Gefahr der Überdosierung

Colchizin-Abgabemenge beschränken

Stuttgart - 23.01.2017, 16:45 Uhr

Das Herbstzeitlosen-Alkaloid Colchizin wird nach wie vor beim akuten Gichtanfall gegeben. In der Apotheke besteht bei der Abgabe hoher Beratungsbedarf (Foto: emer / Fotolia). 

Das Herbstzeitlosen-Alkaloid Colchizin wird nach wie vor beim akuten Gichtanfall gegeben. In der Apotheke besteht bei der Abgabe hoher Beratungsbedarf (Foto: emer / Fotolia). 


Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hält es für sinnvoll, die Abgabemenge von Colchizin auf die zur Behandlung eines akuten Gichtanfalls benötigte Menge zu begrenzen. So sollen versehentliche Überdosierungen vermieden werden. Aktueller Anlass für diesen Vorschlag ist der Fall eines 73-Jährigen, der nach einer Überdosierung verstarb.

25 Milligramm Colchizin in Tropfenform hatte ein 73-jähriger Patient wegen eines akuten Gichtanfalls eingenommen – 50 Milliliter und somit die Hälfte der Flasche, die er für den Notfall zu Hause hatte. Zwölf Stunden später wurde er wegen Colchicin-Intoxikation auf der Intensivstation aufgenommen. Er verstarb circa 50 Stunden nach der Einnahme des Gichtmittels an Multiorganversagen. Laut Fallbericht, den die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft veröffentlicht hat, ist völlig unklar, warum der eigentlich gut aufgeklärte Patient eine so hohe Dosis eingenommen hat. Der multimorbide Mann bekam eine Reihe anderer Arzneimittel. Es könnte zu komplexen Wechselwirkungen gekommen sein, schreibt die AKdÄ in ihrem Bericht. 

Da absichtliche oder unabsichtliche Colchizin-Überdosierungen immer wieder vorkommen – auch mit Todesfolge –, erachtet die AKdÄ es für sinnvoll, die Abgabemenge zu begrenzen. So enthalte zum Beispiel die 100-Milliliter-Flasche genügend Colchicin für mehrere letale Intoxikationen, wird dieser Vorschlag unter anderem begründet.

Colchizin

Das Alkaloid der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) gilt laut Leitlinie bei der Behandlung akuter Gichtanfälle als Mittel der zweiten Wahl – wenn Corticosteroide und NSAR nicht eingesetzt werden können. Colchizin ist ein Mitose-Hemmstoff. Es blockiert die Ausbildung der Spindelfasern, indem es an Tubulin, den  Hauptbestandteil der Mikrotubuli des Cytoskeletts, bindet. Dadurch wird die Zellteilung blockiert, außerdem hat Colchizin Einfluss auf die Migration von Leukozyten. Beim akuten Gichtanfall lindert es die Beschwerden. Man geht davon aus, dass die Hemmung der Invasion von Leukozyten in den Gichtherd für diese Wirkung verantwortlich ist.

Das unter dem Handelsnamen Colchysat vertriebene Arzneimittel hat eine Konzentration von 0,5 Milligramm pro Milliliter, also 50 Milligramm pro Flasche. Die Höchstdosis laut Packungsbeilage beträgt 8 Milligramm innerhalb von 24 Stunden. Eine Gesamtdosis pro Gichtanfall darf 12 Milligramm Colchizin nicht überschreiten. In anderen Ländern liegen die Empfehlungen für die maximale Tagesdosis sogar niedriger, in Frankreich beträgt sie zum Beispiel am ersten Tag 3 Milligramm und wird an den folgenden Tagen reduziert. Das Dosierschema wurde erst vor Kurzem geändert, weil  bereits bei Dosierungen von 6 bis 7 Milligramm tödliche Intoxikationen auftraten. In der Schweiz ist gar kein Colchizin-Präparat verfügbar. 

Colchizin-Tropfen sind laut AkdÄ entbehrlich

Darüber hinaus sind nach Ansicht der AKdÄ die Tropfen ohnehin generell entbehrlich. Bei Einnahme einer Flüssigkeit käme es leichter aus Versehen zu einer Überdosierung. So habe der Patient im beschriebenen Fall 50 Milliliter der Lösung zu sich genommen, was etwa einem großen Schluck entspricht. Dieselbe Dosis ist in 50 Tabletten enthalten – eine Menge, die versehentlich wohl selten eingenommen werde, mutmaßt die AkDÄ. Das Gremium ist daher der Meinung, Deutschland solle dem Beispiel anderer Länder folgen und die Menge, die auf einmal verschrieben und ausgegeben werden kann, begrenzen. Derzeit sind zwei Colchicin-Präparate auf dem deutschen Markt: einmal die bereits erwähnten Colchysat-Tropfen in Packungsgrößen à 30 und 100 Milliliter, sowie Colchicum-Dispert-Tabletten. Sie enthalten jeweils 0,5 Milligramm Colchicin. Sie werden in 20er- und 50er-Packungen vertrieben.  

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Bei der Abgabe in der Apotheke informieren

Defizite gibt es aber offensichtlich auch bei der Aufklärung. So zitiert die AKdÄ in ihrem Bericht eine Befragung von Gicht-Patienten, die mit Colchicin behandelt worden waren. Demnach wussten einige nicht ausreichend über Dosierung und Nebenwirkungen Bescheid. Vor allem die maximale Tagesdosis hätten viele nicht gekannt, heißt es. Bei der Abgabe in der Apotheke sollte unbedingt auf die richtige Dosierung hingewiesen werden. Am besten vermerkt man das Dosierschema auf der Packung, so dass es auch im Akutfall parat ist. Zudem sollten Patienten über Symptome einer Intoxikation informiert werden.

In diesem Zusammenhang weist die AKdÄ auch noch einmal darauf hin, dass bestehende Kontraindikationen, wie eingeschränkte Nierenfunktion, Lebererkrankungen und mögliche Interaktionen – insbesondere mit Inhibitoren von P-Glycoprotein oder CYP3A4 – unbedingt zu beachten sind. Auch bei den dokumentierten Vergiftungsfällen erhielten Patienten zum Teil interagierende Arzneimittel oder eine für die individuelle Nierenfunktion zu hohe Dosis. Die Frage nach anderen eingenommenen Arzneimitteln sollte bei der Abgabe in der Apotheke ohnehin nie fehlen. Colchizin ist einer der Wirkstoffe, wo sie sogar lebensrettend sein kann. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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