Reform der Heil- und Hilfsmittelverorgung

Mehr Qualität, weniger Aufzahlung

Berlin - 16.02.2017, 14:15 Uhr

Patienten sollen künftig von Aufzahlungen bei Inkontinenzprodukten verschont bleiben – und trotzdem Qualität erhalten. Die Apotheker wünschen ihnen, dass das klappt. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)

Patienten sollen künftig von Aufzahlungen bei Inkontinenzprodukten verschont bleiben – und trotzdem Qualität erhalten. Die Apotheker wünschen ihnen, dass das klappt. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)


Nicht nur der Preis soll künftig entscheidend sein, wenn es um Hilfsmittel-Ausschreibungen der Krankenkassen geht. Auch Qualitätskriterien sollen zählen. Unter anderem dafür soll das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung sorgen, das der Bundestag am heutigen Donnerstag beschlossen hat.

Der Deutsche Bundestag hat am 16. Februar das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung  (HHVG) in 2./3. Lesung beraten. Nun muss es nun noch den Bundesrat passieren, dessen Zustimmung jedoch nicht nötig ist. Die neuen Regelungen sollen ganz überwiegend im März 2017 in Kraft treten.

Nicht zuletzt der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann (CDU), hatte auf die Reform im Hilfsmittelbereich gedrängt. Er war in den vergangenen Jahren immer wieder mit Patientenbeschwerden konfrontiert. Insbesondere die mangelhafte Qualität von Inkontinenzhilfen wurde immer wieder beklagt. Nun zeigt sich Laumann zufrieden. Mit dem neuen Gesetz werde dafür gesorgt, „dass bei Hilfsmittelausschreibungen der Krankenkassen künftig nicht mehr vorrangig der Preis, sondern vor allem Qualitätskriterien eine zentrale Rolle spielen müssen“.

GKV-Spitzenverband muss Hilfsmittelverzeichnis aktualisieren

Außerdem werde dem Geschäftsmodell ungerechtfertigter Aufzahlungen ein Riegel vorgeschoben, erklärte Laumann. Versicherte sollen demnächst immer zwischen verschiedenen aufzahlungsfreien Hilfsmitteln wählen können – und diese müssen dem aktuellen Stand der Medizin entsprechen. Denn der GKV-Spitzenverband wird verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2018 das Hilfsmittelverzeichnis grundlegend zu aktualisieren. Zudem muss er eine Verfahrensordnung beschließen, mit der die Aktualität des Verzeichnisses auch künftig gewährleistet wird. Der GKV-Spitzenverband wird überdies verpflichtet jährlich einen nach Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses differenzierten Bericht über die Entwicklung der Mehrkostenvereinbarungen zu veröffentlichen. Nicht zuletzt wird klargestellt, dass für Hilfsmittel mit hohem individuellem Anpassungsbedarf keine Ausschreibungen vorgenommen werden.

Zudem müssen Leistungserbringer Versicherte künftig beraten, welche Hilfsmittel und zusätzlichen Leistungen innerhalb des Sachleistungssystems für sie geeignet sind und somit von den Krankenkassen als Regelleistung bezahlt werden.

Neue Akkreditierungsstelle fürs Präqualifizierungsverfahren

Auch das Präqualifizierungsverfahren, in dem Apotheken, Sanitätshäuser, orthopädietechnische Betriebe und andere Anbieter von Hilfsmitteln ihre grundsätzliche Eignung für Vertragsabschlüsse mit den Krankenkassen nachweisen müssen, soll weiterentwickelt werden. Die Begutachtung, Akkreditierung und Überwachung der derzeit bundesweit rund 30 Präqualifizierungsstellen wird künftig durch die Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS) erfolgen. Die ABDA hatte im Stellungnahmeverfahren von einer Änderung des Präqualifizierungsverfahrens abgeraten, da hierdurch ein funktionierendes System in Gefahr gebracht werde.

Vorkehrungen gegen Diagnose-Schummelei

Das Gesetz regelt überdies vieles mehr. Grundsätzlich soll die Versorgung mit Prothesen, Rollstühlen, Hörgeräte und anderen Hilfsmitteln verbessert werden. Und: die Bedeutung der Heilmittelerbringer soll besser gewürdigt werden. So gibt es etwa bessere Löhne für Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen.

Eine weitere Neuerung: Die  Ausnahmeregelung für einen Leistungsanspruch auf Brillengläser wird erweitert. Bislang werden die Kosten für Brillengläser nur für Kinder und Jugendliche übernommen – und ausnahmsweise für Menschen mit sehr extremer Sehschwäche. Künftig erhalten auch die Versicherten, die wegen einer Kurz- oder Weitsichtigkeit Gläser mit einer Brechkraft von mindestens 6 Dioptrien oder wegen einer Hornhautverkrümmung von mindestens 4 Dioptrien benötigen, einen Anspruch auf Kostenübernahme in Höhe des vom GKV-Spitzenverband festgelegten Festbetrags bzw. des von ihrer Krankenkasse vereinbarten Vertragspreises.

Kurz vor seiner Verabschiedung ergänzte die Große Koalition das Gesetz zudem um eine Regelung zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) der Krankenkassen. Es wird gesetzlich klargestellt, dass sich Krankenkassen oder Ärzte über eine unzulässige Beeinflussung von Diagnosen keine finanziellen Vorteile verschaffen dürfen. Anlass hierfür gaben bekannt gewordene Strategien der Krankenkassen, über bestimmte Diagnosen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen. 

DAV-Chef sieht Licht und Schatten

„Die Apotheker begrüßen es, wenn die Krankenkassen nicht nur den Preis, sondern auch die Qualität bei ihren Ausschreibungen für Hilfsmittel berücksichtigen müssen", kommentierte Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) das neue Gesetz. Allerdings: „Inwieweit die Versicherten dadurch bessere Produkte ohne Aufzahlungen erhalten werden, müssen wir sehen. Wir werden das in der Praxis eng begleiten und gegebenenfalls weitere Vorschläge machen”. Auch bei den Verbandmitteln sei es gut für die Patienten, dass bewährte Produkte zur Wundbehandlung weiterhin von den Krankenkassen bezahlt werden, um Risiken von Komplikationen und Krankenhausaufenthalten zu minimieren. 

Becker beklagt jedoch, dass die Bürokratie in der Hilfsmittelversorgung leider weiter zunehme. Mit der Überwachung der Präqualifizierungsstellen werde nicht nur ein funktionierendes Verfahren unnötig in Gefahr gebracht. Die neue Dokumentationspflicht bei der Beratung bringe zudem „nur Mehraufwand, aber keinen Zusatznutzen."

Mehr zum Heil- und Hilfsmittelgesetz finden Sie auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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