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Gestreckte Zytostatika?
Patienten und Mitarbeiter klagen gegen Zyto-Apotheker
Er soll Zytostatika in mehr als 40.000 Fällen gestreckt und damit womöglich auch klinische Studien verfälscht haben: Ein Apotheker aus Bottrop ist deswegen seit gut einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Nun kommen neue Details ans Licht. So hat der Apotheker dem Mitarbeiter gekündigt, der den Fall als „Whistleblower“ ins Rollen brachte. Auch Patienten wollen demnächst Klage gegen den Apotheker einreichen.
Zum Fall des Zyto-Apothekers Peter S. von der Alten Apotheke
in Bottrop tauchen neue Details auf. Am Mittwoch erschien S. in Begleitung von
zwei Vollzugsbeamten im Saal des Gelsenkirchener Arbeitsgerichts, wie die „Westdeutsche
Allgemeine Zeitung“ (WAZ) schreibt.
Es ging nicht um die Vorwürfe gegen den Apotheker, der seit gut einem halben Jahr
in Wuppertal in Untersuchungshaft sitzt, da er Krebsmedikamente gestreckt haben
soll – sondern um die Kündigung seines kaufmännischen Leiters Martin P., der
offenbar als „Whistleblower“ den Fall erst ins Rollen gebracht hat.
Laut der Zeitung kündigte ihm der Apotheker fristlos, nachdem er bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet und von den Vorgängen in der Apotheke berichtet hatte. Die Richterin habe deutlich gemacht, dass eine Kündigung wegen Anzeigeerstattung kaum Chancen auf Erfolg haben würde: Der Angestellte habe nicht nur das Grundrecht, sondern vielleicht sogar die Pflicht gehabt, die Vorgänge anzuzeigen. Ein „Whistleblowing“ rechtfertige keine Kündigung, zitiert die WAZ die Richterin.
Doch offenbar hat Peter S. seinem Mitarbeiter noch weitere Pflichtverletzungen zur Last gelegt: So soll er über seine interne Kundennummer private Arzneimittel eingekauft, aber noch nicht abgerechnet haben. Der kaufmännische Leiter hat laut WAZ vor Gericht angegeben, dass eine Verrechnung von Überstunden mit seinem Chef vereinbart worden sei, doch der Apotheker Peter S. erinnere sich nicht hieran. Auf einen Vergleich ließ sich Martin P. nicht ein.
Doch zurück zum eigentlichen Hauptvorwurf gegen den Apotheker: Dem Pharmazeuten wird zur Last gelegt, in mehr als 40.000 Fällen insbesondere monoklonale Antikörper gestreckt zu haben. Doch der Nachweis, bei welchen Patienten dies konkret erfolgte und inwiefern es bei ihnen zu Gesundheitsschäden führte, ist schwer zu führen. Daher konzentriert sich die Staatsanwaltschaft derzeit neben dem Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz und Delikten „gegen Leib und Leben“ offenbar auf einen Vorwurf, der sich leichter nachweisen lässt – den des Abrechnungsbetrugs. Peter S. wird vorgeworfen, Schäden in Höhe von 2,5 Millionen Euro verursacht zu haben.
Tumormarker gingen angeblich nach Apotheken-Wechsel runter
Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft gegenüber DAZ.online erklärte, liegen noch nicht alle Analysen vor. „Wenn wir die letzten Ergebnisse vorliegen haben, werden wir uns an den Abschluss des Verfahrens machen“, sagte sie. Derweil bereitet die Fachanwältin für Medizinrecht, Sabrina Diehl, für zwei Patienten beziehungsweise deren Angehörigen Klagen vor, die in rund zwei Wochen eingereicht werden sollen.
Diehl will versuchen, einen Paragraphen aus dem Bereich der Arzthaftung gegen den Apotheker zu nutzen: Seit einer Änderung des Patientenrechtegesetzes muss nach § 630h BGB in groben Fällen nicht der Patient einen Behandlungsfehler beweisen, sondern der Behandler nachweisen, dass alles ordnungsgemäß ablief. „Wir haben vereinfachte Beweislastregeln für Patienten“, erklärte Diehl gegenüber DAZ.online. „Es gibt keine Referenzentscheidung, es ist einzigartig“, sagt sie. „Wir glauben, dass wir die Regeln für Ärzte hier analog anwenden können.“
Sie glaubt, dass es gute Chancen für ihre Mandanten gibt. „Bei einer Patientin ist es ganz deutlich: Die Tumormarker waren nach dem Wechsel der Apotheke deutlich heruntergegangen“, erklärt sie. Doch sei inzwischen der Tumor gestreut. Die Anwältin will das Gericht davon überzeugen, vom Apotheker den Nachweis zu verlangen, das Arzneimittel in richtiger Dosierung abgegeben zu haben – was ihm womöglich nicht gelingen wird. „Dass sich beim Wechsel des Apothekers schlagartig die Tumormarker deutlich verbessern, stimmt uns positiv für das zivilgerichtliche Verfahren“, betonte Diehl.
Gleichzeitig kritisiert sie, dass die Anklage in dem Strafverfahren dies nicht berücksichtigt – und auch ansonsten zu wenig unternimmt. „Ich finde es sportlich, dass die Staatsanwaltschaft die Flinte ins Korn wirft“, sagte die Anwältin. „Es geht um Menschenleben.“
Der Apotheker soll seinen Gewinn vervielfacht haben
Ein Beitrag des Online-Magazins „Correctiv.Ruhr“ beleuchtet derweil, wie der Apotheker Peter S. seine Patienten wie auch die Krankenkassen betrogen haben soll. Laut Abrechnungen aus der Apotheke, aus denen das Magazin zitiert, soll der Zyto-Apotheker zwischen 2010 und 2016 unter 100.000 Milligramm des Krebsmittels Abraxane® (Paclitaxel) eingekauft haben, während er hingegen mehr als 250.000 Milligramm verkauft habe – allein mit diesem Arzneimittel soll er seinen Gewinn auf mehr als 900.000 Euro Gewinn verdreifacht haben, so der Vorwurf.
Darüber hinaus soll Peter S. zwischen Sommer 2015 und Januar 2016 rund 16.000 Milligramm des monoklonalen Antikörpers Opdivo® (Nivolumab) eingekauft haben, aber rund 52.000 Milligramm bei den Krankenkassen abgerechnet haben. Bei Xgeva® (Denosumab) soll er ungefähr 2100 Dosen eingekauft und rund 4700 Dosen verkauft haben, bei Cyramza® (Ramucirumab) soll er zwischen 2015 und Mai 2016 rund 20.000 Milligramm eingekauft und rund 50.000 Milligramm abgerechnet haben.
Am 26. Oktober 2016 habe die Kriminalpolizei während verdeckter Ermittlungen gegen den Apotheker einen Infusionsbeutel abgefangen, schreibt „Correctiv.Ruhr“, der auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Essen vom Paul-Ehrlich-Institut in untersucht worden sei. Am 21. November 2016 habe die Behörde in ihrem Abschlussbericht festgestellt, dass der Beutel „ausschließlich Kochsalzlösung, also keinerlei nachweisbaren Wirkstoff” enthielt, zitiert das Magazin aus dem Gutachten. Am 29. November 2016 wurde Peter S. schließlich festgenommen.
Aufgabe der Behörden ist es, zu prüfen, welche Gründe es für das Fehlen des Wirkstoffs sowie dessen Zerfallsprodukte gibt. „Dass sie ohne Spuren aus einer Kochsalzlösung verschwinden, ist undenkbar“, zitiert das Online-Magazin Klaus Peterseim, Vorsitzender des Verbands der Zytostatika herstellenden Apotheker.
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