Expertenempfehlung

Senioren bei ASS auch Protonenpumpenhemmer verordnen

Stuttgart - 14.06.2017, 07:00 Uhr

Die Autoren einer neuen Studie empfehlen, älteren Patienten bei dauerhafter ASS-Medikation auch Protonenpumpenhemmer zu verordnen. (Bild: Burlingham / Fotolia)

Die Autoren einer neuen Studie empfehlen, älteren Patienten bei dauerhafter ASS-Medikation auch Protonenpumpenhemmer zu verordnen. (Bild: Burlingham / Fotolia)


Bei Menschen im Alter ab 75 kann die tägliche Langzeitanwendung von Acetylsalicylsäure zur Sekundärprophylaxe von Herzinfarkten oder Schlaganfällen mit einem erheblich höheren Risiko von schweren oder tödlichen Blutungen verbunden sein. Dies legt eine neue Studie nahe, die im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Die Autoren raten dazu, den betroffenen Patienten zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer zu verordnen.

Nach Angaben der Autoren der „Oxford Vascular Study“ nehmen rund 40 bis 60 Prozent aller Menschen im Alter von 75 oder darüber täglich Acetylsalicylsäure oder andere Thrombozytenaggregationshemmer zur Prävention von Herzinfarkt oder Schlaganfall, oft als lebenslange Sekundärprophylaxe. Aus früheren Untersuchungen weiß man, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der gerinnungshemmenden Behandlung und dem Auftreten von Blutungen im oberen Magen-Darm-Trakt gibt.

Ebenfalls bekannt ist, dass dieses Risiko mit dem Alter zunimmt, jedoch nicht, um wieviel und ob das Alter auch einen Einfluss auf die Schwere der Blutungen hat. Diese Wissenslücke könnte die nun im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichte Studie ein Stück weit schließen.

405 Blutungsereignisse

Die prospektive Populations-basierte Kohortenstudie beobachtete 3166 Patienten, die zur Langzeit-Sekundärprophylaxe überwiegend ASS, einige Clopidogrel verschreiben bekamen. Die Autoren weisen deshalb darauf hin, dass die Ergebnisse nicht per se auf andere Thrombozytenaggregationshemmer übertragbar seien. Die Hälfte der Patienten war zu Beginn der Studie 75 Jahre alt oder älter. Über die zehnjährige Beobachtungsdauer (2002 bis 2012) hinweg hatten 405 Teilnehmer Blutungsereignisse (218 gastrointestinale, 45 Hirnblutungen, 142 andere). 314 Patienten mussten deswegen ins Krankenhaus eingewiesen. 

Das Risiko war zehn Mal so hoch

Während sich hinsichtlich der nicht schweren Blutungen keine Beziehung zum Alter bemerkbar machte, nahm das Risiko von schweren Blutungen, die zu Funktionseinschränkungen oder zum Tod führten, mit dem Alter zu. Bei den Patienten unter 65 mit ASS lag die jährliche Rate von Blutungen, die zu einer stationären Aufnahme führten, bei etwa 1,5 Prozent, in der Altersgruppe der 75 bis 84-Jährigen bei 3,5 und bei denjenigen über 85 Jahren bei 5 Prozent. Auch das Risiko von schweren oder tödlichen Blutungen stieg mit dem Alter an.

Einen ähnlichen Trend beobachteten die Wissenschaftler bei den Auswirkungen der nicht-tödlichen Blutungen. Von den unter 75-jährigen Überlebenden erlitten 4 von 157 (3 Prozent) eine neue oder nachhaltige Zunahme der Behinderung durch eine Blutung. Bei den über 75-Jährigen waren es 46 von 183 (25 Prozent). Unter dem Strich, so schlussfolgern die Autoren, war das Risiko für schwere oder tödliche Blutungen bei den Personen über 75 Jahren zehn Mal so hoch wie bei den Jüngeren. Dabei trat bei den Personen über 75 die Hälfte der schweren Blutungen im oberen GI-Trakt auf. 

PPI als Komedikation noch keine Routine

„Durch unsere neue Studie können wir besser verstehen, in welcher Größenordnung das Risiko und auch die Schwere der Blutungen zunehmen“, erklärte deren Leitautor Peter Rothwell von der Universität Oxford in einer Pressemitteilung. Die Wahrscheinlichkeit, durch schwere Blutungen im oberen GI-Trakt infolge der Behandlung eine Behinderung zu bekommen oder daran zu versterben, sei bei Patienten über 75 ebenso groß wie das Risiko eines erneuten Schlaganfalls.

Die Autoren wollen die Behandlungsleitlinien ändern

Dem könnte nach Meinung der Wissenschaftler abgeholfen werden, wenn die Betroffenen zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer bekämen. PPI könnten die Blutungen im oberen Magen-Darm-Trakt um 70 bis 90 Prozent reduzieren, stellen sie fest. Allerdings sei deren Verordnung keine Routine, und lediglich rund ein Drittel ihrer Studienpopulation habe Protonenpumpenhemmer genommen. Rothwell gesteht zwar zu, dass die PPI ebenfalls geringfügige Risiken haben könnten, ist aber überzeugt, dass der Nutzen bei Älteren den Risiken überwiegt. Die Forscher sprechen sich deshalb dafür aus, die Komedikation mit PPI in Behandlungsleitlinien für diese Altersgruppe zu empfehlen. 

„Die erste Konsequenz der Studie ist, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer gerinnungshemmenden Langzeittherapie bei Patienten über 75 Jahren alles drei bis fünf Jahre geprüft werden sollte“, schreibt der Neurologe Hans-Christoph Diener von der Universität Duisburg-Essen in einem Begleitkommentar zu der Studienpublikation in „The Lancet“. Als zweite Konsequenz unterstützten die Ergebnisse seiner Ansicht nach die Notwendigkeit, in dieser Altersgruppe oder bei Patienten mit einer Vorgeschichte für gastrointestinale Blutungen zusätzlich PPI zu geben. Die Gefahren seien bislang wohl unterschätzt worden, vermutet Diener, weshalb man die Protonenpumpenhemmer in dieser Konstellation bislang zu wenig eingesetzt habe. 

Wie auch in der Pressemitteilung von „The Lancet“ betont wird, handelt es sich bei der neuen Auswertung nicht um eine randomisierte Studie, sondern nur um eine unverblindete Langzeitbeobachtung – daher kann sie auch nicht nachweisen, dass die erhöhten Risiken durch ASS verursacht werden. Jedoch hätten frühere randomisierte Studien nachgewiesen, dass zumindest jede zweite Blutung unter ASS durch das Arzneimittel verursacht wurde, heißt es. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

vorschnelle Schlußfolgerung

von Dr. Philip Prech am 15.06.2017 um 11:36 Uhr

Knapp ein Drittel der Studienteilnehmer nahmen Säureblocker ein. Rechnet man diese Gruppe heraus, ändern sich die Ergebnisse laut den Studienautoren nicht. Das legt nahe, dass der Schutzeffekt der Säureblocker bei den Studienpatienten nicht sonderlich groß war, sonst müsste man hier eine Änderung sehen.
Bevor allen Thrombozytenaggregationshemmer-Patienten über 75 jetzt unkritisch Säureblocker verschrieben/empfohlen werden, sollten bessere Studiendaten vorliegen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

ASS und PPI

von Heiko Barz am 14.06.2017 um 11:29 Uhr

Das wird einen wilden Aufschrei bei den 'gebeutelten' (16 bis 20 Milliarden plus €) KKassen geben, wenn zu den meist selbst zu zahlenden +|- 3 € noch bis 20 € PPI dazuverordnet werden.
Diese offensichtlich für viele Patienten notwendige Neuorientierung bei den Verschreibungskriterien würde aber wieder langjährige und regressbewerte Blockierungsverhandlungen mit AOK Herman und Co. nach sich ziehen.

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H2Blocker

von Dr. Schweikert-Wehner am 14.06.2017 um 10:37 Uhr

H2Blocker haben weniger Nebenwirkungen. Ob hinsichtlich der Risikoreduzierung PPI überlegen sind müsste erst in einer Vergleichsstudie bewiesen werden.

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