit beschränkt – und falls ja, ob die Maßnahme aus Gründen des Gesundheitsschutzes dennoch gerechtfertigt ist.
Am 17. März 2016 fand die mündliche Verhandlung in Luxemburg statt – beide Seiten konnten ihre Argumente nochmals auffahren. Die Bundesrepublik Deutschland stellte sich klar hinter die Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats und die von ihr geschaffene Rechtslage. Am 2. Juni legte der Generalanwalt dann seine Schlussanträge vor – also seine Empfehlung, wie das Gericht entscheiden sollte. Diese sorgt seither für große Unruhe unter den Apothekern. Denn Generalanwalt Maciej Szpunar meint, der freie Warenverkehr stehe dem § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG entgegen. Es sei also europarechtswidrig, dass DocMorris und anderen EU-ausländischen Versandapotheken vorgeschrieben werde, sich beim Arzneimittelversand nach Deutschland an die hiesigen Preisvorschriften zu halten.
Die möglichen Folgen der EuGH-Entscheidung für die deutsche Apotheke
Seitdem sind über vier Monate vergangen – Zeit genug für die Luxemburger Richter, sich Gedanken zu machen, ob sie Szpunar folgen wollen oder nicht. Wenn sie es nicht tun, dürften die Apotheker in Deutschland aufatmen. Es bliebe dabei, dass ein Preiswettbewerb auf Rx-Ebene ausgeschlossen ist. Die ABDA, die sich in den vergangenen Monaten zurückgehalten hat, einen Plan B öffentich zu kommunizieren, wird sich bestätigt fühlen.
Entscheidet die Erste Kammer hingegen zugunsten der DPV und damit von DocMorris, müssen sich die Apotheken hierzulande darauf einstellen, dass DocMorris seine Boni reaktiviert und verschärft um Rezepte, vor allem von Chronikern, werben wird. Und vermutlich wird DocMorris nicht die einzige Versandapotheke sein, die mit geldwerten Vorteilen bei der Rezepteinreichung wirbt. Zugleich ändert sich für die deutschen Apotheker nichts am geltenden Recht. Das ist zwar „Inländerdiskriminierung“ – aber gegen die lässt sich so schnell nichts machen. Wer dennoch Boni gewährt, muss mit Abmahnungen rechnen. Um etwas zu ändern, müsste der Gesetzgeber aktiv werden. Eine immer wieder ins Gespräch gebrachte Möglichkeit ist, den Rx-Versandhandel wieder zu verbieten. Das hatte der EuGH immerhin 2003 für zulässig erachtet. Ob er heute nochmals so entscheiden würde, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Nun kann man der Auffassung sein, dass die Apotheker in Deutschland sich nicht auf Streitereien mit ihrer Landesapothekerkammer oder Mitbewerbern einlassen wollen. Der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas
glaubt jedoch nicht, dass sie stillhalten werden. Selbst wenn
sich an ihrer Rechtslage nichts ändert, würden zahlreiche deutsche Apotheken binnen kürzester Zeit Boni anbieten. Wenn dann die
Kammern gegen sie vorgehen, erwartet Douglas ein Wiederaufleben des
Vorteil24-Modells, nur auf sichereren rechtlichen Füßen. Zur Erinnerung: In
diesem Modell boten deutsche Vor-Ort-Apotheken ihren Kunden an, Arzneimittel
mit Preisvorteil bei einer kooperierenden EU-ausländischen Versandapotheke zu
bestellen, die dann in der deutschen Apotheke abgegeben werden – samt Beratung
an Ort und Stelle. Douglas ist überzeugt: Entscheidet der EuGH im Sinne des Generalanwalts, steht das gesamte
Arzneimittelpreisgefüge auf dem Spiel.
Für die meisten deutschen Apotheken dürfte es jetzt heißen: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
5 Kommentare
Benachteiligung auch deutscher Internetapotheken
von Edmund Roßmann am 08.03.2017 um 16:26 Uhr
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Zusammenhang EUGH Urteil und Mehrwersteuer
von Dr.Keckeisen am 20.10.2016 um 18:37 Uhr
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Felix Maertin
von Frank Ebert am 19.10.2016 um 14:42 Uhr
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Urteil
von Frank ebert am 18.10.2016 um 15:04 Uhr
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AW: Urteil
von Felix Maertin am 19.10.2016 um 7:35 Uhr
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