Hanke und Becker zur Apothekenzahl und Hüffenhardt

„Wir brauchen den Versandhandel nicht“

Berlin - 22.03.2017, 16:05 Uhr

Versorgung gesichert: Der baden-württembergische Kammerpräsident Günther Hanke sieht die Versorgung durch ein dichtes Netz an Rezeptsammelstellen (im Hintergrund) gesichert. (Foto: LAK BW)

Versorgung gesichert: Der baden-württembergische Kammerpräsident Günther Hanke sieht die Versorgung durch ein dichtes Netz an Rezeptsammelstellen (im Hintergrund) gesichert. (Foto: LAK BW)


Die Apothekenwelt wartet weiterhin auf die Eröffnung der DocMorris Video-Apotheke im baden-württembergischen Hüffenhardt. Das Projekt ist politisch und rechtlich umstritten. Beim parlamentarischen Abend der baden-württembergischen Apotheker stellte auch Günther Hanke, Chef der Landesapothekerkammer im Ländle, fest: Wir brauchen den Automaten nicht! SPD-Gesundheitsexpertin Hilde Mattheis nutzte die Gelegenheit, um auf die Stärken des Versandhandels hinzuweisen.

Etwa 60 Gäste aus Politik und Medien erschienen am gestrigen Dienstagabend zum parlamentarischen Abend der Landesapothekerkammer und des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg. Die Veranstaltung findet regelmäßig einmal pro Jahr statt und ist für die Apotheker aus dem Südwesten eine wichtige Gelegenheit, mit den Bundes-Politikern aus dem „Ländle“ ins Gespräch zu kommen. Auch gestern ließ sich die politische Prominenz blicken: Volker Kauder (CDU), Fraktionsvorsitzender von CDU/CSU im Bundestag, besuchte die Veranstaltung ebenso wie Michael Hennrich (Arzneimittelexperte der CDU) und Anette Widmann-Mauz (parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium). Die SPD vertrat unter anderem Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag.

Doch bevor Mattheis ihren Auftritt bekommen sollte, waren die Apotheker dran. Zunächst stellte Fritz Becker, Chef des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg, aktuelle Zahlen aus dem Apothekenmarkt vor. „2016 war zahlentechnisch ein ganz normales Jahr: keine Grippewelle und keine besondere Neueinführungen im Rx-Bereich“, so Beckers Kurzzusammenfassung. Die Arzneimittelausgaben der Kassen seien um 2,9 Prozent angestiegen, auch die Zahl der abgegebenen Rx-Packungen ist Becker zufolge um 1,4 Prozent auf rund 690 Millionen geklettert. Über die Rabattverträge hätten die Kassen im vergangenen Jahr allerdings etwa 3,7 Milliarden Euro eingespart. Die Einsparungen der Kassen aus dem Kassenabschlag sind demnach leicht gestiegen – auf 1,14 Milliarden Euro.

Becker: Rx-Umsätze hoch, OTC-Umsätze runter

Weil es im vergangenen Jahr keine Grippe- und Allergiewelle gab, sind laut DAV-Chef Becker auch die OTC-Zahlen der Apotheken gesunken. Zwischen 2015 und 2016 sind die OTC-Umsätze um 1,3 Prozent gesunken, die Absätze sogar um 3,1 Prozent.  Becker ging auch auf die aktuelle politische Debatte rund um den Arzneimittel-Versandhandel ein. Er wollte zunächst den Vorwurf der SPD-Bundestagsfraktion aus der Welt räumen, dass man das Rx-Versandverbot nicht umsetzen könne, weil die Apotheker den Markt der Spezialrezepturen nicht übernehmen könnten.

Becker wies darauf hin, dass man im Rahmen „kollegialer Hilfe“ darauf setzen könne, dass Apotheken sich mit besonderen Rezepturen gegenseitig weiterhelfen würden. Allerdings räumte er ein: „Es wird natürlich ein bisschen dauern, bis die Strukturen wieder aufgebaut sind, die der Versandhandel zerstört hat.“ Letztlich verwies er auf den Vorschlag der ABDA, nach dem Apotheken andere Apotheken und Klinikapotheken mit allen aseptischen Zubereitungen beauftragen können. Der DAV-Chef stellte auch die neue Studie des IfH Köln zum Apothekenmarkt vor. Schließlich zog er das Fazit: „Wir sind die Kümmerer! Geben Sie sich einen Ruck und setzen Sie sich für das Rx-Versandhandelsverbot ein!“

Hanke attackiert DocMorris

Es folgte der Vortrag von Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer in Baden-Württemberg. Hanke konzentrierte sich auf die sinkenden Apothekenzahlen und die Beschaffenheit der Versorgung in ländlichen Regionen. Seit 2007 sei die Apothekenzahl im „Ländle“ zwar um 10 Prozent gesunken. Aufgrund vieler Botendienste und Rezeptsammelstellen sei die Versorgung im Südwesten aber nach wie vor gesichert. Nichtsdestotrotz gab Hanke zu, dass gerade in den Regionen Schwarzwald, Schwäbische Alb und Main-Tauber-Kreis die Apothekenzahl immer weiter ausdünne. Allerdings gebe es in all diesen Regionen Rezeptsammelstellen, die die Versorgung sicherstellten.

Hanke sprach auch den Ort Hüffenhardt an, in dem DocMorris derzeit kurz vor der Eröffnung seiner Video-Apotheke steht. Laut Hanke gibt es aber schlichtweg keinen Bedarf einer solchen Einrichtung in Hüffenhardt. „Wissen Sie, wie viele Apotheken es in  einem 10-Kilometer-Umkreis von Hüffenhardt gibt? 22! Und da spricht eine holländische Firma von Versorgungsnotständen“, erklärte der Kammerpräsident. Er ging dazu über, das baden-württembergische Innenministerium für seine Haltung zu dem Thema zu kritisieren. Zur Erklärung: Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist auch Minister für Digitalisierung und hat sich in mehreren Medienberichten offen gezeigt für eine Video-Apotheke in Baden-Württemberg.

Digitalisierung zum Selbstzweck?

Hankes Kommentar dazu: „Ich habe den Eindruck, dass die Digitalisierung da zum Selbstzweck wird.“ Der Kammerpräsident wies darauf hin, wie „aktiv“ die Apotheken jetzt schon bei der Digitalisierung seien und sprach die Apotheken-Software der Pharmazeuten an und verwies auf das Arzneimittel-Sicherheitssystem Securpharm und den elektronischen Medikationsplan. In Richtung Politik lies Hanke den Vorwurf los, dass  viele Gesetze, Richtlinien und Verordnungen nicht zusammen passten. Insbesondere im Verlauf der Arzneimittelzulassung gehe es um das Prinzip „Sicherheit über alles!“. Bei der Abgabe von Arzneimitteln beobachte er aber derzeit, dass ein „Sicherheitsszenario“ verfolgt werde, bei dem gelte: „Nein, das muss kein Apotheker machen, das kann auch der Postbote liefern.“

Zur Hochform lief der Kammerpräsident jedoch auf, als er von einer Zuhörerin gefragt wurde, ob er denn Zahlen dazu vorlegen könne, dass der Versandhandel die Apotheken gefährde. Hanke sagte: „Der einprozentige Marktanteil der Versandapotheken ist eine Momentanaufnahme, dabei wird es nicht bleiben.“ Schließlich zeige die Besitzerstruktur von DocMorris, welche wirklichen Ziele die Versender verfolgten. „Die DocMorris-Mutter Zur Rose gehört zu 50 Prozent den Scheichs. Und das einzige Ziel, das die haben, ist es, ein bestehendes System kaputt zu machen.“ Wie Hanke zu der Behauptung mit dem 50-prozentigen Anteil kam, blieb allerdings ein Rätsel. Fakt ist: Die Al Faisaliah Group hat über eine Unterfirma kürzlich 250.000 Zur Rose-Aktien übernommen, das entspricht 6 Prozent des Aktienkapitals.

SPD: Versorgungslücken mit Versandhandel schließen

All das wollte sich Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, nicht gefallen lassen. Ihre Fraktion setzt sich seit Monaten für den Erhalt des Rx-Versandes und gegen ein entsprechendes Verbot ein. Mattheis stand auf und sagte, sie wolle eine „Gegenposition“ abgeben. „Die SPD“ sei weiterhin dezidiert gegen ein Rx-Versandverbot, sondern vielmehr dafür, eine „Lösung“ über das Sozialgesetzbuch V zu finden. „Wie die Apotheker wollen auch wir die flächendeckende Arzneimittelversorgung stärken und kleine Landapotheken erhalten“, sagte die SPD-Politikerin.

Allerdings müsse es zwischen der Apotheke vor Ort und den Versendern einen „Wettbewerb auf Augenhöhe“ geben. Und weiter: „Es ist alleine dem Zeitgeist geschuldet, dass wir den Rx-Versandhandel nicht einfach abschaffen können. Aber auch aus Versorgungsaspekten wollen wir nicht auf den Versandhandel verzichten.“ Die Argumente der Apotheke sieht Mattheis weitgehend kritisch: „Das Apotheken-Verschwinden ist doch sehr gemäßigt. Außerdem liegt es nicht am Versandhandel, dass Apotheken schließen müssen, sondern zumeist daran, dass ein Arzt im gleichen Ort schließt.“ Und weiter: „Womöglich kann der Versandhandel die Versorgungslücken in genau solchen Ortschaften schließen.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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