Modifiziertes Fentanyl

Schmerzmittel ohne Nebenwirkung – Analgesie ohne Grenzen?

Berlin / Stuttgart - 10.03.2017, 10:35 Uhr

Die Formel für ein Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen: Die Berliner Charité forscht daran. (Foto: pro500 / Fotolia)

Die Formel für ein Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen: Die Berliner Charité forscht daran. (Foto: pro500 / Fotolia)


Fentanyl ohne Atemdepression - Analgesie ohne Grenzen?

Die Wissenschaftler verglichen Fentanyl und fluoriertes Fentanyl NFEPP in zwei Rattenmodellen. Sie simulierten einmal eine akute Entzündung, ausgelöst durch einen Schnitt in die Fußsohle der Ratten. Im zweiten Modell injizierten sie den Nagern komplettes Freund-Adjuvans in deren Fußsohle an der Hinterpfote, was eine chronische Entzündung abbilden sollte. Die Ratten erhielten anschließend entweder Fentanyl oder das neue NFEPP zur Analgesie, jeweils in Dosierungen von 2 bis 12 µg pro kg Körpergewicht.

Erwartungsgemäß führte Fentanyl dosisabhängig zu einer Schmerzhemmung – und aktivierte Rezeptoren im entzündeten und gesunden Gewebe. Hingegen wirkte modifiziertes Fentanyl ausschließlich im geschädigten Gewebe analgetisch. Auch hinsichtlich der Nebenwirkungen bestätigte sich die Hypothese der Berliner Wissenschaftler: Mit zunehmender Dosierung von Fentanyl entwickelten die Nager Opioid-typische Nebenwirkungen wie Sedierung und Atemdepression – letztere war schließlich dosislimitierend für Fentanyl und letal bei einer Konzentration von 32 µg pro kg Körpergewicht. NFEPP löste bis zu einer Dosis von 75 g keine offennkundige Sedierung oder Atemdepression aus.

Ein Versuch mit dem nicht zentralgängigen Opioidrezeptor-Antagonisten Naloxon-Methyliodid (NLXM) bestätigte, dass NFEPP ausschließlich periphere Opioidrezeptoren aktiviert. In Kombination mit NLXM war der analgetische Effekt des „neuen“ Fentanyls praktisch aufgehoben.


Im Gegensatz zu konventionellen Opioiden zeigt unser Prototyp NFEPP eine Bindung und Aktivierung von Opioidrezeptoren ausschließlich in saurem Milieu und hemmt somit Schmerz nur in verletztem Gewebe, ohne Atemdepression, Benommenheit, Suchtpotenzial oder Verstopfung hervorzurufen.

Dr. Viola Spahn und Dr. Giovanna Del Vecchio, Erstautorinnen der Studie


... und ohne Komedikation?

Auch hinsichtlich der Nebenwirkungen zeigte das modifizierte Fentanyl positive Wirkung: Die Forscher beobachteten keine Obstipation – eine unerwünschte Wirkung von Opioiden, die standardmäßig mit Laxanzien komediziert werden muss. Wird also in ferner oder naher Zukunft die Opioidtherapie für Ärzte, Apotheker und klinische Pharmazeuten einfacher? Analgesie ohne Grenzen, ohne Angst vor dem Erstickungstod? Für Euphorie ist der Zeitpunkt noch zu früh. Vorher muss der neue Schmerzmittel-Prototyp weitere Studien an Tier und Mensch bestehen.

Die Berliner Wissenschaftler sehen allerdings durch ihre Ergebnisse einen Paradigmenwechsel in der Entwicklung von Analgetika. „Es hat sich gezeigt, dass die Protonierung von Wirkstoffen eine entscheidende Voraussetzung für die Aktivierung von Opioidrezeptoren ist“, resümieren die Autoren. Eine Erkenntnis, die auf andere Schmerzarten ebenso übertragen werden könnte.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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