Umfrage und Rechtsgutachten

Wie Versender Abgeordnete überzeugen wollen

Stuttgart - 07.02.2017, 17:20 Uhr

ABDA und Versandapotheker versuchen derzeit, Politiker mit Argumenten wie auch Kampagnen von ihren jeweiligen Zielen zu überzeugen. (Foto: BVDVA)

ABDA und Versandapotheker versuchen derzeit, Politiker mit Argumenten wie auch Kampagnen von ihren jeweiligen Zielen zu überzeugen. (Foto: BVDVA)


Deutschland drohe durch ein Rx-Versandverbot die „Staatshaftung“, mehr als jeder zweite Deutsche auf dem Land bestelle Arzneimittel im Versand und drei von vier Bürgern fänden den Versandhandel wichtig: Mit einem Rechtsgutachten und einer Umfrage setzt sich der Bundesverband Deutscher Versandapotheker bei Abgeordneten für den Rx-Versand ein.

Exakt drei Viertel der Deutschen will die Möglichkeit haben, Arzneimittel zu bestellen, erklärt der Bundesverband der Versandapotheken (BVDVA) in einer Pressemitteilung vom heutigen Dienstag. In einer Serie von Pressemitteilungen betont der Verband seit mehreren Wochen die Vorteile des Versandhandels – und erklärt mit einem Rechtsgutachten, dass sich die Bundesregierung durch das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe geplante Rx-Versandverbot der Gefahr der „Staatshaftung“ aussetzt.

So wie die ABDA nach dem EuGH-Urteil zu dramatischen Worten greift und von „gefährlichen Einflüssen“ schreibt, kämpfen auch die Versandapotheken mit harten Bandagen. „Leider arbeiten Kampagnen gegen den Arzneiversand hauptsächlich mit Emotionen und schüren die Angst vor dem scheinbar Unbekannten“, erklärt Heinrich Meyer, Leitender Apotheker der Versandapotheke Sanicare und Vorstand des BVDVA. „Dabei wäre eine faktenbasierte Aufklärung wichtig“, betont er in einer Presseerklärung. Doch inwiefern wird sein Verband dem eigenen Anspruch gerecht?

Wie kommen die Umfragen zustande?

Nach Recherchen von DAZ.online sind Umfrageergebnisse des Branchenverbands Bitkom, auf die sich der BVDVA bezieht, nicht wirklich repräsentativ – auch DocMorris verwendet sie in seiner Kampagne. Bitkom errechnet aufgrund seiner online durchgeführten Erhebung, dass bislang 31 Millionen Deutsche im Internet Arzneimittel gekauft haben. Befragt wurden jedoch nur Menschen, die ohnehin online shoppen – und bereit sind, gegen Geld an der Erhebung teilzunehmen.

Doch aus derartigen Umfragen, die „fast nie repräsentativ seien“, abzuleiten, wie viele Millionen in welcher Altersgruppe online Medikamente einkaufen, sei „alles andere als sinnvoll“, betont der auf Methoden der empirischen Sozialforschung spezialisierte Soziologe Jörg Blasius von der Uni Bonn

Rechtsgutachten mit fragwürdigen Angaben

Dennoch fanden die Zahlen auch Eingang in das DAZ.online vorliegende Rechtsgutachten des Bonner Juristen Christian Koenig, das der BVDVA bei dem früheren DocMorris-Aufsichtsrat in Auftrag gab. „Zuverlässige wissenschaftliche Daten“ seien wichtig, schreibt er in dem Anfang Januar erstellten Gutachten – und erklärt mit Bezug auf die Bitkom-Umfrage, dass mittlerweile 62 Prozent der über 65-jährigen Medikamente online beziehen. Doch diese Zahl bezieht sich nur auf die gut 40 Prozent aller Senioren, die online sind – so dass laut der Bitkom-Umfrage statt der angegebenen 62 Prozent nur gut 26 Prozent aller über 65-Jährigen bislang zum Arzneimittelversandhandel gegriffen hätten. Gleichzeitig bleibt unklar, wie es im Rx-Bereich aussieht: Aufgrund der Notwendigkeit, ein Rezept einzuschicken, können rezeptpflichtige Arzneimittel ja eigentlich nicht online bezogen werden.

Basierend auf seiner gleichfalls online durchgeführten Umfrage meldete der BVDVA vor einer Woche, 52 Prozent der Landbevölkerung bestelle Arzneimittel online. Nähere Fragen hierzu will der Verband derzeit nicht beantworten, da die Ergebnisse erst Bundestagsabgeordneten zur Verfügung gestellt werden sollten – und schickt nur wenige Hintergrundinformationen, wie dass die Studie anhand einer Stichprobe von 1000 Umfrageteilnehmern erfolgte und „bevölkerungsrepräsentativ“ nach Alter, Geschlecht und Region sei. Schulbildung, Internetnutzung und andere Einflussfaktoren wurden offenbar nicht berücksichtigt.

Weitere Ergebnisse der Umfrage widersprechen einer persönlich durchgeführten Umfrage des Instituts Allensbach. Denn laut BVDVA-Erherbung würden 71 Prozent der Befragten das „von Gesundheitsminister Gröhe geplante Versandverbot“ als „nicht zeitgemäß“ ablehnen – auch auf Nachfrage bleibt unklar, ob hier tatsächlich nach einem allgemeinen Versandverbot gefragt wurde oder ob sich die Frage nur auf ein Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel bezog. Doch laut Allensbach sprachen sich 51 Prozent aller Befragte für das Verbot des Rx-Versandhandels aus, nur jeder Dritte dagegen. 

BVDVA-Zahlen nur gut halb so hoch wie bei Allensbach

Wie kommt es, dass laut der BVDVA-Erhebung der Anteil der Befürworter mit 28 Prozent nur gut halb so hoch ist wie bei Allensbach? „Das ist eine gute Frage“, sagt Meyer auf Nachfrage – und betont, dass die genaue Methodik und Fragestellung einen Unterschied machen könnte. Dass tatsächlich jeder zweite auf dem Land lebende Deutsche bereits Arzneimittel online kauft, hält er für „absolut realistisch“ – der Versandhandel sei weit verbreitet.

Laut der BVDVA-Umfrage bestellen rund 44 Prozent aller Stadtbewohner Arzneimittel bei Versandapotheken. „In der Stadt erlebt man durchaus ja auch eine höhere Aktivität der Kollegen, denen sich die Kollegen im ländlichen Raum nicht so aussetzen müssen“, erklärt Meyer gegenüber DAZ.online den Unterschied – „weil die Konkurrenz nicht so hoch ist“.

Veranstaltung für Bundestagsabgeordnete

Am kommenden Montag will sein Verband Einblick in Details der Erhebung gewähren: In der „Parlamentarischen Gesellschaft“ gegenüber dem Reichstag in Berlin lädt der BVDVA Politiker ein, um das Rechtsgutachten und die Umfrage vorzustellen. Pressevertreter sind jedoch nicht eingeladen. Stattdessen will der BVDVA seine Umfrage sowie auch das Rechtsgutachten im Nachhinein veröffentlichen, sodass dann auch die genauen Fragestellungen bekannt sein werden.

Dem Ökonom Fred Roeder wurde die Erhebung bereits zur Verfügung gestellt: Er schrieb auf dem Nachrichtenportal „Huffington Post“ hierzu einen Artikel mit der Überschrift „Der ländliche Raum profitiert besonders vom Versandhandel“. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Wenig Ahnung, davon aber viel ... ergibt Kopfschmerzen ohne ...

von Christian Timme am 08.02.2017 um 11:57 Uhr

Ich hätte bei der Auswahl des Instituts mehr darauf geachtet, wer hier wen zum "Blöden" macht. Schön das es noch "Professionelle" wie z.B. aus Allensbach gibt. Die gewünschte Digitalisierung, Algorithmen außer Rand & Band, ohne TÜV natürlich, wird uns den Rest geben. Optimierte und "bessere" Möglichkeiten der "Digitalisierung" werden in Zukunft noch zu Ergebnissen führen, die wir gar nicht mehr bemerken werden. Aus Dichtern & Denkern wird dumm & dämlich. Wir schaffen das, uns ab. Wie das geht: Wenn ein Chefapotheker von dem großen "Unbekanntem" redet , das er nie studiert hat aber in Zukunft noch kennenlernen wird ohne es zu wissen. Das ist wie beim Wein, wenn Jahrgang und Herkunft keine Rolle mehr spielen dann halt nur noch Cuvée.

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Versandhandel

von Dr. Gert Schorn am 08.02.2017 um 10:28 Uhr

Wenn der Bürger gerne die Zusendung von Arzneimitteln hat, was man evtl. alten Bürgern, gehbehinderten Kunden oder durch Arbeit zeitlich überlastete jüngeren Bürgern nachempfinden kann, warum bieten die Apotheken vor Ort für Ihre Kunden nicht diese Möglichkeit über Internet ihrer Apotheke an? M.E. sollten alle Apotheken eine eigene Website und auch den Versandhandel anbieten und so den großen Versandapotheken das Wasser abgraben. Hatte vor vielen Jahren dies bereits der damaligen ABDA vorgeschlagen, sowie auch den Apothekern mit Grundinformationen zur Gestaltung von Internet-Auftritten behilflich zu sein und auch auf diesem Wege dem Kunden die Bestellung über Internet zu ermöglichen und dann die Arzneimittel zuzusenden oder sonstig zuzustellen. Aber...nichts geschah bisher in dieser Sache. In die Zukunft und auf die Zielgruppen muss man schauen!!!!

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Alles Bluff, es gibt DocMo überhaupt nicht.

von Christian Timme am 07.02.2017 um 20:15 Uhr

Wie DocMo uns digital beglücken .... 40% der Deutschen haben schon online Arzneimittel bestellt. Also fast jeder zweite Deutsche. Kann so nicht stimmen, weder ich noch meine Frau haben jemals Arzneimittel Online bestellt, also sind wir schon mal bei 80% oder liegt hier bei 40% der Nichtbesteller schon Demenz an?. Wenn das chronisch ist müssen wir auch noch diese 25% (20. Mio.) abziehen, denn wer sich nicht erinnert, hat's in der Regel auch nicht getan. Nach meiner Rechnung gibt es DocMorris überhaupt nicht..

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"Gutachten"

von Bernd Küsgens am 07.02.2017 um 19:18 Uhr

So ist es nun ´mal in Deutschland, wer am besten lügt, erhält die meisten Überschriften. Wo sind die Journalisten, die noch eine Aussagen recherchieren? Auch nicht in der FAZ!!!

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Überzeugung

von Frank ebert am 07.02.2017 um 18:46 Uhr

Warum so umständlich, sollen doch einfach bei Spargelfahrten und Zuwendungen bleiben

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