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Grundlagenforschung
Pharmazeuten entdecken Anti-Tumor-Wirkung der Myrte
Forscher der Uni Jena haben den Wirkstoff aus der gemeinen Myrte (Myrtus communis) genauer unter die Lupe genommen und den Ansatz seines Wirkmechanismus aufgedeckt. Damit wollen sie das Arzneimittel aus der Natur im Kampf gegen den Krebs etablieren.
Die gemeine Myrte (Myrtus communis) galt bereits den Griechen der Antike als Symbol unter anderem für Lebenskraft. Wegen ihrer ätherischen Öle findet sie in der Medizin ebenfalls seit alten Zeiten Verwendung vor allem zur Behandlung von Atemwegserkrankungen. Sie ist aber auch als Gewürz hauptsächlich für Fleischgerichte bekannt (Die Wurst Mortadella hat von ihr etwa ihren Namen) und ist Bestandteil von Likören.
Dass besonders der Wirkstoff Myrtucommulon aber noch viel mehr kann, haben unter anderem Forscher der Friedrich-Schiller-Universität Jena in jüngster Zeit aufgedeckt. So konnten sie ihm antibakterielle, entzündungshemmende und antioxidative Wirkungen zuschreiben. Ferner fanden die Forscher eine recht selektive Wirkung gegen Tumorzellen, die sie bereits in relativ niedriger Konzentration nachweisen konnten, wie die Wissenschaftler erklären.
Molekulare Angel fischte nach Bindungspartnern
Im Fachmagazin „Cell Chemical Biology“ veröffentlichten die Forscher um Professor Oliver Werz vom Institut für Pharmazie der Uni Jena nun die Ergebnisse ihrer Suche nach dem genauen Wirkmechanismus des Myrtucommulons. (Wiechmann K., Müller H., König S., Wielsch N., Svatoš A., Jauch J., Werz O. (2017) Mitochondrial chaperonin HSP60 is the apoptosis-related target for myrtucommulone. Cell Chem. Biol., Doi: 10.1016/j.chembiol.2017.04.008) Beteiligt waren daran auch Forscher der Universität Saarbrücken sowie des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena. „Aus früheren eigenen Arbeiten wussten wir, dass der Wirkstoff direkt an den Mitochondrien angreift. Daher haben wir mit immobilisiertem Myrtucommulon in Mitochondrienlysaten von Krebszellen „gefischt““, erklärt Werz. Man habe sich sozusagen eine Angel mit dem Wirkstoff als Köder gebaut, an dem dann nur das entsprechende Protein-Gegenstück habe „anbeißen“ können“, sagt der Forscher.
Als die Wissenschaftler ihre „Beute“ genauer untersuchten, ließen sich die Proteine, die nur an der Angel andockten, schließlich von dem einen gefundenen Kandidaten unterscheiden, der spezifisch nur mit dem Myrtucommulon interagierte. HSP60, ein Hitzeschockprotein, das zur Klasse der Chaperonine gehört, einer Unterklasse der Chaperone, stellte sich dann als Ergebnis des Fischzugs heraus. „Diese besonderen Chaperonine schützen bestimmte Proteine der Mitochondrien und verhindern so deren Inaktivierung durch Zellstress“, sagt der Forscher. Diese Proteine sind dabei LONP (Lon protease-like protein) und LRP130 (Leucin-rich ppr motif-containing protein).
Neue Erkenntnisse über Tumorzellen gewonnen
LONP1 sorgt in Mitochondrien unter anderem für den Abbau defekter Proteine. Bekannt ist eine erhöhte Expression in einigen Tumorarten. Wird das Protein dort herabreguliert, führt dies häufig zum Zelluntergang durch Apoptose. LRP130 wird eine Funktion im Cytoskelett bei verschiedenen Prozessen zugeschrieben.
„Wir wussten, dass diese beiden Proteine das Tumorwachstum fördern, dass sie aber von HSP60 geschützt werden, war bisher nicht bekannt“, sagt Werz. Somit habe man mit dem Projekt nicht nur den Bindungspartner des Myrtucommulons identifizieren können, sondern auch neue Erkenntnisse über die biologischen Prozesse innerhalb einer Tumorzelle gewonnen. „Wo genau der Wirkstoff an HSP60 angreift, wissen wir nicht. Es bindet aber direkt an HSP60, das ist klar“, sagt Werz. In vivo, also im Tiermodell sei das noch nicht untersucht worden, nur in intakten Zellen. „Und dort führt die Interaktion zum Zelluntergang der Krebszellen durch Apoptose“, sagt der Pharmazeut.
Myrtucommulon könnte Zukunft als Arzneimittel gegen Krebs haben
Die HSP60 Proteine sind 60 kDa groß und kommen in Eukaryoten nur in den Mitochondrien vor. Beim Menschen und allen anderen Wirbeltieren kodiert nur ein Gen, HSPD1, für ein HSP60-Protein, das neusynthetisierten Proteinen bei der Faltung hilft sowie unter extremen Bedingungen wie dem namensgebenden Hitzeschock anderen Proteinen hilft, ihre Sekundärstruktur beizubehalten, sie also schützt. Der Name Chaperone stammt dabei aus dem Englischen und bedeutet Anstandsdame, was auf die schützende und hegende Funktion hinweist. Mutationen am HSPD1-Gen sind mit erblichen Formen der spastischen Spinalparalyse, neurodegenerativen Erkrankungen sowie der Leukodystrophie (Stoffwechselkrankheiten, die zum Untergang der weißen Nervensubstanz führen) assoziiert.
Als nächste Schritte wollen die Forscher Myrtucommulon und ein synthetisches Derivat davon mit einer noch größeren anti-kanzerogenen Wirkung in einem Tumor-Tiermodell in vivo testen. „Wir sehen gute Perspektiven für den Wirkstoff, da er relativ potent ist und eine recht gute Selektivität für Krebszellen versus gesunde Zellen hat. Besonders die Profilierung zu noch potenteren und noch mehr Drug-like Compounds dürfte interessant sein. Da sind wir dran“, sagt Werz. Myrtucommulon könne so vielleicht eine Zukunft als Arzneimittel gegen Leukämie und andere Krebserkrankungen haben, sagt der Forscher.
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